Wir stehen mitten im Minenfeld irgendwo nördlich von Vavuniya im Norden Sri Lankas. Zwischen den zerschossenen Häusern haben Minenräumer bereits lange Korridore gesäubert. Rote Markierungen stehen eng beieinander. Jede steht für eine Mine. Es müssen Hunderte sein. Sie bilden Linien um die Häuser, um die Brunnen, um dieses Dorf, das die Tamil Tigers noch kurz vor Kriegsende besetzt hatten.
Am Boden kniet eine junge Frau in einer Schutzweste, das Splittervisier vor dem Gesicht. Sie schneidet das Gras vor ihren Knien und stösst dann eine kleine Schaufel schräg in die Erde. Zentimeter für Zentimeter rückt sie voran – bis sie auf eine Mine trifft. Sie gräbt sie aus, schraubt sie auf, separiert beide Teile. Dann arbeitet sie weiter.
Wie viele Minen noch in Sri Lanka liegen weiss niemand. Minenräumer nennen ihre Arbeit „Emergency cleaning“. Häuser und Dörfer kommen zuerst, damit die Bewohner zurückkehren können. Dann sind die Reisfelder an der Reihe. Die Minenräumer haben nur Zugang zum Gebiet westlich der A9, welche Vavuniya mit der nördlichen Halbinsel Jaffna verbindet. Das Gebiet östlich der A9 bleibt auch neun Monate nach Kriegsende Sperrgebiet. Die Armee bildet ihre eigenen Leute aus, um die Minen dort zu entfernen. Weil sie ihre Kriegsverbrechen vertuschen will, sagen viele. Andere sprechen von Massengräbern. Fragen, wo all die Kriegstoten geblieben sind. Doch sie sagen es selten laut, nie in Gegenwart eines Regierungsbeamten, nie in ein Mikrophon. Die ausländischen Minenräumer sagen: „Wir arbeiten sehr gut zusammen mit der Armee und der Regierung.“ Wer hier lebt und arbeitet weiss, dass es nur ein falsches Wort braucht und eine ganze Organisation wird ausgewiesen.
Wer in Sri Lanka als Journalist arbeitet, bewegt sich permanent in einem Minenfeld. Ein Wort, eine Frage kann eine Explosion auslösen. Und die Minen, die Journalisten hier bedrohen, verletzen sie nicht bloss, sondern bringen sie meist ganz zum Verschwinden, zum Beispiel durch Entführungen am helllichten Tag. Als ich im Januar zu den Präsidentschaftswahlen in Colombo war, verschwand ein Journalist. Bis heute fehlt von ihm jede Spur. Deshalb schweigen die meisten Journalisten, obwohl sie wissen, was wirklich vor sich geht, wer lügt, wer korrumpiert, wer politische Morde anordnet. Oder sie verbreiten Wort für Wort das, was ihnen die Regierungsbeamten sagen. Ohne Nachhaken, ohne Kommentar.
„Herr Minister, wieso ist das Hotel, in dem sich General Fonseka aufhält, von Soldaten umstellt? Und ist es wahr, dass Basil Rajapakse sich im Büro des Wahlleiters aufhält?“ In Europa hätte gewiss jeder Journalist diese Fragen am Tag der Stimmenzählung und Bekanntgabe des Wahlresultates gestellt. Die Fragen lagen auf der Hand. Wir alle hatten die Soldaten rund um das Hotel des Oppositionskandidaten gesehen. Wir alle hatten es gehört: Der Bruder des Präsidenten ist in der Wahlkommission. Das deutete auf möglichen Wahlbetrug hin. Alles verlangte nach einer Stellungnahme. Aber nicht in Sri Lanka. Die lokalen Journalisten haben alle geschwiegen. Niemand hat eine Frage gestellt. Wohl wissend, dass einen Fragen hier nur in Schwierigkeiten bringen. Sie haben auch geschwiegen, als der persönliche Medienberater des Präsidenten laut wurde, mich Weisshaut nannte, unverschämt, solche Fragen zu stellen. Wahrscheinlich war niemand von ihnen erstaunt, als ich am nächsten Tag einen Brief von den Behörden erhielt, mit der Weisung, ich hätte innerhalb von vier Tagen das Land zu verlassen.
Es ist umso erstaunlicher, dass es in Sri Lanka Journalisten gibt, die sich trotzdem wehren und sogar überleben. Einer von ihnen arbeitet seit dreissig Jahren als Journalist. Er hatte beste Kontakte zu den Tamil Tigers und hat gute Kontakte in die Regierung. Er sagt: „Natürlich bekomme ich Morddrohungen. Natürlich. Man lernt damit leben. Du machst einfach weiter und denkst: Ich sterbe nur einmal.“ Er war es, der mir sagte: „Geh nicht, du musst dich wehren. Tu es auch für uns.“ Er mobilisierte die gesamte nationale und internationale Presse, machte meine Ausweisung publik, rief all seine Kontakte innerhalb der Regierung an. Dass der Präsident am Ende die Ausweisung persönlich zurückzog, war vor allem sein Verdienst. Beim Namen nennen kann ich ihn hier nicht – auch er ist gegen Vergeltungsmassnahmen der Regierung nicht gefeit.
Das Interview mit dem Präsidenten hernach: ein Wiedergutmachungsversuch. Die Einladung auf eine Wal- und Delfinbeobachtungstour sollte wohl zu positiver Berichterstattung animieren. Dass sie mich auf einem Boot platzierten, das der Tourismus-Direktor für fünfundzwanzig Miss- Slowakei- Anwärterinnen gechartert hatte, machte den Versuch vollends absurd. Tage vorher wollten sie mich aus dem Land schmeissen und jetzt sass ich auf Deck inmitten langbeiniger Missen, die sich vor der Kamera in Pose warfen, während Delfine fröhlich neben dem Boot in die Luft sprangen.
Die meisten lokalen Journalisten versucht die Regierung gar nicht erst zu bestechen. Auch nicht die Mitarbeiter von Ausländern. Und so trägt, wer kritisch fragt und berichtet, auch immer die Verantwortung für seine Mitarbeiter. Das erschwert die Arbeit ungemein, macht sie zu einem Balanceakt zwischen Wahrheitssuche und kluger Vorsicht zum eigenen Schutz und vor allem zum Schutz des Lebens der ortsansässigen Informanten und Übersetzer.
In den drei Januarwochen, die ich in Sri Lanka verbrachte, verschwand ein Journalist spurlos, ein anderer wurde verhaftet, eine Zeitung geschlossen – später wieder geöffnet – , und all jene Journalisten, die vor den Wahlen den kurzzeitigen Freiraum genutzt hatten und kritischer berichtet hatten, tauchten in den Untergrund ab. Wann sie wieder auftauchen, weiss niemand. Der Präsident wird die nächsten sieben Jahre regieren. Sein Wahlversprechen, Pressefreiheit zu gewähren, scheint er bereits vergessen zu haben.