Kandahar 25.3.2014
In Kandahar angekommen. Wir habe unsere blauen Burkas mitgebracht, in denen wir ohne grosses Aufsehen zu erwecken, durch die Stadt fahren können – nur sehen wir leider auch kaum aus den Gitterfenstern und man muss ständig aufpassen, nicht über den Saum zu stolpern. Der Flug hatte vier Stunden Verspätung und wir waren die einzigen zwei Frauen in einem Flugzeug mit 150 Männern. Auf der Strasse von Kandahar sieht’s nicht viel anders aus. Wir haben kurz die Fernsehstation unseres Übersetzers besucht, dort wurde eben Mr. Bean gesendet, nebst indischen und türkischen Soap Operas anscheinend ein Hit hier. Eine 15-jährige Moderatorin erzählte uns von ihrem Wunschprogram für Frauen, das sie einmal die Woche moderiert: Frauen können anrufen und ihre Sorgen erzählen. Viele beklagen anscheinend vor allem, dass sie nie aus dem Haus können..
…dann noch ein kurzer Abstecher in’s IKRK Hauptquartier, wo wir mehr über die Situation der Gefangenen, die Sicherheits- und Gesundheitslage erfuhren. Im Hotel bekamen wir an einer endlos langen Tafel Huhn mit Reis vorgesetzt.
Nach afghanischer Gastfreundschaft ruft uns ungefähr alle zehn Minuten ein anderer Freund aus irgendeinem Landesteil an, der uns bei seinen Kandahari-Freunden unterbringen will. Ziemlich schwieriges Unterfangen sie freundlich abzuwimmeln, denn: einmal bei einer Kandahari Familie eingeladen, ist das das Ende aller Arbeit für den Rest des Tages. Auch das Prinzip der Privatsphäre ist hier ein ziemlich anderes. Als ich mein Zimmer bezog, rollte der Hotelangestellte gleich seinen Gebetsteppich vor meinem Bett aus, um zuerst einmal ausgiebig zu beten, bis er dann endlich ging…Und die Willkommensreden dauern immer etwa so lang, dass man bereits einmal die halbe Stadt hätte durchqueren können.
Eigenartigerweise fühlt es sich hier in der Taliban Hochburg beinahe sicherer an als in Kabul. Dort haben die Taliban heute ein Büro der Wahlkommission angegriffen und fünf Leute getötet.
26.3.2014 Kandahar, Mirwais Spital
Das Mirwais Spital liegt zwar in der Stadt Kandahar, aber die Kranken und Kriegsverletzten, die hier angeliefert werden, kommen aus allen vier südlichen Provinzen. Dazu hat das IKRK eigens Taxifahrer ausgebildet, um die Kranken in oft mehrtägigen Fahrten ins Spital zu bringen – ohne dass sie verbluten. Oft werden die Taxis jedoch an den Checkpoints gestoppt und vermutet ein Soldat, dass der Verletzte im Taxi ein Taliban ist, dann erreicht dieser das Spital selten. Im Spital sprachen die Angehörigen der Verletzten offen über die Situation in ihren Dörfern. Manche Dörfer liegen nur zwei Stunden ausserhalb der Stadt jedoch Lichtjahre von der Stadtrealität oder irgendwelchem Fortschritt entfernt. Einer brachte seinen Sohn, der auf eine Mine getreten war, ein anderer stand neben seinem Bruder, der von der lokalen Polizei gefangen genommen worden war – die Polizei missbrauchte ihn und seine fünf Kollegen als menschliche Schutzschilder vor den Taliban und als sie von den Taliban angegriffen wurden, schoss ihnen ein Polizist ins Bein. Alle beklagten sich bitter über die lokale Polizei – meist Jugendliche, denen eine Waffe in die Hand gedrückt worden war und die jetzt für noch mehr Chaos und Terror sorgen. Viele dieser Dörfler werden nicht wählen gehen. Sie sagten, dazu bräuchten sie eine Wählerkarte und um die zu bekommen müssten sie in der Stadt zuerst eine ID machen lassen, das ginge jedoch nicht, ohne Geld zu zahlen….Andere gaben ihre Wählerkarte ganz einfach dem Stammesältesten, damit der das Kreuz beim Kandidaten macht, der ihm am meisten Geld versprochen hatte. Alle sagten, Entwicklung habe es in ihren Dörfern in all den Jahren der Nato-Truppen nicht gegeben. Und falls die Ausländer Geld gegeben hätten, dann sei das vom Stammesführer oder lokalen Machthaber eingesackt worden.
