Palästinensische Kollaborateure im Dienste Israels
Israel webt in den besetzten Gebieten an einem dichten Netz von palästinensischen Kollaborateuren. Für die Rekrutierung dieser Spitzel nutzt der israelische Geheimdienst die Abhängigkeit der palästinensischen Bevölkerung aus. Die Kollaborateure sind schutzlos der Willkür der palästinensischen Milizen ausgesetzt.
Abu Mahmud aus Gaza gehört zu jenen Personen, die in der palästinensischen Gesellschaft als Abschaum verachtet werden. Jahrelang diente er dem israelischen Inlandgeheimdienst Shabak als Kollaborateur. Heute sitzt er im Gefängnis von Gaza eine Strafe ab. Zusammengesunken sitzt er in der neu eingerichteten Gefängnisbibliothek und erzählt nur mühsam von seiner Vergangenheit, mit der er am liebsten nichts mehr zu tun hätte. Er bezeichnet sich selbst als Mörder. Wer einmal als Kollaborateur bekannt ist, der wird in der Regel gleich umgebracht; wenn nicht, wird er von der Gesellschaft geächtet und bringt Schande über seine ganze Familie. Niemand will in eine Kollaborateursfamilie einheiraten, und nicht selten versuchen die Kinder von Kollaborateuren durch besonders militanten Widerstand, das Vergehen ihrer Eltern wieder gutzumachen.
In eine Falle geraten
Abu Mahmud hatte nie die Absicht, mit dem Shabak zusammenzuarbeiten. Als arbeitsloser Journalist sah er 1996 in einer Lokalzeitung von Gaza ein Stelleninserat, mit dem ein israelisches Medieninstitut Journalisten aus Gaza suchte. Abu Mahmud sandte seine Unterlagen, wurde angestellt und schickte fortan Informationen. Nach einem Jahr wurde er vom Shabak zu einem Gespräch eingeladen. «Sie zeigten mir meine handgeschriebenen Briefe. Ich merkte, dass ich nicht für eine Medieninstitution, sondern für den Shabak gearbeitet hatte», erzählt Abu Mahmud. Er wurde vor die Wahl gestellt, weiterhin für den Shabak Informationen zu sammeln oder zu riskieren, dass seine bisherige Zusammenarbeit in Gaza publik würde. Nur schon die Anschuldigung – sei sie nun gerechtfertigt oder nicht – bedeutet in der Regel Gefängnis oder den Tod.
Abu Mahmud blieb keine Wahl, er machte weiter. Statt eines Lohnes als Journalist habe er fortan den Sold des Kollaborateurs erhalten, sagt er, will aber dessen Höhe nicht nennen. Er lieferte Informationen über Nachbarn und Bekannte und deren Aktivitäten. Ein gezielter Hinweis schliesslich ermöglichte es der israelischen Armee, ein Mitglied einer palästinensischen Miliz zu töten. Das war auch das Ende von Abu Mahmuds Spitzeltätigkeit. Er wurde kurz darauf von den palästinensischen Sicherheitsdiensten verhaftet, der Kollaboration angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Dort sitzt er seit fünf Jahren. Wie lange er noch bleiben muss, weiss er nicht. Aber er sagt, die Familie akzeptiere ihn wieder als einen von ihnen. Sie hätten verstanden, dass er benutzt worden sei.
Keine Wahl
«Alle unsere Kollaborateure sind Opfer, sogar jene, die für den Tod von anderen mitverantwortlich sind», sagt Shawan Jabarin, der Direktor des Menschenrechtszentrums al-Haq in Ramallah. Die Zahl der Kollaborateure sei unbekannt, aber es müsse sich um Tausende handeln. Anders als in anderen Konflikten seien die palästinensischen Kollaborateure nie ideologisch motiviert, sondern würden in der einen oder anderen Form zur Zusammenarbeit erpresst. Oft komme es auch vor, dass Palästinenser willkürlich verhaftet und dann unter der Bedingung wieder freigelassen würden, Spitzeldienste zu verrichten. Denn Besetzung bedeute nicht nur Jeeps und Panzer, sagt Jabarin. «Die israelischen Besatzer kontrollieren unser gesamtes Leben. Egal ob in der Wirtschaft, an den Universitäten oder in der Verteilung von Wasser oder Bewilligungen, wir hängen immer vom guten Willen Israels ab.»
