Name: Marwuan Dawud. Alter: 27. Arbeitsort:
Präsidentieller Flughafen in Gaza, Palästina. Ein Flugzeugmechaniker, als Hüter von Helikopter Fracks. Wäre Marwuan Dawud nicht in Gaza geboren, dann hätte er vielleicht noch keinen Glatzenansatz und vielleicht auch keine Albträume. Vielleicht steckten dann seine Beine nicht in oliv grünen Armeehosen, die er genauso wenig mag wie den Krieg und die Gewalt und die Armee. Doch Marwuan Dawud wurde in Gaza geboren. Genauer gesagt in Shishaia einem kleinen Dorf im Osten des Gazastreifens, gleich an der Grenze zu Israel. Auch wenn er auf diesen verfluchten Boden pinkeln könnte, auch wenn er sagt, dass hier alle einen Psychiater bräuchten, spricht Stolz aus seinen Augen. Und noch etwas, aber das sieht man erst auf den zweiten Blick und vor allem wenn er lächelt, Bitterkeit. Marwuan ist der Chef der Luftwaffen Polizei auf dem präsidentiellen Fluglandeplatz in Gaza Stadt. Als Chef beginnt er seine morgendliche Pflicht mit der Waffenkontrolle. Es sind nicht viele, genau genommen sind es drei alte Kalaschnikow Gewehre für sein Team von vier Männern, deren Magazine er einmal der Reihe nach durch die Hand gleiten lässt, um sie dann mit einem Krack-Krack wieder im Gewehr verschwinden zu lassen. Dann setzt er sich auf eines der speckigen Ledersofas und erkundigt sich nach neuen Befehlen. In diesen Monaten wird wenig befohlen und viel gewartet, herumgehockt. Seit vier Monaten ist das Hocken zum Loyalitätsbeweis gegenüber der Autonomiebehörde geworden. Diese kann seit dem Regierungsantritt der Hamas und dem internationalen Boykott keine Löhne mehr bezahlen und das pflichttreue Herumhocken ist nur noch eine Frage des Goodwills. Als Chef kann es sich Marwuan leisten, den Tag im kühleren Büro zu sitzen und Karten zu spielen. Durch die offene Tür sieht er geradeaus über den Landeplatz, auf dem Anfang April zwei Raketen von israelischen F16 Kampflugzeugen gelandet sind. Sie rissen ein tiefes Loch in den Asphalt. Exakt in der Mitte der weissen Landemarkierung. Das nennt Marwuan Präzision oder Angeberei und schüttelt dabei den Kopf. Zur Rechten seines Blickfeldes steht der Hangar, in dem ein einziger Helikoptern steht. Ein Geschenk der Russen. Sein Bauch ist mit Einschusslöchern gezeichnet wie ein Kranker von Narben auf denen Pflaster kleben. Ein hoffnungsloser Fall. Trotzdem kommandiert Marwuan jeden Tag zwei Mann unter den Unterstand neben dem zerstörten Helikopter ab, um diesen zu bewachen. Marwuan und seine Kollegen sind Museumswächter – natürlich würde das niemand von ihnen so sagen. Marwuan sagt lediglich: „Wir müssen auf den beschädigten Präsidenten Helikopter aufpassen, als stünde er in einem Museum. Er ist wichtig.“ Wichtig ist der Helikopter, weil früher der verstorbene Präsidenten Yassir Arafat darin geflogen war. Hinter dem Hangar, im Gestrüpp, liegen der gebrochene Schwanz, die verrosteten Rotorenblätter des zweiten Russen Helikopters. Der dritte wurde nach dem zerstörerischen israelischen Angriff im Jahr 2002 auf das Präsidenten Quartiert irgendwo begraben. Von den Zeiten als die Vögel noch flogen, spricht Marwuan wie von längst verflossenen Flitterwochen oder der Revolution, die keine mehr ist. Was ist, ist Zerstörung, Hoffnungslosigkeit, Trübsal. Bewacht wird, was war. Und deshalb wiederholt Marwuan zungenschnalzend immer und immer wieder: In meinem Leben, da existiert kein Leben. Oder: Ich wünschte, ich wäre an einem anderen Ort geboren worden. Wie gesagt: Marwuan wurde in Shishaia geboren und zwar am 21. Dezember 1978. Damals gab es noch keine Intifada und wenn er heute lange grübelt, um sich an einen glücklichen Moment zu erinnern, so war das Glück zu seiner Geburt noch nicht von Panzern, Jeeps, Kampfflugzeugen und Geldnot getrübt. Damals arbeitete Marwuans Vater als Taxifahrer in Israel. Jeden Freitag packte er einen Picknickkorb und seine zehn Kinder ins Auto und fuhr mit ihnen an den Strand. Manchmal bis hoch nach Jaffa, gleich