Das IKRK führt in Kandahar nicht nur das Spital, sondern auch ein interessantes Telefon-Programm. An zwei Tagen in der Woche können Angehörige anreisen, um mit ihren Verwandten im Bagram Gefängnis zu sprechen. Das IKRK zahlt den Transport nach Kandahar und zurück und koordiniert die Telefongespräche mit den Amerikanern und den Afghanen im Gefängnis in Bagram (ausserhalb von Kabul). Sheir Mohammed telefonierte so mit seinem Bruder, der vor einigen Wochen von den amerikanischen Special Forces gefangen genommen worden war, als er seinen Onkel besucht hatte. Der Gefangene, ein Taxifahrer, erkundigte sich vor allem nach seinem Auto – nicht jedoch nach seiner zukünftigen Frau, die er doch eigentlich diesen Monat hätte heiraten sollen..
Am Abend waren wir eingeladen bei Freunden eines Freundes von mir. Kandahari, die durch den Handel mit Gas steinreich geworden waren. Sie besitzen eine Villa in Kandahar – ein geschmackloses Riesending mit grasgrünen Wänden, roten Teppichen und Neonröhren- sowie Häuser in Kabul und Dubai. Die Männer sprachen über Politik und die Frauen hatten nicht einmal eine Ahnung, wer kandidierte und für welches Amt. Die jüngste Tochter war 16 und wird in diesen Wochen an einen Mann verheiratet, den sie noch nie gesehen hat. Sie sagte: Meine Eltern werden schon wissen, was gut ist für mich. Nach vielen Runden Tee, Nüssen und Kuchen rollten die Frauen das Plastic-Tischtuch auf dem Boden aus und servierten ein Festmahl mit Mandel-Reis, Schafsfleisch, Huhn, Teigtaschen und Buttermilch. Wir mussten uns Ehemänner und Kinder andichten, um uns vor einer langen Fragerunde zu verschonen und schafften es nur mit Müh und Not, sie davon zu überzeugen, dass wir nicht bei ihnen übernachten konnten und dass wir auch kein Panzerglas-Auto brauchten, das uns einer der Männer bereits organisiert hatte. Schliesslich waren wir seine Gäste. Für die Frauen schien es schlicht undenkbar, dass wir bloss mit einem Übersetzer aus dem Haus gingen – über das Kopfweh, dass die schlechte Sicht durch die Burkafenster einem verursachen, beklagten jedoch auch sie sich. Die Designer-Handtasche, die sie uns am Ende noch in die Hand drückten, konnten wir dann leider nicht mehr ablehnen – aber wahrscheinlich wird die wieder am Flughafen aus unserem Gepäck geklaut, wie bereits unser schweizer Proviant und unsere Necessaires.
27.3.2014 Kandahar
Flughafen in Kandahar. Andrea und ich warten auf unseren bislang 5 Stunden verspäteten Abflug nach Kabul. In Kabul haben wir uns jetzt beide eine private Bleibe gesucht (und gefunden), da uns die Gästehäuser schlicht zu unsicher wurden, nach den Anschlägen auf das Serena Hotel, eine gezielte Tötung eines schwedischen Journalisten und einem schweren Angriff auf ein populäres Restaurant.
Heute früh waren wir an der Universität von Kandahar. Dort schrieben einige Studenten auf dem Boden des Fussballplatzes ihre Examen…mit bester Sicht auf die Basis der amerikanischen Special Forces. In einem Gebäude lernten andere Studenten (Studentinnen gab’s gerade mal zwei) Theorie zum Verwaltungswesen. Zwei Jungs gaben uns dann ausführliche Interviews. Sie hofften, dass der nächste Präsident weniger korrupt ist und mehr Jobs für die Jugend schafft.