Die Rekrutierungsmethoden für Kollaborateure sind entsprechend einfach. Jabarin beschreibt die gängige Methode folgendermassen: Wer beispielsweise an einer ausländischen Universität studieren oder sein Kind im Ausland medizinisch versorgen lassen will, braucht eine Bewilligung der Militärverwaltung. Er wird zu einem Interview mit dem Shabak vorgeladen, wo man ihm ein Angebot macht: «Wir geben dir eine Bewilligung, wenn du mit uns zusammenarbeitest.» Jabarin weist darauf hin, dass Zivilisten gemäss den Genfer Konventionen nicht dazu erpresst werden dürfen, einer Besatzungsmacht Informationen zu liefern.
Selbstjustiz gegen Straffreiheit
Der Übergang zwischen dem Gazastreifen und Israel von Erez ist unter den Palästinensern bekannt und gefürchtet für diese Erpressungsversuche. Ein Inhaber einer IT-Firma aus Gaza, der in den vergangenen Jahren regelmässig nach Israel reiste, um seine Geschäftspartner zu treffen, erzählt, wie er diesen Frühling in Erez länger als gewöhnlich vom Shabak verhört wurde, als er eine Reisebewilligung für Israel beantragte. Nebst Fragen zu seinem Lohn wurde der Geschäftsinhaber auch gefragt, ob er Interesse an einer Zusammenarbeit habe. Seit seinem Nein erhält er keine Reisebewilligungen mehr.
Kollaborateure sind jedoch nicht nur Opfer israelischer Erpressung, sie sind auch der Willkür ihrer eigenen Landsleute ausgesetzt. Unter den vertrauensbildenden Massnahmen der israelisch-palästinensischen Verträge befindet sich die Bestimmung, dass im Gegenzug zur Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel jene Palästinenser Straffreiheit geniessen, die mit Israel kollaboriert haben. Hamdi Shakura, der Direktor der Abteilung für Demokratie im palästinensischen Menschenrechtszentrum von Gaza, sieht darin den Sündenfall. «Leute, die in kriminelle Akte gegen ihre eigenen Mitbürger verstrickt sind, sollten vor ein Gericht gebracht und bestraft werden», sagt er.
Palästinensische Gerichte hätten zwar weiterhin Kollaborateure verurteilt und ins Gefängnis gebracht, berichtet Shakura, diese seien von israelischen Soldaten in vielen Fällen aber wieder befreit worden. Das habe dazu geführt, dass militante Gruppen das Recht in die eigenen Hände nähmen, um die Kollaborateure zu bestrafen. Die Milizen führen nun eigene Gerichtsverhandlungen durch, in denen die Angeklagten meist unter Gewaltanwendung zu einem Geständnis gezwungen und erschossen werden. Im vergangenen Jahr wurden neun Palästinenser von Milizionären unter der Anschuldigung der Kollaboration umgebracht, und sieben wurden verletzt.
Falsche Anschuldigungen
Bei der Selbstjustiz der Gruppen kommt es immer wieder zu falschen Anschuldigungen, die tragische Folgen haben können. Fayez Abu Tabak, der seit fünf Jahren im Gefängnis von Gaza sitzt, liefert dafür ein Beispiel. Der Geheimdienst, der von der Fatah kontrolliert wird, hatte ihn der Kollaboration und der Beihilfe zur Tötung eines Fatah-Mannes in Hebron angeklagt. Das reichte, um ihn ins Gefängnis zu stecken, ohne dass sein Fall je genau untersucht worden wäre. Nun hat ein von der Hamas eingesetztes Komitee bestätigt, was Abu Tabak seit Jahren sagt: Der angebliche Tote aus Hebron lebt. Jetzt hofft Abu Tabak, bald freizukommen.
Für jene, die aufgrund eines falschen Verdachts umgebracht wurden, kommt freilich jede Überprüfung zu spät. So starb Fadil Dahmash am 10. Juli im Gefängnis von Gaza, nachdem er von den Kuds-Brigaden, dem militärischen Arm des Islamischen Jihad, der Kollaboration beschuldigt und gefoltert worden war. Als die Kuds-Milizionäre Fadil den Sicherheitskräften übergaben, behaupteten sie, sie hätten ihn aus einem israelischen Fahrzeug in der Nähe des Grenzzaunes steigen sehen. Wie die Familie sagt, war Fadil aber psychisch krank und wäre zu keiner Form der Kollaboration fähig gewesen.