Künftige Opposition im palästinensischen Parlament Die Gewinne bei den Lokalwahlen lassen erahnen, dass die Hamas auch in den palästinensischen Parlamentswahlen eine tragende Rolle spielen wird. Die neue Stärke der militanten Bewegung ist nicht nur mit der korrupten Palästinensischen Autonomiebehörde und der Schwäche der Regierungspartei Fatah, sondern auch mit der israelischen Besatzungspolitik zu erklären. Ramallah im Mai Durch Selbstmordattentate und Kassam Raketen hat die militante, islamische Widerstandsorganisation Hamas auch im Westen einen zwiespältigen Berühmtheitsgrad erreicht. Ihre Führer, wie beispielsweise Scheich Yassin oder Rantisi, wurden von Israel mit allen Mitteln bekämpft und nach Möglichkeit umgebracht. Seit einigen Monaten zeigt die Hamas ein neues Gesicht: sie wird politisch – und das, zumindest auf lokaler Ebene, mit grossem Erfolg. Die Teilnahme an den Lokal- und im Juli an den Parlamentswahlen bedeutet jedoch kein Ende des militanten Widerstands, sondern ist viel mehr eine zusätzliche Stärkung der Machtposition. Das politische Programm ist diffus; obwohl Hamas die Zweistaatenlösung als eine Lösung in Erwägung zieht, hat sie Israel bis jetzt nicht anerkannt. Fatahs Schwäche ist Hamas Stärke Die politische Stärke der Hamas, wie sie in den Kommunalwahlen sichtbar wurde, hängt direkt mit dem Versagen von Fatah und der Korruption in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zusammen. Ohne die starke Hand des Fatah Gründers Yassir Arafat, werden die internen Streitereien der heterogenen Partei öffentlich zur Schau getragen. Uneinigkeit und eine alte, nicht weichen wollende politische Garde führt zu einer parteiinternen Nabelschau, in der die Arbeit fürs Volk zu kurz kommt – eine Arbeit, die unter anderem von der Hamas übernommen wird. „Fatah ist weitgehend für die Misere, in der die Palästinenser sich jetzt befinden, verantwortlich. Das macht die Hamas stark“, sagt Salah Abdel Shafi, ein führender palästinensischer Intellektueller. Oder wie ein Hamas Führer des Gazastreifens den Erfolg bei den Kommunalwahlen erklärt: „Fatah verspricht, wir handeln.“ Auch wenn Hamas Popularität sich vor allem auf den militanten Widerstand zurückführen lässt, so kann nicht bestritten werden, dass die Bewegung vor allem im sozialen Bereich direkte Hilfe in der Bevölkerung leistet. Im allgemeinen Zustand von Hoffnungslosigkeit, in dem sich die palästinensische Bevölkerung befindet, scheinen die islamischen Werte der Hamas zudem trostspendend zu wirken. Fehlende internationale Legitimation Die ersten Parlamentswahlen 1996 hatte Hamas boykottiert, weil sie die Oslo Verhandlungen, auf denen die Wahlen und damit die Autonomiebehörde fusste, nie akzeptierte. Fatah Mitglieder nahmen darauf hin die Sitze in der PA ein. Auch wenn die Oslo Verhandlungen längst zu einem Stück Papier verkommen sind, die PA besteht noch immer, trotzdem hat sich Hamas für den politischen Weg entschieden. „Heute steht die Hamas unter grossem Druck. Um die Popularität im Volk zu bewahren muss sie an den Wahlen teilnehmen“, erklärt Imad Falouji, der früher selbst eine Hamas Führerfiguren war, den Gesinnungswandel. Falouji machte sich 1996 für eine Teilnahme im Parlament stark und verliess schliesslich die Hamas, um sich ins Parlament wählen zu lassen, wo er Kommunikationsminister wurde und die islamische Stimme bis heute vertritt. Während Hamas politische Stärke auf lokaler Ebene die Bewegung stärkt, bringt die Teilnahme an den Parlamentswahlen gleich eine Reihe von Problemen mit sich. „Wie will Hamas auf nationaler und internationaler Ebene mit Israel verhandeln, wenn sie sich bis jetzt geweigert hat, Israel oder irgendwelche internationalen Abkommen zu anerkennen?“ nennt Falouji nur eines der Probleme. Auch wenn die Hamas sich eventuell einem Dialog mit israelischen Regierungsvertretern nicht entziehen würde, stellt sich die Frage, ob Israel oder Amerika, die die Hamas auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt hat, den politischen Arm der Bewegung als Gesprächspartner akzeptieren würden. Ein solches Szenario wird sich jedoch gar nicht erst ergeben, ist der Hamas Experte und Politologie Professor der Universität Birzeit, Hisham Ahmed, überzeugt. Er glaubt, dass die Hamas bei den Parlamentswahlen je nach politischer Wetterlage höchstens dreissig Prozent der Sitze gewinnen wird. Nach Ahmeds Meinung wird Hamas die Ministerien für soziale Angelegenheiten und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, um die Volknähe zu bewahren. „Hamas wird im Parlament die Rolle der Opposition einnehmen. Dies bedeutet, dass sie gegen die Regierung und deren Fehler zetern kann und dabei an Popularität gewinnt ohne wirklich zu handeln“, glaubt Ahmed. Falouji sieht die Hamas der Zukunft in einer ähnlichen Rolle wie die Hizbollah im Libanon: Gerade stark genug, um die Politik weitgehend mitzubestimmen, aber nicht in der Mehrheit, um die Verantwortung für Entscheidungen tragen und sich auf dem internationalen Parkett bewegen zu müssen. Ahmed will Hamas jedoch nicht mit Hizbollah gleich setzten: „Hizbollah ist stark. Sie hat die Israeli aus Südlibanon vertriebenen. Hamas hat trotz Terrorattacken wenig mehr als ein paar Versprechen gewonnen.“ Balanceakt von Terror und Politik Die wahre Herausforderung der neuen Ausrichtung sehen jedoch sowohl Falouji als auch Ahmed im Balanceakt zwischen politischer Partizipation und militantem Widerstand. „Ohne eigenen Staat legen wir auch unsere Waffen nicht beiseite“, lautet die Devise von Hamas. Diese Doppelstrategie führt zu einem Dilemma: Würde die Bewegung nur eine politische Linie weiterführen, verlöre sie mit grösster Wahrscheinlichkeit ihre Popularität. Der militante Widerstand lähmt die Organisation jedoch gleichzeitig im internationalen Dialog. Welche Rolle Hamas in der Zukunft spielen wird, hängt jedoch nicht nur von ihrer Strategie und dem Terraingewinn oder –verlust von Fatah ab, sondern vor allem auch von den internationalen Spielern. Hisham Ahmed analysiert: „Durch ihre Politik kreieren Israel und der Westen wissend oder unwissend immer mehr Hamas Wähler: erstens, indem sie die Fatah kritisieren und somit Hamas als Alternative bleibt, zweitens, indem sie die Besatzung weiterführen. Die Mauer, mehr Siedlungen im Westjordanland, Erniedrigungen, Tötungen und Verhaftungen schüren die Wut. Hamas verspricht Vergeltung.“ Solange Fatah nicht aus ihrem eigenen Sumpf herausfindet und andere säkulare Parteien schwach bleiben, spielt Hamas Rettungsanker für die Palästinenser. Ein Anker, der zur Stärkung von konservativen, islamischen Werten in der Gesellschaft führt.