Über das Westjordanland zieht sich ein Netz aus 121 jüdischen Siedlungen und 101 Aussenposten, die nach internationalem Recht illegal sind. Die Siedlungen und Siedlerstrassen zerteilen das Westjordanland, so dass in Zukunft die palästinensischen Gemeinden voneinander abgeschnitten sein werden. Die Siedlungen sollen an Jerusalem angeschlossen werden. Pinhas Walerstein, ein Mann mit Spazierstock und Kippa, ist ein prominenter israelischer Führer der Siedlerbewegung. „Viele Israeli kommen ins Westjordanland, weil hier die Wohnungen billig, die Transportmittel gut und Jerusalem nahe ist“, sagt er. Für Walerstein gilt diese Überlegung nicht. Er handelt aus Überzeugung. „Dies ist unser Land und hier müssen wir bauen.“ Dass dies nicht leere Worte sind, zeigt sich in Adam, einer Siedlung mit Mehrfahmilienhäuser, in der Walerstein wohnt. Ein arabischer Bauarbeiter ist gerade dabei Jerusalem Stein an der Aussenmauer einer neuen Wohnung zu befestigen. Adam ist eine der 121 Siedlungen im Westjordanland, in denen 240 000 israelische Siedler leben – die Siedler in den Siedlungsblöcken um Jerusalem noch nicht miteingerechnet. Auch wenn in der Vierten Genfer Konvention steht, dass es den Besatzern verboten ist, ihre eigenen Bürger in den besetzten Gebieten anzusiedeln, entstanden bereits sieben Monate nach dem Sechstagekrieg und der Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems 1967 die ersten Siedlungen. Nach Angabe der israelischen Friedensbewegung Peace Now kontrollieren die israelischen Siedler heute mit Häusern, Siedlerstrassen und Landbesetzung 40 Prozent des Westjordanlandes. Die Tendenz der Besiedlung im Westjordanland und um Jerusalem ist steigend, auch wenn sich Israel in der Road Map dazu verpflichtet hatte, alle Siedlungsaktivitäten einzufrieren. Mitte Dezember hat Verteidigungsminister Shaul Mofaz den Bau von 200 neuen Wohneinheiten in Maale Adumim, die Aufstellung von 40 Containern in Ariel, einer grossen Siedlung tief im Westjordanland, sowie den Bau Duzender Häuser in kleineren Siedlungen bewilligt. Zudem genehmigte Mofaz den Ausbau der Siedlungen Givat Ze’ev und Beitar Illit, zwei grosse Siedlungen in der Nähe von Jerusalem. Zahlen des Israelischen Zentralbüros für Statistik belegen, dass die Siedler in der ersten Hälfte des Jahres 2005 mit dem Bau von 1097 neuen Wohneinheiten begonnen haben. Das sind 237 mehr als im ersten Halbjahr 2004. Auf der Webseite des Ministeriums für Behausung und Bau ist nachzulesen, dass zur Zeit 3696 Wohneinheiten im Westjordanland und 1654 in Ostjerusalem für Siedler gebaut werden. Isaac Herzog, der Bau- und Hausminister scheint von dieser Siedlungswut nichts zu wissen: „Maale Adumim ist die einzige Region, die expandiert werden soll. In allen anderen Siedlungen wird zur Zeit nicht gebaut. Natürlich gibt es einen privaten Sektor, den wir nicht kontrollieren können. Wenn die Leute Land in den Siedlungen kaufen, können wir nichts dagegen unternehmen“, sagt er auf Nachfrage. Walerstein zeigt über die Hügel Richtung Jerusalem: „Unser Ziel ist es, die Gemeinden in Judäa und Samaria mit Jerusalem zu verbinden.