Fliegende Checkpoints statt fixer Strassensperren
Am Dienstag hat die israelische Armee die Strassensperre auf der wichtigsten Zugangsstrasse nach der palästinensischen Stadt Tulkarem geräumt. Stattdessen überwachen mobile israelische Patrouillen die Strassen in der Umgebung der Stadt.
Tulkarem, 23. März
Kurz vor Tulkarem steht eine einzige Plasticflasche auf einem Betonquader am Strassenrand. Sie ist das einzige Überbleibsel der Strassensperre, an der vor wenigen Tagen noch Soldaten hinter Betonblöcken palästinensische Reisende kontrolliert hatten. Doch der erste Eindruck täuscht. Ein paar hundert Meter weiter haben Soldaten mit ihren Jeeps eine andere Strasse blockiert. An dieser sogenannten fliegenden Strassensperre öffnen sie die Kofferräume der Autos und verlangen, die Identitätskarten der Insassen zu sehen. Sie gehen genau gleich vor wie wenige Tage zuvor an ihrem festen Posten. Der einzige Unterschied ist, dass dieser Checkpoint beliebig verschoben werden kann und auf keiner Karte eingezeichnet ist.
Polizisten können wieder Waffen tragen
Die palästinensischen Polizisten und Soldaten im Stadtzentrum sind begeistert von der Räumung des Checkpoints. Sie fahren hupend und mit geschulterten Gewehren die Hauptstrasse hinauf und hinunter. «Seit zwei Tagen können wir unsere Gewehre wieder tragen», freut sich ein Polizist, dessen Kalaschnikow Rost angesetzt hat. Die palästinensischen Soldaten haben bereits einige Strassensperren um die Stadt errichtet, die jedoch wenig mehr Bedeutung zu haben scheinen, als dass ein paar Uniformierte am Strassenrand stehen und ab und zu ein Auto anhalten. Die Soldaten sind jedoch anderer Meinung; sie wollen in vier Wochen weitere Sperren um die Stadt aufstellen und glauben, damit israelische Spezialtruppen und Verbrecher davon abhalten zu können, in die Stadt zu kommen. Checkpoints seien dazu da, den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, sagt ein Polizist.
Die Studenten an der Quds-Universität in Tulkarem glauben nicht daran, dass die israelischen Soldaten nicht mehr in die Stadt kommen werden, um nach Mitgliedern des palästinensischen Widerstandes zu suchen. Und dass die palästinensischen Soldaten etwas gegen einen israelischen Einfall unternehmen könnten, glauben sie schon gar nicht. Nael Rashideh ist sogar überzeugt, dass mit der Räumung des einen Checkpoints das Leben noch mühsamer geworden ist. «Zuvor wusste ich, dass ich um sieben Uhr das Haus verlassen muss, um rechtzeitig an die Uni zu kommen. Jetzt ist meine Reisezeit nicht mehr kalkulierbar, weil die Israeli überall um die Stadt fliegende Checkpoints aufstellen.» Auch die Soziologiestudentin Hana Tumeh reist jeden Tag aus einem Dorf in der Nähe von Tulkarem an. Die Diskussion um den Checkpoint, so sagt sie, lenke von den tatsächlichen Problem ab. Wenn Israel wirklich einen Schritt in Richtung Frieden machen wolle, dann müssten die Abkommen von Oslo erfüllt werden. Hana nennt die Probleme beim Namen: das Rückkehrrecht der Flüchtlinge, die Gefangenen, den israelischen Rückzug hinter die Grenzen von 1967.
«Inszenierung für die Medien»
Amer Gatawa, der Direktor des Büros für Tourismus und Antiquitäten, erklärt resigniert, Tourismus gebe es in der Region Tulkarem schon lange nicht mehr und daran werde auch eine weggeräumte Sperre nichts ändern. Die Vitrinen des archäologischen Museums, das sich unter demselben Dach wie das Tourismusbüro befindet, wurden nach der israelischen Invasion im Jahr 2002 geleert und die Ausstellungsstücke versteckt. Vorläufig bleiben sie im Versteck. «Sobald die Palästinenser erkennen, dass sich die Situation nicht grundlegend ändert», sagt Gatawa, «dann ist es wieder vorbei mit der Ruhe. Die Selbstmordattentate werden wieder zunehmen.»
