„Welcome to Kurumba! Darf ich Ihre Tasche tragen? Bitte setzen Sie sich! Voilà, ein kleines Willkommenseis – Banane mit Kokosnuss und ein wenig Vanille. Ich rufe sofort ein Elektromobil, um Sie zu ihrem Bungalow zu fahren. Geniessen Sie Ihren Aufenthalt!“ Kurumba Resort. Das Paradies auf Erden und das erste von bislang 110 Resorts auf den Malediven. Es liegt auf einer kleinen Insel im indischen Ozean. Wenn ich die Tür des Bungalows aufstosse, glitzert das Meer türkisblau. Fünf Schritte und ich bin im Wasser, sehe Papageienfische, Stachelroche, Riffhaie. Am Abend spielt in der Sand Bar die Band zum Sunset Jazz auf. Ein junges Paar aus Libyen feiert den ersten Hochzeitstag. „Die letzten vier Tage fühlten sich an wie einen. Es ist wunderbar hier und die Leute so freundlich. Absolut empfehlenswert!“ , schwärmt Hussein aus Bengasi. „Habt ihr auch echte Maledivier getroffen? Wisst ihr, wer hier regiert und was hier in den letzten paar Tagen politisch passiert ist?“ Die beiden Libyer schütteln den Kopf. Sie haben die Insel nie verlassen, sind direkt per Speedboot vom Flughafen auf das künstliche Paradies gebracht worden. Die meisten Touristen, die hierher kommen, machen es genauso. Sie haben das Paradies aus dem Hochglanzprospekt gebucht und verlassen es bis zu ihrem Abflug nicht. Von den Malediven der Einheimischen wissen sie nichts.
„Die Malediven sind scheisse. Die Regierung ist nutzlos. Ich will nur eines: weg.“ Tebey hat sich einen Joint gerollt. Er sitzt rittlings auf einer Mauer am Surfpoint in Male, der Hauptinsel des Inselstaates. Das Leben hier, zehn Bootsminuten von Kurumba entfernt, gleicht jenem auf einem anderen Planeten. Ungefähr 150 000 Menschen leben dicht gedrängt in Hochhäusern auf der kleinen Insel. Während es auf den Resort-Inseln Alkohol im Überfluss gibt und Bikinis erlaubt sind, ist auf der muslimischen Hauptinsel und auf allen anderen Inseln, auf den Malediver leben, beides verboten. Jugendarbeitslosigkeit und Langeweile dominiert in Male. Stundenlang kurven die jungen Männer auf ihren Mopeds um die Insel. „Wenn du kein Moped hast und kein teures Handy, dann kriegst du kein Chick, kein Mädchen“, sagt der Surfer Tebey. „Ich habe beides nicht, aber was soll’s, wenn ich schnell gehe, schaff ich‘s in zwanzig Minuten einmal um die Insel.“ Tebey zieht an seinem Joint. Drogen, sagt er, seien die einzige Freizeitbeschäftigung, die den jungen Maledivern hier bleibe. In jeder Familie ein Süchtiger. Heroin, Cannabis, Ecstasy alles sei hier vorhanden. „Ich selbst war zehn Jahre lang abhängig. Mit Dreizehn habe ich begonnen, weil mir ein Freund Heroin gab. Er sagte, es sei gut für die Konzentration. Danach hatte mich das Zeugs fest im Griff. Ich habe wegen Drogenbesitz sogar ein Jahr lang im Gefängnis verbracht. Dann kam Mohammed Nasheed an die Macht und hat viele von uns raus gelassen. Jetzt nehme ich nur ab und zu noch eine Dosis. Dann, wenn mich das Verlangen nicht mehr loslässt.“ Jede Familie und jede Insel habe ihre Drogensüchtigen, sagen auch die Behörden, die für die Abhängigen Zentren auf den Inseln eingerichtet haben. Aber es gibt viel zu wenige Entzugszentren und wer rauskommt landet wieder im selben Leben, auf derselben Insel, geplagt von der gleichen Langeweile.
