Vom Versuch meinen Container aus dem Zoll zu lösen und einem Besuch im Immigrationsministerium
Der Container ist da. Er ist gestern in Delhi gelandet. Der Agent sagt: Die Papierarbeit ist beinahe erledigt, nur noch eine Kleinigkeit fehlt: Der Nachweis, dass Sie mindestens ein Jahr in Indien bleiben. Sie müssen ihr Drei-Monate-Journalisten-Visum auf ein 1-Jahres-Journalisten-Visum verlängern, sonst können wir den Container nicht auslösen.
Kein Problem, denke ich und nehme am Morgen eine Rikscha nach Shastri Bhawan ins Regierungsviertel. Ma’m, where go? – Ministry of External Affairs? – Hä? Hindi? – No Hindi Mister, English? Ministry of Foreign Affairs? External Affairs? – No Ma’m.
Ewig lange Alleen und noch viel längere Hausblöcke. Ein Regierungsgebäude ans andere gereiht. Ein Ministerium, das gleich aussieht wie das andere. Wir brauchen eine halbe Stunde, dann stehe ich vor einem rosa hufeisenförmigen Ministerium, das an DDR-Zeiten erinnert. Okay, Ma’m, 120 Rupies.
Vor dem Hauptgate hängt eine Tafel: Ministry of Coal, Ministry of Mines, Ministry of Information, Ministry of External Affairs… Bloss welche Tür? – Gate Nr. 6 Ma’m, sagt der Soldat, den ich hinter seinem Sandsack anstupse. Einmal ganz ums Gebäude herum. Bei Gate 6 weiss niemand was vom Ministry of External Affairs, das sei bei Gate Nr. 1. Also zurück.
In einer Rezeption sitzen zwei Männer vor sechs Telefonen. Coal steht auf dem einen, Mines auf dem anderen, I auf dem nächsten. Der Beamte grübelt mit dem Stift im Ohr, prüft dann den Schmalz auf dem Stiftende. Yes Ma’m? Ministry of External Affairs? Ein Stempel knallt auf ein Papier. Erster Stock, Tür 365. Gänge links und rechts und eine Tür reiht sich an die nächste und am Ende der Gänge noch weitere Gänge wie in einem Spiegelsaal.
Dort im Büro des Aussenministeriums, Sektion ausländische Presse, Tür 365 sitzt Ramakrishna, der Untersekretär der Pressesektion. Für die Visum-Verlängerung brauche ich einen Brief von ihm. Switzerland, sagt er. Switzerland, sagt er nochmals, schnalzt zweimal anerkennend und dann sagt er: Kommen Sie um drei Uhr wieder – es ist zehn Uhr morgens -, dann bin ich mit dem Brief fertig.
Um darüber nachzudenken, was ich jetzt mit den nächsten Stunden anfangen soll, gehe ich zum Teestand ausserhalb des Büros. Dort steht auch Untersekretär Ramakrishna beim Tee. Hello Ma’m, möchten Sie einen Tee? Ramakrishna bestellt einen süssen Chai mit viel Milch, kommt zurück und zeigt dann mit dem Finger auf den Affen, der eben über die mehrspurige Autostrasse turnt: Geraten Sie ja nie in Panik wegen der Affen, immer schön ruhig weitergehen, sonst beissen die Ihnen ein gutes Stück Schweizer Fleisch aus dem Bein. Wir unterhalten uns über die Affenplage, Hindifilme und dann, als wir den Tee ausgetrunken haben, sagt er: Wissen Sie was, kommen Sie wieder rauf, ich mache Ihnen den Brief jetzt.
Es sei eine kleine Sache, sagt Ramakrishna, als er mir das Empfehlungsschreiben für das Innenministerium aushändigt. Im Innenministerium müsse ich lediglich den Brief abgeben und für die Visumverlängerung bezahlen. Morgen könne ich wieder kommen und beim Pressebüro eine Pressekarte beantragen.
Die Sektion des Immigrationsministeriums für die Registrierung von Ausländern liegt am anderen Ende der Stadt gleich hinter dem Hotel Hayatt. Wer den indischen Verkehr kennt und weiss dass Delhi eine 15 Millionen Metropole ist, kann sich vorstellen wie lange das dauert. Aber indischer Verkehr ist eine andere, eigene Geschichte….Im Raum stehen etwa hundert Plasticstühle, die alle besetzt sind. Ein Schalter ist den Afghanen zugeteilt, die anderen uns anderen Ausländern. Bei der Rezeption nimmt mir einer das Schreiben weg, ein anderer nickt mit dem Kopf und ein dritter gibt mir eine Nummer. Nummer 44, ich muss warten. Die Leuchttafel zeigt Nummer 42. Ich setze mich. Es kann nicht lange dauern. Links und rechts sitzen Frauen, viele Afghaninnen. Ihre Männer haben eine grosse Menschentraube um den Schalter gebildet. Überall wird gedrängelt, Hände mit Papieren sind in die Luft gestreckt. Eine halbe Stunde verstreicht. Die Nummern auf der Leuchttafel für die Schalter 1, 2 und 3 ändern sich nicht. Aber an den Schaltern 1, 2 und 3 stehen Menschenschlangen. Eine Stunde vergeht. Wieso ändern die Nummern nicht? – Sie müssen warten. Ihre Akte wird bearbeitet. Zwei Stunden verstreichen. Dann, um halb zwei, stehen alle Beamten auf und verlassen den Raum. Die Nummern auf der Leuchttafel verschwinden. Mittagspause.