Danach versuchte ich noch Camp Nathan Smith, die ehemals amerikanische Basis, in Mitten der Stadt, auf der ich vor zwei Jahren ein Embed gemacht hatte, zu finden. Ich wollte sehen, was aus der Basis geworden war. Leider trieb mich unser Übersetzer, der uns kaum verstand und nach zwei Minuten jeweils sowieso wieder vergessen hatte, was wir ihn gefragt hatten, beinahe in den Wahnsinn. Zuerst fuhr er uns an den Stadtrand (statt ins Stadtzentrum) und als wir dann endlich bei einer Basis in der Stadtmitte anlangten, wollte er eigentlich bereits wieder umdrehen, da wir keinen Termin hatten. Aber Dank der afghanischen Gastfreundschaft geht hier so vieles, was eigentlich ausserplanmässig ist. Nach ein paar Worten mit den Polizisten – du hast zwar keine Erlaubnis, aber weil du unser Gast bist und eine Frau, lassen wir dich nun rein – wurden wir zum Polizeikommandanten vorgelassen. Der sagte, dass die Sicherheitslage in Kandahar spitze sei, weil sie täglich mehrere Talibs aus Pakistan abfingen. Leider fand ich jedoch bis am Ende nicht heraus, ob das nun Camp Nathan Smith gewesen war oder nicht, da sich niemand an den englischen Namen erinnern konnte und alles verwirrend ähnlich aussah: ein Betonelement am anderen und viel Stacheldraht drum herum.
….nun, unser Flugzeug scheint noch immer nicht hier zu sein, hoffen wir, es kommt heute noch.
Abend:
Um sechs Uhr abends ging der Flug – mit sieben Stunden Verspätung.
28.3. Kabul
Ein ruhiger Tag in Kabul. Ich bin in Adriennes Haus umgezogen, da mir die Gästehäuser zu ungemütlich geworden sind. Sie werden die besten Ziele der Taliban sein.
Die Bombe von heute hörte ich als dumpfes Knallen. Ein Angriff auf ein Gästehaus von Ausländern.
Später Fahrt zum Finess, um einzukaufen: Spaghetti, Thunfisch in der Büchse, Bananen, Tomaten und Proviant für den morgigen Ausflug ins Panjir Tal. Später rief ich Mark an, einen Projektmanager einer Contracting Firma. Ich holte ihn in seiner Villa, die er mit zehn anderen Contractors bewohnt, in Wazir Akbar Khan ab und wir fuhren ins Sufi Restaurant. Es war leer. Beinahe niemand verlässt in diesen Tagen mehr das Haus. Mark – a country boy from Oklahoma who likes fishing and hunting – fragt nach Spare rips und Bier im Sufi Restaurant in Kabul. Beides gibt es hier nicht. Dann nimmt er vor dem Essen meine Hand und betet. Die Religiosität der Afghanen habe ihn tief beeindruckt, sagt er mir später.
Mark traf ich gestern auf dem Flug von Kandahar nach Kabul. Er arbeitet seit drei Jahren in Afghanistan. Einst war er ein erfolgreicher Bauunternehmer mit einem Geschäft, das sechs Millionen Dollar wert war. Dann kam der Immobilien-Crash und Mark verlor alles. Über Internetplattformen suchte er nach einem Job im Ausland, um möglichst schnell, möglichst viel Geld zu verdienen. Er heuerte bei einer amerikanischen Briefkasten- Firma an und merkte erst als er in Afghanistan landete, dass der Besitzer eigentlich ein Iraker war, einen, den er noch nie gesehen hatte. Als er in Kabul ankam, wurde er von einem 70-jährigen Projektmanager und einer Gruppe afghanischer Ingenieurs Studenten in Empfang genommen. Sie sollten ein 32 Millionen Dollar Projekt in Herat ausführen, das von der amerikanischen Armee bezahlt und für die afghanischen Sicherheitskräfte gebaut werden sollte. Bald habe er gemerkt, dass das Geld, das sie von ihrem irakischen Chef bekamen, nirgends hinreiche, da habe er Gott, um ein Wunder gebeten. Auf dem lokalen Markt mietete er Maschinen und das Wunder sei geschehen, die ersten Bauarbeiten seien zu einem viel niedrigeren Preis vollendet worden. Doch die Geldprobleme wurden immer schlimmer. Der Iraker zahlte nie pünktlich und immer zu wenig, so dass die lokalen Contractor nie zur Zeit und nie ausreichend bezahlt werden konnten. Nach einem Jahr verliess Mark seinen 8000 Dollar Job, um bei einer anderen Contracting-Firma für 12 000 Dollar im Monat anzuheuern. Er wurde nach Kandahar versetzt. Sein Nachfolger in Herat kämpfte weiterhin mit den Geldproblemen. Dann, nachdem der irakische Auftragnehmer eine grosse Tranche Geld erhalten hatte, tauchte er unter und wurde nie mehr gesehen. Mails und Telefonanrufe blieben unbeantwortet, das Projekt blieb unvollendet, die vielen afghanischen Subcontractors unbezahlt. Als der Manager ausreisen wollte, wurde er am Flughafen festgenommen, sein Pass von den afghanischen Behörden konfisziert. Er solle vor ein Gericht gestellt werden, konnte aber in einem Gästehaus wohnen. Von hier rief er Mark an. Dieser sollte ihm helfen. Er sagt, er habe etwas getan, das er eigentlich gar nicht öffentlich sagen dürfe, aber es sei darum gegangen einen Amerikaner, einen Mitbürger zu retten. Die vielen Contractors, die in Afghanistan arbeiten, benutzen ebenfalls den Armeetransport, um zurück nach Hause zu fliegen. Dafür brauchen sie keinen Pass. Das wusste auch Mark und er kannte das Sicherheitspersonal, das den Manager in den Flughafen und auf einen Flug nach Hause schleusen konnte. Der Manager gehört zu den vielen Contractors und deren Angestellten, die heute in Afghanistan auf der schwarzen Liste stehen, weil sie die Afghanen, um Millionen von Dollar gebracht haben. Der irakische Chef, so glaubt Mark, sei dieses Jahr in Dubai festgenommen worden und werde nach Afghanistan überstellt. Fälle wie diesen, gebe es unzählige in Afghanistan.
