Zwei Wege wie Opfer Selbstmordattentate verarbeiten Die Angehörigen von Leuten, die in Selbstmordattentaten ums Leben gekommen sind, leiden oft ein Leben lang. Dieses Leid führt zu verschiedenen Verarbeitungsprozessen und politischen Ansichten: Entweder wird die ganze Verantwortung religiösen Fundamentalisten zugeschoben und der Verlust verdrängt oder die Ursachen für ein solches Attentat werden direkt mit der israelischen Besatzung in Verbindung gebracht. Jerusalem, im Mai Nach dem Yom Kippur Krieg wollte Rami Elhanan nichts mehr mit Politik zu tun haben. Die Kriegspolitik hatte dazu geführt, dass er viele Freunde verloren hatte. Elhanan schwor sich deshalb seine Energie nur noch für die Familie und seine Karriere zu investieren. Jahre später musste der Grafiker seinen Vorsatz überdenken. Bei einem palästinensischen Selbstmordattentat in Jerusalem am 4. September 1997 kam seine 14-jährige Tochter Smadar ums Leben. Wut und Rachegefühle gehörten zur spontanen Reaktion auf den Mord an seiner Tochter. Da jedoch weder das eine noch das andere Gefühl seine Tochter zurück bringen konnte, wollte Elhanan nach Wegen suchen, die dasselbe Leid weiteren Familien ersparen könnte. Parents Circle zur Verständnisförderung Die Möglichkeit bot sich, als ihn Yitzhak Frankenthal besuchte, dessen Sohn von der Hamas gekidnappt und umgebracht worden war. Frankenthal ist einer der Gründer des Parents Circle, einer 1995 etablierten Organisation für Israeli und Palästinenser, die Verwandte durch palästinensischen oder israelischen Terror verloren haben und die Besetzung im Westjordanland und dem Gazastreifen dafür verantwortlich machen. Elhanan sagt, dass ihn die Einladung, an einem Anlass des Parents Circle teilzunehmen, zuerst wütend gemacht habe. Wie konnte Frankentahl von Versöhnung reden, nachdem er erst vor kurzer Zeit seine Tochter verloren hatte? Trotzdem nahm Elhanan an einer Veranstaltung teil. Ein Ereignis, das sein Leben verändert habe. Zu sehen wie palästinensische Frauen, dasselbe Leid trügen, wie er, nämlich den Verlust eines geliebten Menschen, hätte ihn tief berührt. Vor allem aber habe er einen Schluss gezogen: „Wir Israeli sind nicht dazu verdammt, getötet zu werden. Was es braucht ist Dialog.“ Die jahrelange israelische Parole der Politiker, es gebe keinen Dialogspartner, verwarft Elhanan nachdem er an der Zusammenkunft von israelischen und palästinensischen Familien von Terroropfer teilgenommen hatte. Er sagt, wenn sich die israelische Regierung bereits gegen Dialog sträube, dann bedeute dies, dass es auch nichts zu reden gäbe. Nach Elhanan und den weiteren 500 Familien des Parents Circle ist jedoch genau dieser Ansatz ein grosser Fehler. Sie sagen, Lösungen, Friede und das Ende des Konflikte könne nur gefunden werden, wenn man zusammen spreche, wenn man auch das Leid des anderen wahrnehme und sich nicht in der eigenen Opferrolle verkrieche. „Schöner Frieden“ Die Forderung nach Dialog und dem Ende der Besatzung stosse bei der israelischen Regierung auf taube Ohren, sagt Elhanan. Deshalb versucht die Organisation nicht auf politischer Bühne, sondern im Alltag zu wirken. Um Verständnis und nicht Rachegefühle zu fördern, werden Sommerlager für palästinensische und israelische Kinder, die Verwandte im Konflikt verloren haben, veranstaltet. Der Konflikt ist bei diesen Lagern nicht das Thema, sondern man kocht, spielt und diskutiert miteinander. Zudem hat die Organisation im Oktober 2002 eine Gratistelefonnummer mit dem Namen „Hallo Friede“ eingerichtet, unter der Israeli und Palästinenser miteinander kommunizieren können. Dass der Wille zum Dialog und besseren Verstehen zumindest im Volk da ist, zeigen über eine halbe Million Telefonanrufe zwischen Israeli und Palästinenser, die gemacht wurden. Um die Jungendlichen anzusprechen, halten die Mitglieder des Parents Circle regelmässig Vorträge in israelischen und palästinensischen Gymnasien. Das Problem bei solchen Vorträgen sei, dass die Jugendlichen komplett blind und blockiert seien, in Bezug auf alles, was die andere Seite betreffe. Es gehe deshalb darum, die Jugendlichen mit Menschen bekannt zu machen, Leuten, die bereit sind den Kreis der Gewalt zu durchbrechen. Elhanan macht die israelischen Schüler, die nach Ende der Schule dem Militär beitreten, darauf aufmerksam, dass sie mit ihrer Präsenz und ihrem Verhalten die nächsten Selbstmordattentäter kreieren. Höhere Mauern, mehr Soldaten und Stacheldraht, all dies helfe nichts, wenn das Grundübel, die Besatzung nicht gestoppt würde, glaubt Elhanan. „Der Hass und die Angst, die auf israelischer Seite zu den Mauern führen, kreiert neuen Hass und dieser wird so stark sein, dass die Palästinenser Wege finden werden, unter, über oder neben den Mauern hindurchzubrechen, um ihrer Frustration gewaltsam Ausdruck zu verleihen.