Auf der Suche nach einer ganz alltäglichen und ganz und gar apolitischen Geschichte, bin ich im Kalandia Flüchtlingslager auf die Boxchampions Palästinas gestossen. In Palästina sind jedoch selbst Boxer politisch.
Ismail Fayalh, der Box Champion von Palästina ist ein wortkarger Mann. Der 26-Jährige sitzt mit gefalteten Händen unter einem mannshohen Bild der al-Aksa Moschee in einer Wohnung im Kalandia Flüchtlingslager. An diesem Dienstag Abend konnten er und seine sechs Kollegen nicht trainieren. Stromausfall hat das Trainingslokal verdunkelt. Ismail hält eine Fotografie in der Hand, die ihn als stolzen Sieger mit Pokal zeigt. Er boxte sich im Jahr 2000 an die Spitze seiner Gewichtsklasse in Palästina. Um Champion zu werden, brauchte es für ihn jedoch lediglich einen Match, da nur gerade fünf Palästinenser im Westjordanland und dem Gazastreifen in der Gewichtsklasse von 71 bis 75 Kilogramm boxen. An einem Matchtag stehe er jeweils zuerst auf die Wage, um sicher zu stellen, dass er nicht zu schwer oder zu leicht sei. Dann bete er, esse Eier, Joghurt und Tomaten und wärme sich mit dem Springseil auf. Das sei die beste Vorbereitung, um erfolgreich im Ring zu sein. Erfolgreich waren die Männer vom Boxklub Kalandia vor allem im Westjordanland und dem Gazastreifen. Seit sie 1995 zu boxen begannen, haben sie beinahe jeden Match innerhalb Palästinas gewonnen. Im Ausland war das anders. So hat Ismail in Korea gleich in der ersten Runde auf die Nase gekriegt, als er mit dem indischen Meister im Ring stand. Auch Ismails Teamkollege, Ahmed Abu Shahin, ging es nicht besser, als er in China gegen den Boxer aus Tadschikistan antrat. Bereits nach einem Match konnte er seine Handschuhe in die Tasche packen. Weshalb die Boxer von Kalandia im Ausland nicht erfolgreicher sind, können die Männer erklären: „Weniger als 50 Männer boxen in Palästina. Wir bräuchten mehr Konkurrenz. Zudem ist unser Trainer nicht bezahlt und trainiert uns deshalb nicht immer. Wir müssen arbeiten, weil uns niemand Geld gibt, deshalb können wir nicht immer trainieren und haben Schwierigkeiten uns zu verbessern“, sagt Ismail, der als Bauarbeiter sein Geld verdient.
Seit Ausbruch der Intifada im Jahr 2000 hat sich die Boxkonkurrenz zusätzlich verkleinert. Jetzt können die Männer nicht einmal mehr gegen Gegner aus dem Gazastreifen oder Jerusalem antreten, da weder sie noch ihre Kollegen aus dem Westjordanland respektive dem Gazastreifen ausreisen können. Zudem litt das Lokal, das sich in unmittelbarer Nähe des Kalandia Checkpoints befindet, unter den israelischen Militäraktionen. „Nach Ausbruch der Intifada haben die israelischen Soldaten das Lokal oft beschossen. Wir konnten nicht mehr trainieren und heute ist der Klub in einem jämmerlichen Zustand“, erzählt Zakareya Fayalh, der Bruder von Ismail und Trainer der Mannschaft. Dass er Kalandias Boxer jedoch nur noch selten trainiert, hat weniger mit der Intifada als viel mehr mit der fehlenden Unterstützung seitens des Ministeriums für Jugend und Sport zu tun. Zakareya und Ahmed, die beide in einem der drei Sicherheitsdienste Palästinas arbeiten, beklagen sich bitter über ihre Regierung. „Das Ministerium kümmert sich nur um die palästinensischen Fussballer. Wir, die nationale Boxelite, müssen sogar unsere Boxhandschuhe aus der eigenen Tasche bezahlen“, jammert Ahmed. Nicht nur in Sportsangelegenheiten, sondern auch was die Regierungspolitik betrifft, versage die Regierung. Die Straffung der Sicherheitsdienste auf drei Apparate und die Ernennung neuer Sicherheitschefs, bezeichnen die Männer als Witz. „Neu daran sind bloss die Namen. Amerika, Europa, Israel wollte die Unterteilung, jetzt sind sie zufrieden, aber zur Verbesserung der Sicherheit der Palästinenser trägt dies nichts bei“, kritisiert Zakareya, der wie viele Palästinenser seit dem Amtsantritt Mahmud Abbas keine Verbesserung der Situation wahrnimmt. Die Checkpoints bestünden weiter, die israelischen Siedlungen würden ausgebaut und die korrupte Elite in der Regierung sei nicht ausgewechselt worden. „Jedermann weiss, dass Ministerpräsident Kurei Zement für den Bau der Mauer verkauft hat. Wieso also sitzt er immer noch in der Regierung?“, fragt Zakareya.
Um die Wut auf die Intifada, das Gefängnis des Westjordanlandes, das Flüchtlingslager, die eigene Regierung loszuwerden, sei Boxen bestens geeignet, meint Ismail. Boxen, das bedeute Selbstvertrauen fügt Ahmed an: „Stark zu sein, wie Mohammed Ali, das ist ein gutes Gefühl.“