Lokalwahlen im Gazastreifen und dem Westjordanland
Am Donnerstag hat in den besetzten Gebieten die zweite Runde der Lokalwahlen statt gefunden. In 74 Gemeinden im Westjordanland und in 8 im Gazastreifen wurden die Wähler zur Urne gebeten. In der ersten Wahlrunde Ende Januar ging Hamas vor allem in Gaza als klare Gewinnerin hervor.
In Beit Lahia, einer Stadt im Norden des Gazastreifens, schwingen Knaben grüne Hamas Flaggen und Fatah Anhänger verteilen Narzissen und die Liste ihrer Kandidaten vor den Wahllokalen. Beit Lahia ist eine der acht Gemeinden im Gazastreifen, in denen gestern Lokalwahlen, statt gefunden haben. 130 000 Wähler wurden nach Angaben der Wahlkommission im Gazastreifen registriert. Im Westjordanland werden 270 000 Wähler in 74 Gemeinden an die Urne gebeten. 327 Kandidaten haben sich im Gazastreifen für 94 Sitze beworben, wobei Fatah mit 94 Sitzen und Hamas mit 82, nebst der Volksfront (31 Sitze), der Demokratischen Partei (38 Sitze), kleineren Parteien und unabhängigen Kandidaten die führenden Parteien sind. In der ersten Wahlrunde im Januar hat die Regierungspartei Fatah vor allem im Gazastreifen ihre Führungsrolle verloren und wurde von Hamas deutlich geschlagen. Auch bei dieser Wahlrunde, muss Fatah mit einer politischen Ohrfeige rechnen, da die Partei mit der korrupten Palästinensischen Autoniebehörde assoziiert wird und die Wähler sich einen Wechsel wünschen.
Korruption in der Fatah
„Korruption ist das grösste Problem hier. Verantwortlich dafür ist Fatah. Deshalb wählen wir Hamas“, sagt Iman Shad, eine bis auf die Augen verschleierte Frau, die den Wählern erklärt, wo sie die Kreuze auf der Wahlliste setzen sollen. „Bei den Vorbereitungen hatten wir vor allem Probleme mit Hamas. Die Erklärungen zur Wahl, die wir an die Bevölkerung verteilt hatten, wurde von Hamas übernommen und manipuliert“, sagt Osama Abu Saffia, der Direktor der Wahlkommission in Gaza. Sowohl Fatah als auch die Widerstandsbewegung Hamas hätten Geld verteilt, um Wähler zu bestechen. Trotz der Anweisung der Wahlkommission jede Werbung am Wahltag zu stoppen, sind beide Parteien aktiv vor den Wahllokalen dabei, für sich zu werben. Die Wahlbeobachter schauen zu und wollen keinen Kommentar abgeben.
Die Hamas Wähler stellen die Fatah durchgehend für Korruption an den Pranger. Korruption sei das Resultat eines Einparteiensystems, klagt Mohammed Kamel Sultan, der sich für die Liste der palästinensischen Volksfront in Beit Lahia aufstellen liess, Fatah an. Jamal Abu Jidian, einer der Fatah Kandidaten in Beit Lahia, verteidigt sich, dass Fatah zwar innerhalb der Partei eine schwere Zeit durchlebt hätte, jetzt jedoch wieder organisiert sei. Mit Organisationsmangel erklärt Abu Jidian denn auch die Schlappe, die Fatah in der ersten Wahlrunde erlitten hatte. Die Fatah Wähler erwarten vor allem eines von ihrer Partei: die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Volksnahe Hamas
Wieso Hamas wahrscheinlich auch in dieser Runde als Siegerin aus den Wahlen hervorgehend wird, erklärt ein Student aus Rafah: „Die Leute im Gazastreifen sind verzweifelt, deshalb sehen sie Religion als einzigen Rettungsanker. Hamas fördert diese islamischen Werte.“ Für die palästinensische Gesellschaft bedeute dies, dass sie konservativer und geschlossener würde. Hamas macht jedoch nicht nur religiöse Lippenbekenntnisse, sondern hat sich in den letzten Jahren mit der Finanzierung von Spitals, Kinderkrippen, direkter Nahrungsmittel- und Finanzhilfe um die Leute gekümmert. Eine Hilfe, die nach Meinung vieler Palästinenser im Gazastreifen eigentlich von der Regierung kommen müsste. In der Stadt und dem Flüchtlingslager von Rafah ist die Bevölkerung besonders von der israelischen Besatzung betroffen. Hamas bezahlt jeder Familie, die Angehörige wegen der Intifada verloren hat, 200 Dollar monatlich. Dies sei Grund genug, Hamas zu wählen, meint eine Wählerin, deren Sohn von den Israeli getötet wurde.
Das Hamas Hauptquartier in Rafah ist ausgeschmückt mit Postern der ermordeten Hamas Führer, Scheich Yassin und Rantisi. „Fatahs Programm ist nicht viel anders, als das unsrige. Aber wir arbeiten für die Leute. Wir versprechen nicht nur, sondern setzten um“, erklärt Fawzi Barhum, Kandidat der lokalen Hamasliste. Die Prioritätenliste von Hamas ist einfach: Erstens Förderung des Islams, zweitens Widerstand, drittens die Teilnahme in der Palästinensischen Autonomiebehörde und viertens das Besatzungsproblem lösen. Barhum kritisiert, dass in der jetzigen Lokalbehörde die Hälfte der Angestellten zwar ein Salär kassiere, jedoch nicht arbeite. Dies müsse geändert und richtige Jobs müssten geschaffen werden. Wie Hamas jedoch die hohe Arbeitslosigkeit in Rafah bekämpfen und Jobs kreieren will, wird aus Barhums Erklärungen nicht klar. Für Arbeitslosigkeit sei vor allem die Besatzung verantwortlich, deshalb müsse die auch weiterhin nicht nur politisch, sondern auch mit militantem Widerstand bekämpft werden. Kassamraketen würden erst dann nicht mehr geschossen, wenn es im Gazastreifen keine Strassensperren, Siedler und Invasionen mehr gebe. Die Angst der zunehmenden Islamisierung, die von Hamas kritischen Palästinensern geäussert wird, sieht Barhum als unbegründet. Ihr politisches Programm sei ein simples, dazu gehöre auch ein Frauenförderungsprogramm. Wie ernst es Hamas mit diesem Programm ist, bleibt offen: unter den 15 Hamaswahlkadidaten befinden sich nur zwei Frauen – diese wurden vom lokalen Wahlrecht vorgeschrieben.