Er hat die Schultern eingezogen. Als er den dumpfen Knall, den Abschuss der Granate, in der Ferne hört, fallen sie noch ein wenig mehr zusammen. Und dann, als die Granate einschlägt, dort, hundert Meter vor seinem Fenster, und es klingt als ob einer in der Faust ein Glas zerdrückt, einfach Tausend mal lauter, reisst er sich die Hände an die Ohren. In der Stille, die folgt, gleitet er an der Toilettenwand entlang zu Boden. Seine Augen stehen weit offen, doch seine Lippen bleiben reglos. Ob er die Sprache verloren hat? Nur die Augen; sie schreien. Sie öffnen den Abgrund, in den man fällt, um sich wiederzufinden in einem Ort der Angst und des Wahnsinns. Wahnsinn wie Unkraut Der Ort heisst Bei Lahiya. Der Junge Omar. Er könnte auch Ahmed oder Raji heissen und vielleicht würde er dann in Rafah oder Khan Yunis oder Gaza Stadt leben. Man sagt zwar, dass der Wahnsinn im Norden des Gazastreifens noch mehr verbreitet sei, weil hier die Panzergranaten seit Wochen zu Tausenden fallen. Doch Wahnsinn ist keine Frage der Wochen. Nicht hier im Gazastreifen. Wahnsinn ist ein Gewächs, ein Unkraut, das seit Jahren wuchert und sich wie eine Schlingpflanze um die Generationen legt und alles erstickt, was den Namen Hoffnung oder Friede oder Freiheit trägt. Das Trauma wird kultiviert. Die Grossväter erzählen ihren Söhnen, wie sie 1948 aus Israel vertrieben worden sind. Sie pflegen die Erinnerung wie Silberbesteck und hüten die Schlüssel ihrer alten Häuser wie das Gold ihrer Frauen. Die Väter erzählen ihren Töchtern, wie die Israeli 1967 das Land besetzt haben. Sie sprechen von den Siedlern und den Steinen, die sie in ihrer Kindheit auf die israelischen Jeeps geschleudert haben und dafür geschlagen oder verhaftet wurden. Keine Familie ohne Gefangene. Auch die Picknicks in Jaffa, damals bevor die zweiten Intifada im Herbst 2000 ausbrach und bevor der Gazastreifen ein Gefängnis wurde, vergessen die Väter nicht, aber daran erinnern sich sogar die Kinder noch. Und manchmal, aber nur hinter vorgehaltener Hand, erzählen sie, wie ein Nachbar, der mit den Israeli kollaboriert hat, in der Nacht von einem Palästinenser erschossen wurde. Am Morgen lag die Leiche auf der Strasse. Auch die Töchter und Söhne haben sie noch gesehen. Sie haben von ihnen geträumt, genau wie von den Soldaten, die nachts in die Wohnungen eindrangen. Intifada Generationen Im Westen gehören die Grosseltern zur Kriegsgeneration, die Eltern wuchsen mit den Beatles auf, wir sind Sprösslinge des Wohlstands. In Gaza gibt es ein Wort: Intifada Generationen. Was vorher war gehört in die Rubrik Krieg und Vertreibung. Eine Bevölkerung im Volkstrauma. Die erste Intifada brach 1987 in Gaza aus. Sie brachte noch mehr israelische Militärjeeps und die Inhaftierung von Tausenden von Palästinensern. Sie schürte ein Klima des Misstrauens, weil die israelische Armee und der Geheimdienst Informationen brauchten und dafür Männer und Frauen erpressten oder bezahlten, die ihre Nachbarn und die, die Widerstand leisteten, verrieten. Und dann die Angst. Kinder sahen, wie ihre Väter geschlagen wurden. Sie spürten, wie ihre Väter ohnmächtig waren, unfähig die Kinder zu beschützen, hilflos genau wie sie selbst. In der Machogesellschaft der arabischen Welt ist die Zerstörung der starken Vaterrolle noch schwieriger zu verkraften als sie es im Westen wäre. Eine Generation der frustrierten Väter. Eine heranwachsende Generation der Kinder, die ihren Vätern nicht mehr gehorcht, weil sie keine Vorbilder sind, weil sie erbärmlich schwach sind. Im Gazastreifen reifen die Kinderseelen schnell heran. Sie müssen, damit sie sich selbst vor dem Leben schützen können, wenn die Eltern keinen Schutz mehr