Ein Palästinenser aus dem Westjordanland, der eine Palästinenserin in Ostjerusalem heiratet, darf nicht nach Jerusalem ziehen. Aufgrund israelischer Gesetzgebung muss das Paar entweder getrennt leben oder ins Westjordanland ziehen. Geht der Partner aus Ostjerusalem weg, verliert er seine Identitätskarte und seine Sozial- und Arbeitsrechte in Jerusalem. Als Adam vor fünf Jahren heiratete, dachte er nicht an die grüne Farbe seiner Westjordanland- Identitätskarte. Adam heiratete Jihan, die eine blaue Jerusalem-Identitätskarte besitzt, weil er sie seit acht Jahren liebte. Mit Ausbruch der Intifada und vor allem seit das „Nationality and Entry into Israel“ Gesetz am 31. Juli 2003 in der Knesset verabschiedet wurde, haben Adam und seine Frau aufgrund der verschiedenen Farben ein Problem. Das neue Gesetz verbietet Palästinensern aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland zu ihrem Ehepartner mit Jerusalem-Identitätskarte nach Ostjerusalem zu ziehen. Die unterschiedlichen Farben der Ausweispapiere für Palästinenser gibt es seit der Annexion von Ostjerusalem durch Israel im Jahr 1967. Seither wurden die palästinensischen Bewohner der Stadt nicht mehr als Bürger anerkannt, sondern konnten sich als „permanent residents“, dauerhafte Bewohner, registrieren lassen und erhielten eine blaue Identitätskarte. In den besetzten Gebieten wurden grüne oder orange Papiere ausgegeben. Die unterschiedlichen Ausweispapiere waren so lange kein Problem, wie sich die Menschen zwischen Ostjerusalem, dem Westjordanland und dem Gazastreifen mehr oder weniger frei bewegen konnten. Zudem konnten Paare beim Innenministerium einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Seit 2003 wurden jedoch alle Anträge eingefroren und seit Ausbruch der Intifada können die Bewohner des Westjordanlandes und des Gazastreifens nur noch mit einer Spezialbewilligung nach Jerusalem reisen. Dies hat zur Folge, dass Paare mit unterschiedlichen Identitätskarten entweder getrennt leben müssen, oder der Partner mit der Jerusalem-Identitätskarte zieht von Jerusalem weg. Damit verliert er früher oder später seine blaue Karte, seine Sozial- und Krankenversicherung, das Recht nach Jerusalem zu reisen und dort zu arbeiten oder Freunde und Familie zu besuchen. Israel rechtfertigt dieses Vorgehen mit Sicherheitsargumenten. Im Bericht des israelischen Menschenrechtszentrum B’Tselem „Verbotene Familien. Familienzusammenführung und die Registrierung von Kindern in Ostjerusalem“ werden die Folgen dieses Gesetzes als „stille Deportation“ von Palästinensern bezeichnet. Jerusalem soll eine Stadt für Juden mit möglichst wenigen Palästinensern werden. „Alle meine Freunde sind in Jerusalem. Die Stadt ist mein Lebenszentrum, ich wuchs hier auf und habe hier gearbeitet“, erzählt Adam, der aber wie seine Eltern eine grüne Westjordanland-Identitätskarte besitzt. So lange es keine Checkpoints gab und das Hin- und Herreisen zwischen Jerusalem und den besetzten Gebieten kein Problem war, hatte sich Adam nicht um eine blaue Identitätskarte bemüht. Erst als er immer wieder von der Polizei verhaftet und ins Westjordanland deportiert wurde, beantragte er eine blaue Identitätskarte. Aber da war die Registrierungsfrist bereits abgelaufen. Nach seiner Hochzeit stellte Adam einen Antrag auf Familienzusammenführung. Dieser wurde jedoch kategorisch abgelehnt und Adam blieb zwei Jahre illegal in Ostjerusalem. Er sagt, der Kinder wegen. Diese hätten nur eine Chance auf eine blaue Identitätskarte, wenn sie in Jerusalem geboren werden. Bis 1994 akzeptierte das Innenministerium jedoch nur Anträge für Kinder, wenn der Vater Inhaber der Jerusalem Identitätskarte war und nicht die Mutter. Das Innenministerium rechtfertigt diese diskriminierende Praxis damit, dass in der arabischen Gesellschaft, die Frau dem Mann folge. Nach