“ Der Überlebenskampf „Der Parents Circle das ist eine verrückte Idee. Es ist verrückt, dass Israeli und Palästinenser, die jemanden verloren haben, zusammen sitzen. Ich bleibe lieber allein, ohne nachzudenken. Wenn ich das Geschehene ignoriere, dann kann mein Leben weiter gehe.“ Der Mann der so spricht, heisst Meir Schijveschuurder. Er ist 23 Jahre alt, kam als Junge mit seinen Eltern von den Niederlanden nach Israel und wirkt bereits wie ein Geschäftsmann mit langjähriger Erfahrung. Am 9. August 2001 wurden bei einem palästinensischen Selbstmordanschlag in Jerusalem seine Mutter, sein Vater und drei seiner Geschwister getötet. Zwei weitere Schwestern wurden verletzt, eine davon schwer. Meir war zum Zeitpunkt des Anschlags im Militärdienst in der Marine. Die Zeit nach dem Selbstmordanschlag bezeichnet Meir als Überlebenskrieg. Von der Familie blieben fünf Geschwister, zwei davon verletzt, als Waisen zurück. Er habe keine Zeit gehabt über irgendetwas nachzudenken, habe kämpfen müssen, um zu überleben, sagt Meir. Für ein Jahr zogen die Geschwister zu einem Bruder nach Zürich und während sich die heute 12 und 14 Jahre alten Schwestern langsam erholten, reiste Meir zwischen Zürich und Tel Aviv hin und her, um Finanzangelegenheiten ins Reine zu bringen. Dann zogen er mit einigen seiner Geschwister zurück nach Israel, ein Land, das er als Heimat bezeichnet und deshalb auch nicht verlassen will. Der Fond für Opfer von Terroranschlägen der Jewish Angency, der von Gebern aus allen Ländern gespiesen wird, zahlte den Verbleibenden zirka 20 000 Dollar. Ansonsten waren sie auf sich alleine gestellt. Friede durch Handel Meir führte zusammen mit seinem Bruder den Getränkehandel seines Vaters weiter. Manchmal vermisse er seine Eltern, aber was passiert sei, das sei passiert, das Leben müsse weiter gehen. Bereits wie vor der Intifada handelt Meir mit Getränkeherstellern im Westjordanland und reist regelmässig nach Ramallah, was dank seines niederländischen Passes kein Problem für ihn ist. Zur Zeit absolviert er ein Praktikum in einem Anwaltsbüro und ist in verschiedene kleine Geschäfte verwickelt. Meir sagt: „Nur die Wirtschaft kann das Leid der Palästinenser mildern.“ Über Grund und Ursachen, die einen Selbstmordattentäter zu seiner Tat führt, habe er sich selten Gedanken gemacht. Aber wenn sich jemand in die Luft sprenge und dabei willentlich Unschuldige töte, dann geschehe dies rein aus religiösen Motiven. Dass ein Selbstmordattentäter aus Frustration, aus Auflehnung gegen die Besatzung handelt, das schliesst Meir aus. Islamischem Fundamentalismus schiebt er denn auch die Probleme dieser Welt und jene der Palästinenser zu. Die Muslime, ist Meir überzeugt, wollten die Welt erobern und Israel sei dabei nur der Anfang eines weltumgreifenden Eroberungsfeldzuges. Meir sagt, dass er nichts gegen den normalen Muslimen, den Bürger der Strasse einzuwenden hätte, aber Tatsache ist seiner Meinung nach, dass auch die gemässigten Muslime von den radikalen kontrolliert würden. Dies sei auch das Problem im palästinensisch-israelischen Konflikt. Man hätte den Palästinensern immer wieder Angebote für einen eigenen Staat gemacht, aber diese hätten alle Lösungsvorschläge in den Wind geschlagen. Nicht etwa weil die Lösungen unfair gewesen seien, sondern weil die Palästinenser einfach ein Haufen Heulsusen seien und ihre Chancen verpassten. Meir hofft: „Arafat wollte kein Friede, aber vielleicht kommen irgendwann neue, junge Leute vor Ort an die Macht, die es besser machen werden. Es ist hart für mich dies zu sagen, denn eigentlich will ich den Palästinensern auch kein Land geben. Diese haben genügend Platz in Jordanien oder Saudi Arabien oder allen anderen muslimischen Ländern. Aber ich sage: Kein Problem, nehmt euer Land, lasst uns den Frieden ausprobieren.“ Bis es jedoch so weit sei, müsse jeder palästinensische Terror stoppen. Die israelische Rolle in diesem Friedensprozess beschränke sich lediglich darauf, weitere Selbstmordattentate zu verhindern. Zum Beispiel durch den Bau der Mauer und Elektrozäune.