bieten. An wem orientieren sich die westlichen Jugendlichen? An Popstars und Athleten weil diese stark und berühmt sind. Im Gazastreifen gibt es keine Athleten. Auch keine Popstars. Aber die Wände der Häuser sind zugeklebt mit den Postern von „Martyrern“, jenen Männern und Frauen, die im Kampf gegen Israel gestorben sind oder auch bloss bei einer Invasion erschossen wurden. Auch „Kollateralschäden“ sind Helden. Auf den Postern tragen sie alle Waffen, manchmal mit Photoshop in eine Frauenhand montiert. Ihnen gehört das Paradies. Sie sind die Vorbilder der Männer, die in der ersten Intifada noch Kinder waren und die Demütigung ihrer Eltern gesehen haben. Oder in den Worten des palästinensischen Psychiaters Eyad Sarraj, der in Gaza das Community Mental Health Programme leitet: „Die Kinder der ersten Intifada sind die Selbstmordattentäter der zweiten Intifada.“ Meuterei im Gefängnis Die zweite Intifada hat den Gazastreifen in ein Gefängnis verwandelt. Ein überfülltes, in dem 1.4 Millionen Menschen dicht gedrängt und ohne Arbeit vegetieren. Die Gefängniswärter haben die Grenzen zu Israel verriegelt und sich zurückgezogen. Meuterei ist ausgebrochen, wie in den Gefängnissen in Rio de Janeiro oder Kualalumpur, in denen die Wut und Aggression kein Ventil findet. In den Strassen von Gaza bekämpfen sich Familien und Militante. Oft kommt es vor, dass Sprengsätze unkontrolliert explodieren, Kassamraketen auf die eigenen Flüchtlingslagern stürzen und Leute verletzten und töten. Es sterben Kinder, weil die Männer bei Hochzeiten und Beerdigungen in die Luft schiessen und die Kugeln sich dabei manchmal verirren. Beerdigt wird täglich, geheiratet auch. Waffen sind überall: Im Spital, am Strand, im Einkaufszentrum. In den Gassen jagen sich die Kinder mit Plasticgewehren. Sie spielen den Krieg, in dem sie gefangen sind. Sie spielen israelische Soldaten und Araber. Manchmal lassen sie die Araber gewinnen und die kleinen Soldaten sinken in die Knie oder stellen sich mit gespreizten Beinen an eine Hauswand. Manchmal sind die Soldaten stärker, genau wie im richtigen Leben. Die Kleinen imitieren, was sie kennen und sehen. Jahre später, wenn einer von ihnen Gefängniswächter in einem palästinensischen Gefängnis ist, dann übernimmt er die Foltermethoden, die er in israelischen Gefängnissen am eigenen Leib erfahren hat. Wenn die Kinder fertig gespielt haben, dann gehen sie nach Hause und schreien: „Bumbum, wenn ich gross bin, dann kaufe ich einen Panzer und schiesse Raketen nach Israel.“ In der Nacht fliegen die Helikopter über den Streifen und die Panzerartillerie schlägt in die Träume ein. Dann pinkelt sich die jüngste Generation in die Hosen und nässt die Betten. Sarraj sagt, dass er sich davor fürchtet, dass dieses Umfeld der Angst und Gewalt und Armut und Hoffnungslosigkeit die neue Generation der Bettnässer, in eine von Gorillas verwandeln wird. Sarraj spricht vom Konflikt als einer Psychopathologie. Israel und Palästina als psychisch kranke Patienten. Der israelische Patient sehe sich immer noch als Opfer, das keine Versöhnung durchlebt habe und deshalb in all seinen Handlungen von Angst getrieben werde. Der palästinensische Patient bleibe gefangen in Gedanken von Widerstand und Vergeltung. Das Schicksal der Menschen liegt nicht in den Händen von Psychiatern, sondern von Politikern. Diese waren bislang unfähig Heilung, Friede, Versöhnung zu bringen. Wer hat schon jemals das Leid des anderen anerkannt? Der Wunsch nach Vergeltung In den Strassen von Bei Lahiya werden Kinder zu Grabe getragen. Sie werden in die Höhe gestemmt, so dass alle ihre zerfetzten Schädel sehen können. Am Tag zuvor sind sie bei einer Explosion am