einem Entscheid des Gerichtshof in Israel wurde dies geändert, falls das Paar beweisen kann, dass es in Jerusalem wohnt und der Mann keine kriminelle Vergangenheit hat. Damit seine heute dreijährige Tochter Carmel die Jerusalem-Papiere erhielt, brauchte Adam einen Anwalt und seine Frau musste regelmässig die Elektrizitäts- und Wasserrechnungen beim Innenministerium vorbei bringen. Im Jahr 2003 zog Adam mit Frau und Tochter von Jerusalem weg, gleich neben das Flüchtlingslager Shufat nördlich der Stadt. Längst hat Adam aufgehört, seine Verhaftungen und anschliessenden Ausschaffungen ins Westjordanland zu zählen. Seinen Job als Küchenchef in einem Jerusalemer Hotel hat er verloren. Sein Chef hätte eine Geldstrafe riskiert, wenn er ihn weiterhin beschäftigt hätte. Adam wohnt heute mit seiner Familie gleich hinter dem Checkpoint in einer winzigen Zweizimmerwohnung mit einem Fenster. Das Flüchtlingslager Shufat sowie das unmittelbare Gebiet darum herum gelten noch nicht als Westjordanland, sondern fallen unter die Administration Jerusalems. Deshalb wurde Adams Frau bisher die blaue Identitätskarte noch nicht entzogen. Adam hat eine neue Arbeit als Animator in einem Kinderzentrum im Flüchtlingslager gefunden. Sein Arbeitsweg ist so kurz, dass er nicht permanent fürchten muss, von den Soldaten oder der Polizei ins Westjordanland deportiert zu werden. Einmal wurde er jedoch von Soldaten erwischt, als er den Müll vor dem Haus deponieren wollte. Sie brachten ihn zum Checkpoint, wo er zum x-ten Mal unterschreiben musste, dass er rund 1700 Franken bezahlen werde, wenn er das nächste Mal im Jerusalem-Gebiet erwischt werde. Das Einkommen im Flüchtlingslager reicht jedoch nicht aus, um dieses Versprechen zu halten. Vier mal wöchentlich versucht Adam deshalb über Schleichwege am Checkpoint vorbei den Weg nach Jerusalem zu nehmen, um bei einem Freund in einem Restaurant zu arbeiten. Bald wird dieser Weg unmöglich sein. Der Sperrzaun und die Mauer haben bereits Anata, das Dorf vor dem Flüchtlingslager, erreicht. Die Mauer führt quer über den Schulhof der Primarschule von Anata und wird in Zukunft das Flüchtlingslager Shufat von Jerusalem abtrennen. Die israelische Siedlung Pisgat Zeev, die sich auf annektiertem ostjerusalemer Boden befindet, fällt auf die andere Seite der Mauer und gehört somit in Zukunft zu Israel. „Wahrscheinlich werden die 55 000 Bewohner von Shufat ihre Jerusalem-Papiere verlieren. Danach haben sie keinen Zugang mehr zu Jerusalem“, sagt Yasser Akawi vom Alternativen Informationszentrum (AIC) in Jerusalem. Wer nicht jederzeit beweisen kann, dass er in Jerusalem wohnt, riskiert ständig, seine Identitätskarte zu verlieren. Der Staat und die Nationale Versicherungsgesellschaft haben Angestellte eigens dafür, in den Häusern zu überprüfen, ob tatsächlich die dort registrierten Palästinenser darin wohnen. Zudem werden Kollaborateure eingesetzt, um kurze Abwesenheiten zu melden. Nach Angabe von Akawi verloren durch diese Methode bereits Tausende Palästinenser ihre Jerusalem-Papiere. Sie bleiben oft illegal und ohne Papiere in Jerusalem. Sie haben keine Rechte, aber anhaltende Angst vor der Deportierung. „Diese verschärften Massnahmen schaden den palästinensischen Familien enorm. Viele werden auseinandergerissen. In Ostjerusalem herrscht zudem ein Klima des Misstrauens“, erklärt Akawi. Hania Dajani weiss, was Akawi meint, wenn er von getrennten Familien spricht. Dajani ist in Ostjerusalem aufgewachsen und hat eine blaue Identitätskarte. Im Jahr 2000 heiratete sie einen Palästinenser aus Nablus mit grüner Westjordanland-Identitätskarte. Der Antrag auf Familienzusammenführung und Aufenthalt in Ostjerusalem wurde abgelehnt. Ihr Mann sei eine Gefahr für Israel, da er in der ersten Intifada einige Monate wegen Steinewerfen im Gefängnis sass. Um ihre blaue