Vor dem Büro lehnt ein Inder an seinem tiefer gelegten Auto. Die Beamten kommen wieder, keine Sorge. Gaurav Chandhok, Anwalt, sehr erfreut. – Meinerseits. – Ich bin hier wegen dem Nigerianer. Hast ihn gesehen? Haben ihm eben Pass abgenommen. Bin spezialisiert auf Schwarze. Afrikaner und so. Du? – Journalistin – Probleme mit dem Visum? Frag mich. Ich kann alles besorgen. Eine Visum-Verlängerung, alles. – Für wie viel? – 50’000 Rupien für ein Empfehlungsschreiben aus dem Ministerium. Habe meine Kontakte. – Schön. Heute schaff ich’s alleine. – Auch andere Papiere, kein Problem. Und sonst, was machst du so, im Leben und so? Kann dir das Nachtleben von Delhi zeigen….
Nach der Mittagspause. Die Leuchttafel ist immer noch blank. Ich bewege mich nicht mehr vom Rezeptionisten weg, bis ich mein Schreiben aus dem Aussenministerium wieder habe. Dann stelle ich mich beim Schalter 1 an. Der Beamte hebt nur mühsam den Kopf, als ich an der Reihe bin. Pass- und Visum-Kopie? – Ja – Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers? – Ja – Mietvertrag? – Ja – Schreiben
des Aussenministeriums? – Ja – Gut. Doch dann kommt wieder dieses Kopfwackeln, und das, ich kenne es bereits, bedeutet entweder: Ich weiss zwar nicht, was du von mir willst, aber ich werde dir irgendeine Antwort geben auch wenn sie nicht stimmt, oder, lass mich nachdenken, oder, wir haben ein Problem. Auf jeden Fall nichts Gutes: Oh Ma’m, schauen Sie, der Mietvertrag muss zuerst noch vom Notar beglaubigt werden. – Aber auf dem Vertrag stehen doch alle Unterschriften? – Reicht nicht. Gehen Sie zum Notar. Kommen Sie wieder mit der Beglaubigungsunterschrift. – Aber wie soll er beglaubigen? – Der macht das schon. Der Strasse entlang, hinter dem Hayatt, nicht weit Ma’m, gleich im Passbüro.
Es dauert zwanzig Minuten bis ich aus dem Büro heraus komme, obwohl die Distanz zwischen Eingangstür und Warteraum bloss zehn Meter beträgt. Aber der Boden wird gerade geputzt. Wer rein will muss warten, bis der Boden wieder ganz trocken ist. Wer raus will auch.
Im Passbüro sagen sie: Wir haben nichts mit Ausländern zu tun, gehen Sie ins Immigrationsbüro. – Von dort komme ich! Ich weigere mich wegzugehen. Da erbarmt sich ein junger Mann, der auf seinen Pass wartet. Er werde mich zu einem Notar bringen.
Vor einem nahen Einkaufszentrum lungern mehrere Männer herum und bieten ihre Dienste an. Sie wollen 400 Rupien, um alle Stempel zu besorgen. Erleichterer seien das, erklärt mein Begleiter. Ohne sie komme man nirgends nirgendwohin. Es sei denn, man habe Kontakte direkt in die Ministerien, dann gehe das ruckzuck. Aber 400 Rupien? Nein, das sei zu viel.
In einem Büro, das sich in einer dunklen Ecke einer Einkaufsstrasse befindet, steht auf einer Glasscheibe: Notary. Vor dem Foto einer Blondine und des Elefantengottes sitzt einer, der sagt er sei Notar. Er schaut sich den Mietvertrag an, reicht ihn einem Erleichterer weiter, der uns neben ein Strassenrestaurant führt. Dort sitzt ein Mann vor einem Buch, in das er Namen und Nummern eingetragen hat. Mein Mietvertrag wird weggetragen. Eine halbe Stunde später kommt er wieder. Macht 50 Rupien für den Erleichterer, 250 für den Notar. Also zurück ins Immigrationsbüro.
Jetzt müsse ich noch das grüne Formular und das Büchlein für die Residenzbewilligung ausfüllen. Vom grünen Formular brauche er drei Kopien, sagt der Beamte von Schalter 1. Im Immigrationsbüro gibt es keine Kopierer, aber hinter dem Ministerium, über der mehrspurigen Strasse. Neben dem Rikscha-Mechaniker steht ein Kopiergerät. Es funktioniert sogar.
Es ist halb fünf. Auf den Plastikstühlen der Sektion des Immigrationsministeriums für die Registrierung von Ausländern sitzen nur noch wenige Ausländer. Der Beamte am Schalter Nr. 1 nickt einmal kurz, als er durch die Kopien blättert. Dann sucht er in einer Schachtel auf dem Tisch nach dem richtigen Stempel. Nur einmal hebt er während seiner Arbeit kurz den Kopf: Ma’m, Switzerland, das ist doch ein Land ohne Meeranschluss? Er drückt den Stempel auf den Pass: Aber im Schengenraum seid ihr doch? So, Ma’m, das macht 5881 Rupien.
Morgen muss ich ins Informationsministerium, um eine Pressekarte zu beantragen. Vielleicht sollte ich den Anwalt Gaurav damit beauftragen.
Karin Wenger