“ Im Siedlerjargon heissen die illegalen Siedlungen – alle Siedlungen im Westjordanland und auf annektiertem Jerusalem Boden sind nach internationalem Recht illegal – Gemeinden und das Westjordanland heisst hier nach biblischer Terminologie Judäa und Samaria. In dieser Terminologie finden die 2,5 Millionen Palästinenser des Westjordanlandes wenig Platz. Nach Walerstein könnten diese zwar weiterhin hier leben, aber sie müssten die Siedler Ideologie akzeptieren, nach der das heilige Land ganz den Israeli gehört. Die Worte der Regierung sind zwar nicht so deutlich wie Walersteins, die Regierung handelt jedoch durchwegs in seinem Sinne. Seit der Besetzung Ostjerusalems baute Israel einen sogenannt inneren Ring bestehend aus verschiedenen Siedlungen, der Jerusalem umschliesst. Nicht die Zahl der Siedler, zirka 190’000 auf dem besetzten Ostjerusalem Boden, sind entscheidend, sondern die strategische Platzierung der Siedlungen und Siedlerstrassen. „Sharon spricht von der Wiedervereinigung von Jerusalem. Aber das meiste Land hat wenig zu tun mit Jerusalem. Es geht viel mehr darum, die jüdischen Siedlungen an Jerusalem anzubinden und die Kontinuität der palästinensischen Städte und Dörfer im Westjordanland zu unterbrechen. Sharon hat bereits das ganze unbewohnte Land von Jerusalem bis Ramallah und Bethlehem genommen. Dies bedeutet, dass das Westjordanland nun entzwei geteilt wird“, analysiert Michael Warschawski, der ehemalige Direktor des Alternativen Informationszentrums in Jerusalem. „Es stimmt nicht, dass wir palästinensisches Land stehlen. Wir wollen jedoch die Gebiete verbinden und dazu nutzen wir die Grünflächen“, sagt der Siedlerführer Walerstein. Kurze Zeit nach 1967 erklärte Israel 92 Prozent des unbewohnten Landes Jerusalems als „grünes Gebiet“. Nach Warschawski ist die Deklaration von Grünland eine elaborierte Art und Weise der Landannexion: das Land, das palästinensischen Dörfern oder Beduinenstämmen gehörte, gilt von einem Tag auf den anderen als Staatsland. Den Palästinensern wird verboten, auf diesem Land zu bauen, stattdessen wird es als israelisches Bauland benutzt. In der grössten israelischen Siedlung Maale Adumim wohnen heute knapp 30’000 Einwohner auf einem Gebiet doppelt so gross wie Tel Avivs. Ein Teil des Landes auf dem die Siedlung steht, gehörte einem Beduinenstamm, dessen Mitglieder neben die Mülldeponie der Siedlung umgesiedelt wurden. Viele von ihnen arbeiten heute in Maale Adumim als Bau- und Putzpersonal. Nach Warschawski ist diese schleichende Landannexion ein klarer Indikator dafür, dass der Krieg in eine neue Phase getreten sei. Es handle sich jetzt nicht mehr primär um Gewalt zwischen den Menschen, sondern die Landfrage sei an erste Stelle gerückt. „Sharon und die Zionisten wollen, dass das Westjordanland in Zukunft zu Israel gehört. Deshalb werden Fakten, Siedlungen und Strassen, geschaffen, die unverrückbar sind.“ Im Gazastreifen habe Sharon eingesehen, dass er den demographischen Kampf verloren habe, dass er Gaza nicht halten könne. Deshalb habe er die 9000 Sieder aus dem Gazastreifen und den vier kleinen Siedlungen im Westjordanland evakuiert. „Wenn das ganze Westjordanland zu Israel gehören soll, dann hat Sharon auch hier sehr schnell ein demographisches Problem; zu viele Palästinenser leben hier. Deshalb will er die Palästinenser zu Gefangenen im Westjordanland machen. Mit seiner Siedlungsstrategie und der Mauer schafft er leicht zu kontrollierende palästinensische Inseln, die voneinander getrennt sind. Auf die noch unbewohnten Grünflächen sollen in Zukunft Siedler kommen. Es geht also darum, wie er eine Situation, in der die Siedlungen Inseln waren, in einen Zustand verwandeln kann, bei dem die palästinensischen Dörfer zu Inseln werden.