In der Nacht auf Donnerstag ist die israelische Armee in den Süden des Gazastreifens einmarschiert. In der Invasion um das Dorf Shoka wurden bis am Samstag ein Duzend Palästinenser getötet. Wer kann, flieht in die Schulen der Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen in Rafah. In stoischer notiert Iftikhar Aldabash die Namen der Männer und Frauen, die dicht gedrängt in ihrem Büro stehen, auf ihrem Notizblock. „Geduld!“, sagt sie lediglich, als eine neue Familie Vertriebener in das Büro schwärmt und um Aufnahme, Wasser und Essen bittet. Iftikhar ist eigentlich Psychologin, doch seit die israelische Armee Ende Juni in den Gazastreifen einmarschierte, ist sie verantwortlich für die Registrierung der Palästinenser, die vor den Raketen, Granaten, Panzern und Bulldozern in die Schulen der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) in Rafah fliehen. In einer UNRWA Schule in Jabalia, im Norden des Gazastreifens leben zur Zeit über 1400 Palästinenser, die von den Panzergranaten geflohen sind. Nach der ersten Invasion im Süden, wenige Tage nach der Entführung des israelischen Soldaten am 25. Juni, suchten 160 Palästinenser in der Rafah el Zahra Schule, einer UNRWA Elementarschule für Knaben, Zuflucht. Jetzt zählt Iftikhar bereits 1750 Personen, Tendenz steigend, denn noch sind die Panzer und Bulldozer südöstlich von Rafah in der Nähe des Flughafens und des Dorfes al Shoka. Iftikhar sagt zwar, dass sie noch genügend Essen, Büchsenfisch, Käse, Wurst und Reis hätte, aber es mangle an Decken und Matratzen. Panzer vor dem Haus Die Vertriebenen sitzen entlang der Schulmauern am Boden oder schlurfen über den Pausenplatz. Es stinkt nach ungewaschenen Kleidern und Schweiss. Immer wieder ruft einer einen Namen eines neuen Toten. Vor der Tür knallen die Schüsse der Männer, die die Toten der letzten Nacht zu Grabe tragen. In den zwei Tagen der Invasion zählte die UNRWA zwölf Tote, unter ihnen neun Zivilisten und zwei Kinder, und 23 Verletzte. Anaan Sheich Alid sitzt, umringt von ein paar Frauen, am Boden eines Schulzimmers. Sie erzählt, dass sie vor zwei Tagen, kurz bevor die Invasion begann, ein Mädchen geboren habe. Nachdem eine Rakete neben ihrem Haus gelandet sei, entschloss sie sich am Donnerstag Morgen ihr Haus in Shoka zu verlassen. Ihr Mann habe sich den Kämpfern anschlossen, während sie ihre Nachbarin um Wasser gebeten habe und morgens um sechs zu Fuss losmarschiert sei. Als sie am Mittag in der Schule ankam, sei ihr Baby bereits kalt gewesen. Die Ärzte sagten, dass es wahrscheinlich an einem Hitzeschlag gestorben sei. Auch Tamam Abu Naser, eine Beduinin, die gleich neben dem Flughafen lebt, ist mir ihren neun Kindern und ihren Geschwistern geflohen. „In der Nacht standen die Panzer vor unserer Tür. Durch Megaphone riefen die israelischen Soldaten, dass wir mit weissen Fahnen die Häuser verlassen sollen“, erzählt Tamam. Nervös zupft die Frau an ihrem Kopftuch, sie fürchte sich um ihre Eltern, die in der Hütte neben dem Flughafen zurückgeblieben seien, weil die Mutter zu alt sei, um zu Fuss zu gehen. Vor allem an Wasser mangle es, seit die Bulldozer die Wasserleitungen zerstört hätten. In der Nacht wurden einige der zurückgebliebenen Männer, auch Tamams Vater, von den Soldaten verhaftet und später in Richtung Kerem Shalom Checkpoint entlassen. Um zwei Uhr früh am Freitag morgen kamen die Männer in der Schule an. Tamams Vater war nicht unter ihnen, er sei nicht zum Kerem Shalom Checkpoint, sondern zurück zu seiner Frau gegangen, erzählen die Männer. Zuflucht im Fussballstadion Gegenüber der UNRWA Schule liegt das Fussballstadion von Rafah. Unter den Tribünen lebt Ibrahim Abu Mahmud seit zweieinhalb Jahren mit seiner Frau und seinen acht Kindern in einer Umkleidekabine der Fussballspieler. Ibrahim gehört zu den Vertriebenen einer früheren israelischen Invasion. Im September 2001, genau ein Jahr nach Ausbruch der Intifada, wurde sein Haus von israelischen Bulldozern zerstört. Das Haus, in das er danach zog, wurde im Januar 2004 in Schutt gelegt, so dass ihn die Behörde ins Fussballstadion umsiedelte. Die Familie hat sich eingerichtet: eine kleine Sitzecke mit Matratzen, ein Gaskocher und ein Blech, auf dem die Frauen vor den Tribünen Brot backen. Die Kinder kennen inzwischen jeden Fussballspieler und manchmal übernachten sie auf dem Rasen mit Blick auf die Sterne. Ibrahim, der früher in einer Ölraffinerie in den Emiraten und später in einer Möbelfabrik in Israel gearbeitet hatte, ist seit Beginn der Intifada arbeitslos. Jeden Tag gehe er zur Lokalgemeinde, um für ein eigenes Haus zu kämpfen. Bis jetzt waren es leere Versprechungen, aber vielleicht erhalte er irgendwann in naher Zukunft eines der Häuser, die die Emirate auf den geräumten Siedlungen finanzieren wollen. Bis es soweit ist, ist Ibrahim selbst Gastgeber. Seit der Invasion wohnen im Umkleideraum unter der Tribüne zwei neue Familien aus Shoka.