Jeder spricht heute davon, dass Ende 2014 die Nato-Truppen abziehen werden, unterschreibt Karzai oder der neue Präsident – alle Spitzen-Kandidaten haben versprochen, sie täten das – das Sicherheitsabkommen mit den USA, dann werden Tausende von Soldaten und Zehntausende von Contractors im Land bleiben. Mark nennt die Zahl 2014 deshalb ein politisches Zahlenspiel, denn eigentlich würden bereits Aufträge von 1.8 Milliarden USD darauf warten, in Afghanistan umgesetzt zu werden und viele der angefangenen Projekte seien weit über das Jahr 2014 ausgelegt. Er werde solange bleiben, wie Gott wolle, aber am liebsten noch ein paar Jahre.
29.3.2014 Panjir Tal
Auf dem Weg ins Panjir Tal bei dem Friedhof der russischen Panzer gestoppt. Es müssen Hunderte von Panzern sein. Der Soldat will uns zuerst nicht rein lassen, doch wie oft in Afghanistan geht’s dann doch. Der Kommandant sitzt auf einem ausgesessenen Sofa, überblickt den Friedhof der Russen: rostige Panzer, Skat-Raketen.
Weiterfahr nach Panjir. Zwischenstopp bei einem Mechaniker, um die Pneus mit Luft zu füllen. Der Mechaniker hat seinen Shop in einem Nato-Container eröffnet. Er mietet ihn für 20 Franken im Monat.
Durch die Schlucht des Panjir Tals rauscht der Fluss. Hier am Eingang traf ich beim letzten Mal einen bereits damals uralten Wächter, einen Mujahedin, wie beinahe alle hier, der den Taleingang hütet. Doch das Häuschen ist verschlossen, niemand hier.
Nach wenigen Kilometern öffnet sich das Tal. Noch sind die Felder braun, auf den Bergkuppen liegt Schnee. Die Strasse ist gesäumt mit Containern der Nato. Die Talbewohner haben darin ihre Läden eröffnet: Krämerläden oder Verkaufsstände von Autoteilen. Vor drei Jahren existierte kaum ein solcher Container Laden.
Nach einer Wegbiegung sehen wir das Denkmal von Ahmed Shah Massud, dem Anführer der Nordallianz, der kurz vor den Angriffen auf die Twin Towers ermordet wurde. Nicht nur im Panjir Tal ist der stolze Tajike ein Held, sondern im ganzen Land. Beim Denkmal stehen ein paar junge Männer mit Westen voller Taschen, wie sie Kriegsfotographen und Soldaten tragen. Sie sind zu jung, um noch mit Massud gekämpft zu haben, aber sie haben alle mit der Nato gearbeitet, die den Tajiken mehr traute als den Paschtunen. Heute hat keiner von ihnen mehr ein Job. In den letzten drei Jahren hätten sie in Smaragde geschürft und mit dem Verkauf der Edelsteine 300 000 Dollar verdient, erzählt einer von ihnen. Lieber aber wäre ihnen ein normaler Job, einer, der weniger schmutzig ist und bei dem das Geld regelmässig fliesst, wie damals, als sie noch für die Nato gearbeitet hatten. Keiner von ihnen ist deshalb glücklich über den Abzug der Nato-Truppen. Sie alle wollen für Abdullah Abdullah stimmen, den Präsidentschaftskandidaten, der bereits bei den letzten Wahlen auf dem zweiten Rang landete.
