Der vierjährige Samer hat sich die ganze Woche auf das Ende des Fastenmonats Ramadan gefreut. Die Kleinen erhalten neue Kleider, kleine Geschenke und Süssigkeiten. Der Aid, die drei Feiertage nach dem Ramadan, sind mit dem Ende des Fastens der Beginn eines Essmarathons. Samer wohnt mit seiner Schwester und seinen Eltern im Dorf Beit Hanun im Norden des Gazastreifens. Am Morgen des Aid geht er stolz in seinen neuen Schuhen in der Wohnung auf und ab, in der Hand ein farbiges Plasticmaschinengewehr mit aufgestecktem Panzer. „Bum, bum“, sagt er, während er das Gewehr auf seinen Spielkollegen richtet. Später beginnt er zu weinen und schreit, er wolle auch noch einen Panzer haben, so einen wie ihn die Israeli besässen, dann würde er bis über die Grenze schiessen. In Beit Hanun ist auch nach dem Abzug der Siedler keine Verbesserung des Alltags zu spüren. In der Nacht vor dem Aid schlugen stündlich mehrere Geschosse von israelischen Panzern in einem Feld der Nachbarschaft ein und weckten mit ihrem dumpfen Knall die Bewohner der Gegend. Kurz bevor die Männer im Morgengrauen in die Moschee gingen, war zudem das regelmässige Rattern von den Maschinengewehren israelischer Spezialtruppen zu vernehmen, die sich irgendwo in Beit Hanun aufhielten. „Die Siedler sind zwar weg, aber bis jetzt wurde alles noch schlimmer. Vor allem die Kinder leiden unter dem Lärm der Panzergeschosse und den Überschallknallen, wenn die Kampfjets die Schallmauer durchbrechen“, sagt Hanan Shabat, die 23-jährige Mutter von Samer. Am frühen Morgen der Feiertage hat sie Aid-Gebäck gefüllt mit Datteln und Nüssen gebacken. Nach der Tradition bleiben die Frauen am ersten Tag Zuhause, während die Männer aus der Verwandtschaft zu Besuch kommen. Vor den Tagen des Aid hat sich der Gazastreifen in einen einzigen grossen Marktplatz verwandelt. Jeweils abends nach dem Fastenbrechen strömten die Menschen durch die Strassen, um noch ein Schnäppchen hier oder da zu ergattern. Hochkonjuktur herrschte vor allem für Plasticmaschinenpistolen und –gewehre aller Arten als Geschenk für die Jungen und für pink oder grüne Handtäschchen für die Mädchen. Im Flüchtlingslager Jabalia schickte die islamische Hamas Putzbrigaden mit grünen Hamas Mützen los, um die Strassen zu säubern. Am Abend vor den Feierlichkeiten, begannen dann die letzten Vorbereitungen: die Frauen gingen zum Coiffeur. Kurz vor dem Eid schien es, als ob sich alle Frauen von Beit Hanun noch die Haare schneiden, die Brauen zupfen und die Gesichter enthaaren wollten. Nebst Gesprächen über die billigsten aber besten Pullover, Trainer oder Hosen, die die Frauen in den letzten Tagen erstanden hatten, diskutierten sie die Vorfälle der letzten Tage. „Hast du gehört; zwei hat’s erwischt in Jabalia. Eine Rakete aus der Luft“, sagte eine Frau zu ihrer Kollegin und meinte damit die Tötung eines Mitglieds von Hamas und eines der al-Aksa Brigaden. Die zwei Männer wurden am Dienstag von einer israelischen Rakete getötet, als sie in ihrem Jeep unterwegs waren. Eine Frau fragte rhetorisch: „Und das nennen die Israeli Waffenstillstand und sind erstaunt, wenn die Männer von hier aus Raketen schiessen.“ Am Morgen des Aid kommt auch Hanans Nachbarin, Amira, zu Besuch. Die 26-Jährige ist Mutter von sechs Kinder und Ehefrau eines gesuchten Hamas Mitglieds. Aus Angst vor den israelischen Spezialtruppen schläft ihr Mann nie Zuhause. „Vor dem Abzug der Siedler gab es Invasionen in speziellen Gebieten. Dann blieben wir Zuhause. Heute sind wir alle betroffen. Eine Rakete aus der Luft könnte auch mich treffen“, sagt Amira. Von der Entwaffnung von Hamas hält sie nichts, solange den Männern entweder von den Israeli oder den Palästinensern Verhaftung drohten. Sie sei müde von diesem Krieg und wünsche sich ein normales Leben, in dem ihr Mann arbeiten könne. Hanans Mann, Salah, führt seine Familie in ein kleines Kebab Restaurant in Gaza, um den Aid zu feiern. Mit 1300 Franken Monatseinkommen können sich der Angestellte der Palästinensischen Autonomiebehörde und Hanan, die als Sekretärin arbeitet, keine grossen Sprünge leisten. Noch prekärer sieht die Situation von Rabiha Jamal, der Freundin Hanans aus. Rabiha ist im letzten Juni mit ihren sechs Töchtern und zwei Söhnen in die brandneue Stadt Scheich Zayed im Norden des Gazastreifens, gleich neben der ehemaligen israelischen Siedlung Elei Sinai eingezogen. Die Stadt bietet 736 Wohnungen für zirka 25 000 Personen, zudem steht hier eine Moschee, ein Einkaufszentrum, ein Spielplatz und eine Schule, alles benannt nach dem grosszügigen Sponsor, dem verstorbenen Scheich Zayed der Emirate. Die Wohnungen werden gratis an benachteiligte Familien des Gazastreifens vergeben. Einigen Familien wurden die Häuser durch israelische Angriffe zerstört, andere sind arbeitslos oder haben jemanden in der Familie verloren. Rabihas Mann starb vor dreizehn Jahren an einem Herzinfarkt. Sie habe sich nicht im Traum ausmalen können, dass sie irgendwann eine Wohnung für sich und ihre Kinder, mit Warmwasser, Kühlschrank und eigenem Zimmer haben werde, sagt Rabiha. Der einzige der im Moment Geld nach Hause bringt, ist der Sohn Tamer, der für 500 Franken Monatslohn als Tontechniker arbeitet. Der Alltag der Frauen spielt sich vor allem im Wohnzimmer vor dem Fernseher ab, daran ändert weder der Aid noch der Abzug der Siedler etwas. Die Siedlungen habe sie sich nicht angeschaut und was mit ihnen passiere, das wisse niemand, sagt Rabiha. Jetzt, nach dem Abzug der Siedler, gebe es zwar keinen Checkpoint mehr, der den Gazastreifen trenne und sie könne ihre Verwandten im Süden besuchen. Rabiha fragt sich aber: „Was ist diese Verbesserung Wert, wenn ich immer Angst haben muss, von der Grenze beschossen zu werden?“