neben Tel Aviv. Ab 1987 beginnen nicht nur Marwuans Erinnerungen genauer zu werden, es war auch das Jahr, in dem die erste Intifada ausbrach, und zwar in Gaza. Marwuan gehört zur Intifada Generation. Aus seinen Erzählungen verschwinden die Picknicks, sie werden ersetzt durch Albträume, in denen Nachbarn erschossen und auf den Strassen liegen gelassen werden und Freizeitbeschäftigungen, die von der Wut und dem Hass auf die israelischen Besatzer sprechen: „Wir haben Reifen angezündet, bis uns die Soldaten stoppten. Jeden Tag kurz nach der Schule, manchmal auch schon vorher, haben wir Steine geworfen. Wir knallten sie auf die vorbeifahrenden Jeeps und rannten weg. Das war unser tägliches Spiel.“ Schulstunden fielen aus. In einem Jahr war die Schule gerade noch 45 Tage geöffnet, so dass die Lehrer die Prüfungen eigenhändig an den Wandtafeln lösten. Marwuan macht die Intifada, die Besatzer dafür verantwortlich, dass er keine Ahnung von der Welt hatte, dass er kaum wusste, wo Europa liegt, und dass er später, nachdem er ein zweijähriges Architektur Diplom in Khan Yunis erworben hatte, keine Arbeit fand. Ein Leben ohne Arbeit ist eines ohne Aufgabe. So empfand es zumindest Marwuan, der sich sagte: „Lieber irgendeine Arbeit als keine.“ Das war, nachdem Arafat 1994 in die besetzten Gebiete zurückgekehrt war und bevor die Zweite Intifada im Jahr 2000 ausbrach. Es war, als man noch von der Hoffnung auf Friede sprach, aber nicht mehr daran glaubte. In solch unsicheren Zeiten gibt es einen sicheren Arbeitgeber: Die Armee. Man würde ihn zum Mechaniker ausbilden, versprachen die Vorgesetzten. Marwuan begann vom Ausland zu träumen, dort wo die Freiheit sass. Statt in die Freiheit wurde er nach Pakistan geschickt. Das letzte Loch der Welt, wie er sich an die heissen Tage, die Froschhüpfübungen als Strafe für Ungehorsam, die Unfähigkeit mit den Menschen zu kommunizieren, die Chilischoten, das Heimweh erinnert. Zwei Jahre harrte er aus. Dann, im Oktober 2001, kehrte er als ausgebildeter Radar und Helikopter Mechaniker nach Gaza zurück. Er wurde auf dem präsidentiellen Fluglandeplatz in der Abteilung Luftwaffe integriert. Damals stand neben den drei Russen Helikopter sogar noch ein Flugzeug. Gaza. Wie die meisten Einwohner ist Marwuan nie mehr rausgekommen. Stattdessen blieb er, wo seine Kindheit beerdigt liegt: in Shishahia. Dort baute er ein kleines Haus. Als es fertig war, fragte Marwuan seine Mutter: „Mutter, kennst du ein hübsches Mädchen?“ Die Mutter antwortete: „Keine Sorge, ich finde dir ein Mädchen.“ Sie suchte in der Nachbarschaft, dann im Dorf und dort fand sie ein Mädchen, das Marwuan schon in der Strasse gesehen und dabei verstohlen gelächelt hatte. Das war vor zwei Jahren und Marwuan noch Jungfrau, eine scheue dazu. Die Mutter besuchte die Familie, sie erzählte von Marwuan, von seinem Haus, von den 400 Dollar, die er jeden Monat als Mechaniker verdiene. Und die Mutter fragte in der Nachbarschaft: „Kennt ihr das Mädchen? Ist sie gut? Kann sie anständig kochen?“ Am nächsten Tag sass auch Marwuan auf dem Sofa der Familie seiner Zukünftigen. Das Mädchen servierte Kaffee. Danach besuchten er sie immer wieder, sie verlobten sich und Marwuan führte sie – natürlich mit der Genehmigung des Vaters – in Restaurants aus. Es sind die Momente, die Marwuan als „schön“, als „glücklich“ bezeichnet. Etwa so glücklich, wie wenn er seinen Onkel im Gefängnis besuchte. Nach einem Jahr voller Liebesgespräche heiratete Marwuan im Juli 2005. Vor einem Monat kam sein erster Sohn zur Welt. Doch das Vaterglück ist von Schatten verdeckt. Marwuan klagt: „Mein Frau will Pampers kaufen, doch woher soll ich das Geld nehmen?“ Und dann steht er auf, streckt sich, so dass seine Knochen knacken und sagt: „Wenn wir doch anderswo geboren wären, dann könnte meine Frau jeden Tag Pampers kaufen und unsere Kinder würden nicht mit Plastikgewehren spielen. Und später würden sie sie nicht mit richtigen austauschen.“