Alle unsere Gesprächspartner im Tal werden für den Tajiken Abdullah Abdullah stimmen, weil sie selbst Tajiken sind. Ethnische Verbindungen sind in Afghanistan bis heute stärker und wichtiger als ein Parteiprogramm, deshalb wird Abdullah Abdullah wohl auch dieses Mal nicht gewinnen. Die Tajiken sind eine Minderheit im paschtunisch dominierten Afghanistan.
Auf dem Rückweg suchen wir ein Restaurant, das den bekannten Panjir-Fisch serviert, von dem sogar die Afghanen in Indien schwärmen. Aber der Fisch scheint mehr Mythos zu sein, am Ende müssen wir uns mit Schafskebab und Reis zufrieden geben, wie es ihn überall in Afghanistan gibt. Zumindest beim Essen unterscheiden sich die ethnischen gespaltenen Landesteile nicht.
In Kabul interviewen verschiedene Ladenbesitzer: Bäckermeister, den Besitzer eines Krämerladens, einen Popocorn-Verkäufer und Schneider. Auch sie werden entlang der ethnischen Linien wählen – oder gar nicht. Denn, so sagt einer, sind nicht alle korrupt und arbeiten vor allem in ihre eigenen Taschen?.
Der Angriff von Taliban-Kämpfern auf die Wahlkommission in Kabul ging spurlos an uns vorbei. Er dauerte fünf Stunden, bis alle fünf Angreifer erschossen waren.
30.3.2014
Nader Nadery von den Wahlbeobachtern getroffen. Er sagt, es habe zwar weniger internationale Beobachter – die meisten seien gleich wieder abgereist – aber da es drei beinahe gleich starke Kandidaten geben, würden die Anhänger der Kandidaten die Wahllokale besser kontrollieren.
Heute kein Anschlag in Kabul.
Khost, 31.3.2014 Zalmai Rassoul – Wahlveranstaltung
Eine Wahlveranstaltung mit einem Präsidentschaftskandidaten ist eine riskante Angelegenheit. Das beginnt bereits früh morgens auf dem Flughafen in Kabul. Der Kampagne-Manager verteilt die namenlosen Boarding-Karten an uns Journalisten, dann besteigen wir die Propeller Maschine von East Horizon, einer Fluggesellschaft, die wir sonst unter allen Umständen meiden würden.
Die Hauptperson der Wahlkampagne, Zalmai Rassoul, früherer Aussenminister und der bevorzugte Präsidentschaftskandidat von Präsident Karzai, sitzt über seine Rede gebeugt in der letzten Reihe des Flugzeugs. Wüsste man nicht, dass dies der wohl zukünftige Präsident sein wird, man würde ihn übersehen. Gut für Karzai: ein schwacher Präsident macht erst einen starken ex-Präsidenten möglich.
Der Flug über verschneite Berge dauert eine halbe Stunde. Wir landen in Salerno, der ehemals grössten amerikanischen Armeebasis im Osten des Landes, an der Grenze zu Pakistan. Die Basis trug den Übernahmen Rocket city. Das Haqqani-Terrornetzwerk und die Taliban schossen regelmässig ihre Raketen über die Mauern. Vor zwei Jahren verbrachte ich hier mehrere Nächte während meines Embeds mit den amerikanischen Soldaten. Damals lebten hunderte von Soldaten auf der Basis. Doch diesmal ist das Rollfeld leer, keine Helikopter, keine Transportflugzeuge, nur die Wohn-Container und Hütten stehen noch, verschlossen und mit grossen schwarzen Kreuzen versehen. Einzig in einem kleinen Teil sehen wir afghanische Soldaten.
Ein paar Stammesführer begrüssen Rassoul auf dem Rollfeld. Die Fahrt vom Flughafen zum Gouverneurspalast ist halsbrecherisch, sie erinnerte mich an die Worte des IKRK-Vertreters in Kandahar: Die meisten unserer Patienten sind Opfer von Verkehrsunfällen.
Im Gouverneurspalast wird an einer langen Tafel Frühstück, Brot mit Käse und Omeletten, dazu Grüntee, serviert. Rassoul sitzt schweigend am Tischende, als ob er der Sekretär wäre oder zu müde, um die gängigen Höflichkeiten und Schmeicheleien auszutauschen. Sie würden ihn wählen, weil ein Verwandter des ehemaligen Königs sei und der König, der sei gut gewesen, sagt uns später ein Stammesführer.