“ Dass dieser Plan erfolgsversprechend ist, zeigt sich bereits jetzt: ein Netz von By-Pass-Strassen, die zum Teil ausschliesslich den Siedlern vorbehalten sind, verbindet die Siedlungen untereinander und mit Jerusalem. Dadurch wird beispielsweise Nablus von Ramallah und Ramallah von Bethlehem abgeschnitten. Das Eingangstor von Migron ist von einem bewaffneten Mann bewacht, der erst nach einem Blick durch die Fensterscheibe die Gäste passieren lässt. Migron, eine Ansammlung aus Wohncontainern, ist einer von 101 Aussenposten im Westjordanland. Dreiundvierzig Familien haben sich hier im Jahr 2002 zweieinhalb Kilometer nordöstlich der Siedlung Kochav Ya’akov niedergelassen. Ein mit Stacheldraht gesicherter Zaun schützt die Siedler vor unliebsamen Gästen. Vor den Wohncontainern stehen Gartenstühle auf kleinen Rasenflächen und auf einem Spielplatz gleiten Kinder freudequietschend über eine Rutsche. „Erst kürzlich haben wir den Zaun um die Siedlung fertig gestellt“, erklärt ein Bewohner der Siedlung, ein Sozialarbeiter. Auch das erste permanente Gebäude wurde eben eingeweiht – dabei sollt Migron eigentlich seit zwei Jahren abgerissen werden. Die Bewohner der Aussenposten sagen, dass sie eine blosse Erweiterung der bestehenden Siedlungen seien. Die Aussenposten werden jedoch oft Kilometer entfernt von den Siedlungen, meist auf Hügeln, installiert. Nach Angabe von Peace Now dienen sie dazu, den noch unbesiedelten Raum zwischen Siedlungen zu besetzten, um damit mit der Zeit grosse, zusammenhängende Siedlungsblocks zu schaffen und das Wachstum von palästinensischen Gemeinden zu verhindern. Der Regierung scheint es am Wille zu fehlen, die fortschreitende Besiedelung zu bekämpfen: Sechzig Prozent aller Aussenposten wurden seit Ariel Sharons Amtsantritt im Februar 2001 geschaffen. In den vergangenen Monaten wurde kein Aussenposten abgerissen. “Migron ist der problematischste Aussenposten mit den meisten Siedlern. Es existiert ein Regierungsentscheid diesen Aussenposten abzureissen“, rechtfertigt sich Minister Herzog. Walerstein jedoch sagt, dass die Amerikaner die Aussenposten öffentlich verurteilt hätten, aber aus der Knesset habe man nie wirklich Widerstand gespürt. „Die Aussenposten werden von der Regierung und von Juden aus der ganzen Welt finanziert“, sagt Walerstein. Herzog will davon nichts wissen: „Natürlich finanziert die Regierung diese Aussenposten nicht.“ Zahlen des Israelischen Zentralbüros für Statistik zeigen jedoch, dass im Jahr 2004 66 Prozent aller Bautätigkeit im Westjordanland von öffentlicher Hand initiiert wurde. Dass die israelische Regierung und mit ihnen vor allem die israelischen Steuerzahler den Siedlern kräftig unter die Arme greifen, beweist die Politik der Ministerien. Nach Angabe der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem erteilt Herzog’s Bau- und Hausministerium grosszügige Kredite für den Wohnungskauf in den Siedlungen. Das Industrie- und Handelsministerium lockt mit Bewilligungen, um Infrastruktur für Industriezonen zu erstellen und das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verspricht Anreize für Sozialarbeiter. „Wichtig ist, dass die Zukunft der Siedlungen garantiert ist“, sagt Walerstein. Er braucht sich keine Sorgen zu machen: Für Familienfreundlichkeit hat das Ministerium für Bildung gesorgt: Kindergartengebühren werden den Siedlerkindern erlassen und der Transport zu den Schulen in den Panzerglas-Bussen ist gratis.