9.00 Uhr morgens. „Du kannst einen Ein-Tages-Pass kaufen, oder besser kaufst du einen Drei-Tages-Pass. Das kostet dann 2040 Rupien, plus Registrierungsgebühr von 1130 Rupien und HIV-Test, macht total: 4320 Rupien. Wieviele Tage willst du? “ Die Receptionistin wirkt ungeduldig, leicht genervt. Sie kommt aus Mexiko, dort habe sie einen immer-fröhlichen-Mann kennen gelernt und wollte sein Geheimnis wissen. Er sei ein Osho-Anhänger, erklärte er. Sie kaufte sich ein Flugbillet nach Indien, um im Osho International Meditation Resort selbst fröhlich zu werden. Sie erzählt schnell und gehetzt. In der Eingangslobby warten weitere potentielle Kunden. Ich rechne. 68 Franken für drei Tage. Das Osho Meditation Resort in Pune ist nichts für arme Schlucker. „Was kriege ich für die 4320 Rupien?“ „Du kannst in alle Meditationen: 6 bis 7 Uhr Osho Dynamische Meditation, dann sitzen im Schweigen, Osho Talks, Tanz und so weiter. Swimming Pool, Jacuzzi und Tennisplatz kostet extra. Tagsüber musst du eine weinrote Robe tragen, am Abend eine weisse. Die kannst du in der Galleria kaufen. Ach, und noch was: Geld benützen wir hier nicht. Nur Voucher, die kannst du dort drüben kaufen – aber nicht mehr gegen Geld eintauschen.“ Ich entscheide mich für einen Tagespass. Werde abgefertigt. Der nächste bitte.
Bis zu diesem Morgen kannte ich nicht viel mehr als Stereotypen von Osho. Osho der Sex-Guru. Osho, der eine Rolls Royce Flotte besass. Osho der Provokateur, der weder in Pune noch später in Amerika willkommen war. Osho, der Freiheit und Freude und freie Liebe verkörperte und so Hunderttausende – vor allem Westler – in den 70er und 80er Jahren anlockte. Doch jetzt 2013 ist alles anders. Der Ashram ist kein Ashram mehr sondern ein Osho Meditations Resort. Und Osho ist seit 1990 auch nicht mehr. „Nie geboren, nie gestorben: nur zu Besuch auf dem Planeten Erde zwischen dem 11. Dezember 1931 und dem 19. Januar 1990“, steht auf einer Gedenktafel im Meditationssaal mit dem Marmorboden, wo Oshos Asche liegt.
Der Tag beginnt für Neulinge wie mich mit dem Welcome morning. Einer Einführung, bei der wir – eine Gruppe von Israeli, Chinesen, Russen, Südamerikanern und einem indischen Gottesmann mit langen Rasta-Locken – lernen, wo man den weinroten Badeanzug fürs Jacuzzi kauft und wie die Kundalini Meditation funktioniert. Wir sollen Tanzen, loslassen, schreien, heulen. Ziemlich ungewohnt, vor allem wenn man wie ich seit einigen Jahren im konservativen Indien wohnt. Gefühle gehören hier in die eigenen vier Wände. Wenn überhaupt. Über Sex spricht man nicht. Und jetzt auf einmal das: Alle Barrieren niederreissen. Und was sagt der junge Russe, der den Einführungskurs in magerem Englisch leitet? Lasst der Energie im Sexzentrum – das liege zwei Fingerbreit unter dem Nabel – freien Lauf. Kein Wunder war Osho in seinem Heimatland und im ultrakonservativen Pune verhasst wie die Dengue-Mücke. Er habe ihre Familie zerstört, erzählt mir später eine Inderin, die seit einigen Jahren von ihrem Mann getrennt lebt und die keine zehn Elefanten in das Osho Meditations Resort bringen. Ihr Mann habe nur noch Augen für Osho und für andere Frauen gehabt. Osho der Angebetete. Osho der Führer, der Allwissende. So wird ihm noch heute gehuldigt von seinen Anhängern. Steht das nicht im Widerspruch zu all dem, was er lehrte? Ende des Guru-Kults. Ende des Egos. Zerstörung aller Konditionierung. Widerspruch und Osho, zwei für dasselbe.