Strand von Gaza getötet worden. Für die Menschen ist klar: Die Israeli waren es. Mit ihren Panzern hätten sie acht Zivilisten getötet. Israel entschuldigt sich zuerst, bestreitet dann jedoch jede Schuld. Und wenn Israel sogar Recht hätte, im Gazastreifen würde niemand hinhören. Hat man nicht oft genug selbst gesehen, wie die Raketen der Kriegsschiffe und Panzer und Helikopter und Kampfflugzeuge auch die Frauen, Männer und Kinder trafen, die zur falschen Zeit neben denen standen, vor deren Namen später „militant“ oder „terroristisch“ stand? Aus den Augen der Männer, die neben den Kinderkörpern gehen und schreien „Gott ist gross“ spricht Wut und Hass und der Wunsch nach Vergeltung. Auch aus jenen von Kamil, den nichts als seine Augen verraten, weil er eine Mütze trägt, die alles andere verdeckt. Wenn die Israeli könnten, sie würden ihn töten, genauso wie er nur daran denkt, sie zu töten. Manchmal denkt er auch an Heirat, aber das sei schwierig in diesen Zeiten, in denen man nicht wisse woher das Geld für den Braupreis nehmen. Vor drei Jahren hat er sein Leben als Werbeplakatgestalter aufgegeben. Hätte Kamil heute eine Berufsbezeichnung, dann hiesse sie „Militanter der al-Kassam Brigaden“. Für Israel ist das die Legitimation zum Töten. Für Kamil die Aufforderung zum Kampf, der Vergeltung gegen jene, die sein Volk unterdrücken. Was anders als Vergeltung könne er sich wünschen, wenn er sehe, wie die Israeli Demütigung und Leid über sein Volk brächten? Wie besser könnte man den Israeli vom eigenen Schmerz erzählen, als wenn man sie an der empfindlichsten Stelle verletzte; in der Volksseele? In Khan Yunis wird ein Mann zu Grabe getragen. Er wurde bei einer Familienfehde erschossen. Ein Racheakt für ein anderes Opfer, der vielleicht wieder ein Opfer gebären wird. Wer begonnen hat? Man weiss es nicht mehr. Vielleicht waren es ein paar Hühner, die einer gestohlen hat. Irrsinn liegt in der Luft und zwischen den Männern, deren Hände Waffen in den Himmel stemmen. Und vom Irrsinn ist jener Mann befallen, der hinter einem Vorhang auf die Strasse späht. Früher war er ein Held, der Führer einer militanten Gruppe im Süden des Gazastreifens. Dann wurde er von israelischen Soldaten verhaftet, gefoltert, von den eigenen Leuten verraten, für Jahre eingesperrt und vor zwei Jahren entlassen. Diagnose: Schizophrenie und soziale Desintegration. Er traut niemandem mehr, sagt der Psychologe, der den gefallenen Helden betreut. Posttraumatische Belastungsstörung Der Tod ist näher als das Leben. Der Tod ist wertvoller als das Leben. Vor allem die Jungen suchen den Tod mehr als das Leben, weil ihnen das Leben keine Zukunft verspricht, der Tod jedoch die Erlösung. Wie behandelt man ein Leben, in dem man herumirrt wie in einem dunklen Zimmer? Respektlos, achtlos. Man ist bereit es wegzuwerfen, wie eine Orange, die man schält und hinter der Schale nichts als Fäulnis findet. Ahmed hat gesehen, wie sein Freund bei einer Invasion erschossen wurde. Er stand daneben und fragt sich heute: „Wieso haben sie ihn getötet und mich nicht?“ Als die Siedler noch im Gazastreifen waren, hat er versucht zu sterben, einen heldenhaften Tod zu sterben, um seine „Schuld“ zu tilgen. Damals streunte er entlang der lebensgefährlichen Zone um die Siedlungen, die vor seiner Stadt Rafah wie Festungen standen. Vielleicht würden die Soldaten irgendwann schiessen. Sie schossen nicht. Nicht auf ihn. Die Psychiater haben Ahmed in den Krankenbericht über die Jugend mit „Risiko überhöhtem Verhalten“ integriert. Die Psychiater fügen dem Zustand der Volksseele Namen wie „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) als Folge von Traumata und Stress, „Personal