Die Grossveranstaltung findet im Fussballstadion statt. Auf dem Rasen sitzen knapp zwei Hundert Frauen in blauen Burkas auf Plasticstühlen. Nach der Veranstaltung sehen wir sie alle im dasselbe Gebäude verschwinden. Keine der Frauen ist wohl alleine und aus eigenem Willen gekommen. In der ersten Reihe haben sich Bodybuilder in engen T-Shirts und Vertreter verschiedener Kampf-Clubs aufgestellt. Sie müssen schon einige Stunden gewartet haben. Vor dem Gebet und vor der Rede bricht plötzlich eine Schlägerei aus. Niemand weiss wieso und wer sie begonnen hat. Der Rasen verwandelt sich in eine Kampfzone. Bodybuilder und Kämpfer schlagen mit langen Holzstäben aufeinander ein. Wer keinen Stab hat, holt sich einen Stuhl, um ihn irgendjemandem an den Kopf zu knallen. Gekreisch unter den Burka-Frauen. Dann verlagert sich die ringende und schreiende Menge auf eine Seite, wird aus dem Stadion getrieben. Jetzt beginnt der Mullah sein Gebet. Die National-Hymne scheppert. Die Männer legen sich die Hand auf die Brust. Dann verspricht Rassoul neue Strassen, Schulen, einen Damm, Jobs für die Jungen, damit sie nicht mehr in die Golfstaaten auswandern müssen und mehr Sicherheitskräfte, um die Kämpfer aus Pakistan abzuwehren. Die Rede dauert wenige Minuten, dann dreht sich Rassoul um und eilt zum Ausgang, kein Händeschütteln, keine Umarmung. Der Konvoi fährt direkt zum Flughafen, wo die Maschine von East Horizon noch immer einsam auf dem Rollfeld steht. Später im Interview sagt Rassoul: Unser Land braucht keinen charismatischen Führer, es braucht einen, der die Stämme und das Land zusammenhalten kann, einen wie mich.
Am Nachmittag noch den Sicherheitsberater des Präsidenten getroffen. Er redete die Situation schön, sagte, die Gewalt konzentriere sich diesmal vor allem auf Kabul und vor allem auf Ausländer, um möglichst viel Publizität zu erreichen.
Keinen Anschlag in Kabul heute.
1.4.2014 Schreibtag
Heute mein erstes Stück geschrieben: Wahltour in Khost. Ruhe zu Hause. Auch schön. In der Provinz Tachar beschlagnahmt die Polizei 22 Tonnen Sprengstoff.
2.4.2014 Schreibtag
Schreibtag. Am Abend Abdullah Abdullah zu einer Pressekonferenz in seinem schwer gesicherten Haus getroffen. Die Pressekonferenz ist in Dari, wir können noch einige Fragen stellen. Zum Beispiel, wie er mit zwei angeblichen Kriegsverbrechern als Vizepräsidenten eine saubere Regierung haben will. Er weicht aus, sagt man müsse in die Zukunft blicken.
Mit Kollegen Abendgegessen und mit seinem Fixer über Kandahar gesprochen. Einige Stämme scheinen ziemlich unglücklich über Karzais Politik zu sein.
Anschlag auf das Innenministerium. Ein Selbstmordattentäter tötet sechs Polizisten. Er war in einer Militäruniform verkleidet.
3.4.2014 Schreibtag
Schreibtag. Um 15.00 Uhr Interview mit Ashraf Ghani, dem dritten Präsidentschaftskandidaten, ehemaliger Finanzminister und Weltbank Angestellter. Er spricht viel von wirtschaftlicher Entwicklung, aber wenig davon, wie die Jobs genau schaffen will.
4.4.2014
Eine deutsche Kriegsfotografin wird bei ihrer Recherche von einem Polizisten erschossen. Ihre Kollegin verletzt. Wie soll man in Zukunft noch wissen, wer Freund und wer Feind ist?
5.5.2014 Wahlen
In den Wahllokalen in Kabul unterwegs. Viel Enthusiasmus, viele Männer, wenig Frauen. Kabul ist abgeriegelt, an jeder Ecke ein Checkpoint und wider aller dunkler Prophezeiungen bleibt die Stadt friedlich. Bin erleichtert morgen zurück zu fliegen. Ende des Nervenkriegs.