Beim Willkommens Morgen sind wir jetzt bei der Dynamischen Meditation angelangt. Mit ihr sollen alte festgefahrene Muster im BodyMind-System aufgebrochen werden, erklärte der Russe. Wir üben versuchsweise zwei Minuten von allen zehnminütigen Phasen der Meditation. 1. Schritt: Wildes Durcheinander Atmen. Der Russe macht es vor. Sein Rotz spritz aus der Nase und auf seine weinrote Robe. Während eine Schachtel Klinex die Runde macht, säubert er sich. Wir üben. Zwei Minuten lang. Sehr anstrengend. Zweite Phase: Explodiere. Lasse den Teufel raus. Der Raum wird zum Irrenhaus. Dritter Schritt: Springen mit erhobenen Armen und rufe dabei: Huh! Huh! Huh! Vierter Schritt: Erstarre. Dann tanze.
Diese Meditation habe sie ruhiger und gelassener gemacht, sagt Vatayana. Die Deutsche kommt seit 25 Jahren ins Zentrum, war einst Kindergärtnerin und Heilpädagogin. Jetzt pendelt sie zwischen Pune und Deutschland und arbeitet hier. Geld kriegt niemand für seine Arbeit. Arbeit sei Meditation. Geld wird nur gezahlt – an das Osho Meditations Resort. „A money point“ nennt ein Riksha-Fahrer, der seit 15 Jahren Meditierende von A nach B fährt, das Resort. Eine Geldmaschine. Schön, aber komplett unerreichbar für die meisten Inder, deren Monatseinkommen einem Dreitagespass (inklusive Registrierungsgebühr und Kosten für den HIV-Test) entspricht. Seit Osho tot sei, sei die Seele des Ashrams – pardon: Osho Meditations Resort – tot, sagt der Riksha-Fahrer. „Blödsinn“, widerspricht John Andrews. Der Engländer gehört seit mehr als dreissig Jahren zum inneren Kern. „Wir könnten das Osho Meditations Resort als drei Sterne Platz führen und drei Sterne verrechnen. Oder es ist ein fünf Sterne Meditations Resort und wir verrechnen fünf Sterne Preise. Osho war ein fünf Sterne Mensch. Es ist klar, was er wollte. Osho sagte immer: Ihr zahlt für alles, nur dann ist es etwas wert. Klar, das schliesst viele Leute aus, aber die Inder müssen zuerst Geld für ihr Brot verdienen. Erst wenn sie das haben, können sie sich um Meditation kümmern. Und wenn sie doch meditieren wollen, dann gibt es tonnenweise andere Meditations-Orte in Indien.“
Zwischenbemerkung: Die Interviews mit Vatayana und John Andrews waren übrigens nur möglich, nachdem ich einen Vertrag unterschrieben hatte. Darin stand unter andrem, dass Osho nur als Osho bezeichnet werden dürfe. Nicht als master oder guru etc. Zudem: Osho International Meditation Resort wird nur unter diesem Namen genannt – und nicht unter Ashram oder einem alten Namen. Jetzt wissen Sie, wieso Sie dieses Ungetüm von einem Wort in den letzten Zeilen so oft lesen mussten. Nein, man möge Journalisten nicht, sagt Andrews. Die hätten so viel Schlechtes geschrieben. So viel zum freien Leben.
Nach vier Stunden ist die Einführung zu Ende. In der Lobby mahnt ein indischer Mitarbeiter ein paar indische Besucher: „Noch heute kommen einige Inder hierher, weil sie glauben, hier könnten sie gratis und einfach Sex haben. Sie lümmeln dann stundenlang im Pool herum und versuchen Mädchen abzuschleppen. Aber denkt daran: Eine Beschwerde einer Frau und euer Eintrittspass ist weg.“
Übrigens, die Mexikanerin an der Reception, erzählt noch in einer ruhigen Minute: „Ich bin froh, wenn ich nach Hause kann. Die Leute hier sind Müssiggänger.“ Und das Glück? Das wird sie woanders suchen müssen. Vielleicht gibt’s dort keine Eintrittsgebühr und keinen HIV-Test.
Veröffentlicht in „Neue Wege“