Disorder“ oder „Langzeitdepression“ hinzu. Hyperaktivität, Apathie, Epilepsie, Hysterie, Verlust der motorischen Fähigkeiten, ständiges Gefühl der Unsicherheit. Auch Sexual Probleme seien weit verbreitet, weil Stress die Lust nehme. In solchen Fällen wird die moralische Pflicht Kinder zu zeugen, mit Hilfe von Medikamenten wie Viagra erledigt. „Ein gutes Geschäft. Immer mehr Kunden kommen“, erzählt ein Apotheker. „Sie sagen: Mein Freund hat ein Problem beim Sex, ich will ihm eine Pille kaufen. Und dann kommen sie wieder, ein paar Tage später, freudestrahlend und kaufen mehr Pillen.“ Manche gehen auch in die staatliche Psychiatrie in Gaza Stadt. Sie bitten durch das kleine vergitterte Fenster an der Pforte um Hilfe, wollen Tabletten und Mittel gegen Rückenschmerzen, gegen Kopfschmerzen gegen die Müdigkeit, die bleiern auf ihren Gliedern liegt und auch auf ihren Gedanken. Wenn sie zum Chefpsychiater Mohamed Abualsebah vorgelassen werden, wenn sie zu zweit kommen, dann flüstert die Frau dem Psychiater beim Herausgehen ins Ohr: „Doktor, mein Mann, sie wissen, er hat ein Problem.“ Abualsebah verordnet Sexual Therapie. Ein Sieben Punkte Programm, bei dem die Paare lernen sich zu entspannen, zärtlich zu sein. Doch das ist für viele schon zu viel. Sie schlucken lieber eine Pille. Denn Sex ist ein Akt der Fortpflanzung, nicht Ausdruck der Liebe. Stigmatisiert und eingeordnet Wieviele psychisch krank sind und wie ihre Krankheiten heissen, weiss niemand so genau. Statistiken verzeichnen eine Anhäufung von Boarderline-Persönlichkeiten; emotional instabilen Personen, die ein zerrüttetes Selbstbild aufweisen und sich nicht mehr in der Gesellschaft integrieren können. Eine Studie des Gaza Community Mental Health Programme stellt fest, dass über siebzig Prozent der Kinder an PTBS leiden und knapp hundert Prozent Symptome dafür aufweisen: Albträume, Flaschbacks, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit, Konzentrationsstörung, Schreckhaftigkeit, Angstzustände, Schlaflosigkeit Depression, manchmal Panik- oder Aggressionsattacken und Bettnässen. Wer Geld hat kauft Tabletten: Schlaftabletten, Beruhigungstabletten. Man klagt aber spricht nicht über psychische Krankheiten. Wenige suchen Hilfe bei einem Psychiater. Wäre das nicht ein Geständnis, dass einem der Besatzer in die Knie gezwungen hat? Ein Eingeständnis von Schwäche, in einer Zeit, in der man stark sein muss, in einer Gesellschaft, in der man stigmatisiert würde? Und welche Behandlung ist gut genug, um Wunden zu heilen, die mit jeder Bombe, jedem Angriff erneut zu eitern beginnen? In Gaza sind die Psychiater mit Hilflosigkeit geschlagen. Mohamed Abualsebah macht keine Ausnahme. Er sieht sich selbst als Patient, gleich wie die Frau, die im gefliesten Wartsaal sitzt, langsam den Oberkörper wiegt und dabei Worte wie Melonenkerne auf den Boden spuckt. „Frustration ist das Produkt dieses Konflikts. Frustration führt zu Aggression. Geschürt durch unsere Kultur der Vergeltung.“ Die Worte kullern schwer und träge über Abualsebahs Lippen. Die Hoffnung ist auch in ihm gestorben. Und noch etwas ist gestorben: das Vertrauen in sein Volk, die Palästinenser. Eigenhändig haben sie es ihm entrissen, damals als Mitglieder der Hamas seinen Bruder ermordet haben. Anklage: Kollaboration mit den Israeli. Mohamed hat gelernt die Palästinenser zu verachten, jene, die seinen Bruder getötet haben und jene, die danach mit dem Finger auf ihn zeigten. Wie oft musste er hören: „Pass auf, was du machst. Dein Bruder war ein Kollaborateur.