Identitätskarte nicht zu verlieren, suchten Hania und ihr Mann einen Kompromiss. Sie zogen nach Samiramis, einem trostlosen Vorort von Ramallah, der jedoch immer noch unter die Jerusalemer Administration fällt. Hier bezahlen die Leute Steuern an die Behörde in Jerusalem, müssen jedoch den grossen Kalandia-Checkpoint und einen weiteren Checkpoint passieren, wenn sie nach Jerusalem wollen. Zwischen Samiramis und Ramallah gibt es keinen Checkpoint, deshalb kann Hanias Mann in Ramallah arbeiten und Hania behält vorerst ihre Jerusalem-Papiere. Wird die Mauer um Ramallah fertig sein, dann fällt Samiramis auf die palästinensische Seite der Mauer und die Bewohner werden höchstwahrscheinlich ihre blauen Identitätskarten verlieren. Hania steht dann vor der Entscheidung, entweder in Samiramis zu bleiben, womit sie und ihre Kinder kein Recht mehr auf Ausreise nach Jerusalem hätten, oder aber sie zieht mit ihren zwei Kindern ohne ihren Mann nach Ostjerusalem. „Wahrscheinlich werde ich nach Ostjerusalem ziehen. Meiner Kinder wegen“, sagt Hania. Ihr dreieinhalbjähriger Sohn erlitt bei einem Autounfall schwere Hirnschäden und besucht deshalb tagsüber eine Spezialschule, die es nur in Jerusalem gibt. Jeden Morgen um halb sechs fährt Hania ihren behinderten Sohn zum Kalandia-Checkpoint, wo sie meist eine Stunde Wartezeit in Kauf nimmt. Auf der anderen Seite wird ihr Sohn von einem Fahrer der Schule abgeholt und Hania fährt zurück nach Ramallah zur Arbeit. Um fünf Uhr passiert sie den Checkpoint erneut, um ihr Kind abzuholen. Fallen Arztvisiten oder andere Besorgungen in Jerusalem an, ist Hania immer auf sich alleine gestellt, da ihr Mann das Westjordanland nicht verlassen kann. Im kommenden Jahr ist Schulbeginn für ihren zweiten Sohn. Er wird in Jerusalem zur Schule gehen müssen, um seine Identitätskarte nicht zu verlieren. Dies bedeutet für Hania noch mehr Wartezeit am Kalandia-Checkpoint. Denn die Stundenpläne ihrer Kinder seien verschieden und alleine wolle sie ihren fünfjährigen Sohn nicht durch den Checkpoint schicken. Erschwerte Familienzusammenführung 1967 annektierte Israel Ostjerusalem, das dadurch vom Rest des Westjordanlandes abgeschnitten wurde. Die palästinensischen Bewohner von Ostjerusalem haben seither einen Status als „dauerhafte Bewohner“. Das Innenministerium kann den Bewohnern von Ostjerusalem diesen Status entziehen, wenn sie vorübergehend nicht mehr in Jerusalem wohnen oder wenn sie als Sicherheitsrisiko eingeschätzt werden. Ab Februar 1991 benötigten alle Palästinenser, die nach Israel und Jerusalem einreisen wollten, eine Bewilligung. Ab März 1993 begann Israel Checkpoints zwischen den besetzten Gebieten und Israel zu errichten und reduzierte die Vergabe von Einreisebewilligungen nach Israel. Paare mit verschiedenen Identitätskarten konnten beim Innenministerium einen Antrag für Familienzusammenführung stellen, um eine Niederlassungsbewilligung in Jerusalem zu erhalten. Bis 1996 garantierte das Innenministerium nach Genehmigung des Antrags dem Ehepartner aus den besetzten Gebieten sofortigen Status des permanenten Aufenthalts. 1997 führte das Innenministerium ein neues, graduelles Verfahren ein. Erst nach fünf Jahren und drei Monaten nach Annahme des Antrags für Familienzusammenführung sollte dem Ehepartner permanenter Aufenthalt gewährt werden. Der Ehepartner aus den besetzten Gebieten erhielt zwar eine provisorische Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung, verfügte jedoch weder über soziale Rechte noch über Gesundheitsversicherung. Am 31. Juli 2003 wurde das „Nationality and Entry into Israel“-Gesetz angenommen. Es verbietet Israeli und Palästinensern mit Jerusalem-Identitätskarte, die mit jemandem aus den besetzten Gebieten verheiratet sind, in Israel zu leben. Alle bereits eingereichten Anträge wurden bis auf weiteres eingefroren.