Von all dem wissen die Touristen in Kurumba nichts. Am Abend haben sich einige zum Karaoke-Singen versammelt. Andere spielen Billard. In den acht Restaurants strecken die Verliebten bei Kerzenlicht über frischem Sushi und Roastbeef-Häppchen ihre Köpfe zusammen. Es gibt alles, was das Herz begehrt: Frisch gepresste Säfte, Passionsfrucht-Mojito, Salate und Meeresfrucht-Assortiments. In den Zimmer stehen Nespresso Maschinen und jeden Tag wird die Minibar neu aufgefüllt. Wer ein Zimmer ab 350 Dollar die Nacht bucht, muss auf nichts verzichten. Und wer in den Ferien ist, will sich nicht fragen, woher all die Luxusgüter kommen und wohin der Abfall geht.
Fünfzehn Bootsminuten von Male entfernt riecht das Paradies so giftig, dass ich mir ein Taschentuch über Mund und Nase binden würde, wenn ich es nicht vergessen hätte. Der Wind hat gedreht und der Rauch bläst in unsere Richtung. Die Augen beginnen sofort zu tränen und der Rauch dringt in die Lungen und provoziert einen Husten, der tagelang hartnäckig bleibt. Welcome to Tilafushi, der Abfall-Insel. An schönen Tagen sieht man den Rauch von Tilafushi sogar in Kurumba, aber wer weiss dort schon, dass Tilafushi überhaupt existiert? Eine Insel gemacht aus Abfall. Hier serviert niemand Eis und niemand kommt zur Begrüssung ans Pier. Die einzigen, die die Fähre verlassen, sind Billigarbeiter aus Bangladesch. Sie halten die Malediven am Laufen und machen die Arbeit für die sich die Malediver zu schade sind. Sie schaufeln den Abfall von den ankommenden Schiffen. (Sie haben Agenten in Dhaka bis zu 5000 Dollar bezahlt, weil diese ihnen einen gut bezahlten Job in einem Restaurant in Male oder in einer Fabrik versprochen hatten. Viele von ihnen erzählen dieselbe Geschichte: Als sie in Male landeten, war der Agent weg, der versprochene Arbeitgeber unauffindbar. Sie mussten einen anderen Arbeitgeber finden und als ihr Visa endete, blieben sie illegal. Immer in der Angst von der Polizei verhaftet zu werden. Ihnen bleiben Jobs, wie jene in Tilafushi. Sie krigen 150 Dollar im Monat – wenn sie bezahlt werden.)
Beinahe vierhundert Tonnen Abfall werden täglich per Boot in Tilafushi angeliefert. Die Hälfte kommt von den Resort-Inseln, die andere von Male und den anderen bewohnten Inseln. Ein Grossteil des Abfalls erreicht Tilafushi jedoch nie. Er wird auf den Inseln verbrannt oder nachts über Bord gekippt. Denn wer seinen Abfall nach Tilafushi bringt, bezahlt. Als Mohammed Nasheed 2008 als erster demokratisch gewählter Präsident an die Macht kam und der 30-jährigen Diktatur von Maumoon Gayoom ein Ende setzte, begann auch eine neue Ära für Tilafushi. Der Umweltschützer Nasheed begann den Abfall zu sortieren. Man diskutierte darüber, Plastic, Metall und andere nicht verbrennbare Materialien nach Indien zu verkaufen. Doch dazu kam es nicht. Nasheed wurde im Februar 2012 gestürzt, das Land versank im Chaos und in Tilafushi wird seither nicht mehr sortiert. Geschweige denn mit Indien geschäftet. Fliegenschwärme lassen sich wie grosse Wolken auf alles nieder, was noch nicht brennt: offene Büchsen mit Tomatenpaste, gammelnde Hühnerbeine, klebrige Red Bull Büchsen. Das Ende des Abfallbergs ist nicht sichtbar. Es liegt versteckt hinter beissendem, grauem Rauch.
Jason Kruse, der Manager von Kurumba, schickt jede Woche ein Boot mit Abfall nach Tilafushi. Er bemüht sich jedoch, seine Insel so grün wie möglich zu halten. Das Süsswasser wir auf der Insel entsalzt, der Plastic geschreddert, der Grünabfall zu Kompost verwertet. „Wir fragen auch unsere Gäste, ob sie einen Teil ihres Abfalls mitnehmen können.“ Das hätten sie gerne getan, sagt ein junges Paar aus Sri Lanka. Aber ihre Koffer waren voll. Ihr Abfall brennt in Tilafushi.
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