“ Die Söhne und Mütter und Väter und Brüder der Kollaborateure sind Verseuchte, als ob ihre Haut von Ekzem befallen wäre, mit dem sich ansteckt, wer immer in die Nähe kommt. Volksverräter. Der Fluch der verlorenen Ehre. Einer, der auch dann nur schwierig abzuwaschen ist, wenn bewiesen wird, dass der Bruder doch kein Kollaborateur war, sondern das Opfer einer Intrige. So war es im Fall von Mohammeds Bruder. Jahre nach seinem Tod. Jahre zu spät. Wie dem Irrsinn entrinnen? Mohamed kennt nur eine Medizin. Für die meisten Bewohner des Gazastreifens ist sie unbezahlbar: „Abhauen, wegreisen, weit weg aus diesem Land der Scheisse.“ Chronologischer Überblick über die Ereignisse im Gazastreifen: Der Gazastreifen, 40 Kilometer lang und 6 bis 14 Kilometer breit, viermal kleiner als der Kanton Zürich, wird nach dem Ersten Weltkrieg Teil des britischen Mandats Palästina. 1948 wird der Staat Israel gegründet. Nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg werden über 750 000 arabische Palästinenser aus Israel vertrieben; sie kommen in Flüchtlingslager im Gazastreifen und im Westjordanland. Von den 1,4 Millionen Palästinensern, die heute im Gazastreifen auf dicht besiedeltem Raum leben, sind zwei Drittel Flüchtlinge oder Nachkommen der Vertriebenen. Nach 1948 wird der Gazastreifen von Ägypten und nach dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt. Die Wut auf die israelischen Besatzer führt zum Ausbruch der ersten Intifada (palästinensischer Aufstand gegen Israel), die 1987 im Gazastreifen beginnt. Mit der Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung 1993 durch Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) soll der Gewalt ein Ende gesetzt und eine «friedliche Koexistenz» angestrebt werden. Israel gesteht den Palästinensern ein autonomes Verwaltungsrecht zu. Im Juli 2000 scheitern die Friedensverhandlungen in Camp David (USA). Im September 2000 bricht die zweite Intifada aus. Von den 125 000 Palästinensern aus dem Gazastreifen, die in Israel gearbeitet haben, verlieren über 100 000 ihre Arbeitsbewilligung. Mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung wird arbeitslos. Der Gazastreifen wird isoliert und immer wieder Ziel von kurzfristigen israelischen Invasionen und gezielten Tötungen. Fabrikanlagen und Verwaltungsstrukturen werden zerstört, Verkehrswege behindert. Im August 2005 lässt der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon die 21 israelischen Siedlungen im Gazastreifen räumen. Auch nach dem Abzug bestimmt Israel über die Grenzen und die Öffnung des einzigen Übergangs für Exportgüter. Der Grenzübergang zu Ägypten steht seit dem Siedlerabzug unter der Kontrolle der Ägypter und der Palästinenser und unter der Überwachung der EU. Israel bestimmt über den See- und Luftraum und hat den Bau eines Hafens bis jetzt verhindert. Die Rollbahn des Flughafens wurde im Dezember 2001 von der israelischen Luftwaffe zerstört. Im Januar 2006 wird die islamistische Hamas, die für zahlreiche Selbstmordattentate in Israel verantwortlich ist, bei demokratischen Wahlen mit absoluter Mehrheit in den palästinensischen Legislativrat gewählt. Es beginnen blutige Machtkämpfe zwischen Mitgliedern der Hamas und der abgewählten Fatah. Aufgrund der neuen Hamas-Regierung, die Israels Existenzrecht nicht anerkennt, stoppen die EU und die USA ihre Hilfsgelder für die besetzten Gebiete, was zu einer Finanzkrise und zu einer ansteigenden Verarmung der Bevölkerung führt. Rund 80 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen leben unter der Armutsgrenze mit weniger als einem Dollar pro Tag. Ende Juni 2006 wird bei einem Überfall auf einen Grenzposten im Süden des Gazastreifens ein israelischer Soldat verschleppt, was eine erneute Eskalation der Gewalt zur Folge hat. Israels Armee dringt in Teile des Gazastreifens ein.