«Dies ist nur eine temporäre Lösung. Bald werden wir wieder bis zu den Knien im Blut stecken», prophezeit auch ein Taxifahrer, der mit seinen Kollegen im Zentrum von Tulkarem steht. Das Tamtam um die Räumung des Checkpoints, das sei vor allem eine Inszenierung für die Medien, sind sich die Männer einig, denn während an einer der zwei Zugangsstrassen eine Blockade aufgehoben worden sei, sei auf der anderen Strasse eine neue errichtet worden. Zudem sei das Tor von Anab auf der Strasse nach Nablus nicht demontiert, sondern lediglich geöffnet worden. Das könne jederzeit wieder geschlossen werden.
Neben den Taxifahrern steht ein Lieferwagen mit ein paar Kisten Zucchini im Laderaum. Unter der geöffneten Motorhaube fischt ein Mann mit ölverschmierten Fingern in den Eingeweiden seines Gefährts und flucht leise vor sich hin. Der Transporteur bringt Gemüse und Früchte von den Dörfern nach Tulkarem. Er sagt, mit oder ohne die geräumte Strassensperre bleibe für ihn alles gleich, er habe schliesslich eine Reisegenehmigung. Dann wendet er sich wieder seinem Laster zu und murmelt: «Der Motor, der Motor, der ist das Problem.» Auf der Strasse, die südwärts aus Tulkarem hinaus führt, passieren wir zwei fliegende Kontrollposten der israelischen Armee.
Marhaba!
Von Beduinen haben wir wohl alle ein Bild, das irgendwo wildromantisch in Kinderbüchern seine erste Färbung erhalten hat. Bloss, wie zeitgerecht ist dieses Bild? Ich habe die Beduinen entlang der Hauptsrasse von Jerusalem nach Jericho besucht – und musste danach einige Bildkorrekturen vornehmen.
Alles Liebe
Karin
Der Weg zu den Beduinen ist ganz einfach zu finden: Auf der Hauptstrasse von Jerusalem nach Jericho sucht man sich einen Müllwagen und lässt nicht mehr von ihm ab. Unser Müllwagen hat seinen rostigen Lademund geschlossen, kleine Besen sind an Scharnieren befestigt und sein breiter Po schränkt die Sicht ein. Jeremy Milgrom steuert mit stoischer Ruhe hinter dem Wagen her. Der amerikanische Rabbiner streift sich seine Kippa von den Locken, die in wirren Windungen bis auf seine Schulter fallen und murmelt mehr zu sich selbst: „Ich muss ja nicht unnötig auffallen.“ Der Mann, der längst das Alter eines Familienvaters von erwachsenen Kindern erreicht hat, ist seit Jahren ein Begleiter und Helfer der beduinischen Gemeinschaft. Dem jüdischen Glauben zwar tief verbunden, ist er jedoch nicht mehr aktiv als Rabbiner tätig. Denn mit Judentum, so sagt er, habe dieser Staat schon lange nichts mehr zu tun und er mache dann doch lieber etwas Sinnvolles, als einer komplett verfahrenen Gesellschaft zuzureden.
Abgebogen von der Hauptstrasse, durch ein Dorf gefahren, einmal um einen Hügel herum, verlangsamt der Müllwagen und fährt an einem Schild vorbei, auf dem in hebräischer Schrift steht: „Verbot! Der Zugang zur Mülldeponie ist für Unberechtigte strengstens verboten“. Der Rabbiner hält sich nicht an das Verbot. Hinter einer weiteren Kurve zahlt unser Müllwagenfahrer gerade für seine Last und passiert eine Barriere. Ein Hügel, so hoch wie ein Grossstadtwolkenkratzer biegt sich in den Himmel. Die Ausgüsse, Hausräte, Wegwerftüten der nicht erwünschte Auswurf von Jerusalem und der israelischen Siedlung Maale Adumim stapeln, schichten, quetschen sich hier in einer stinkenden Masse. Wir kehren zurück zum Verbotsschild und biegen rechts in eine kleine Strasse ein. Am Strassenrand auf dem Hügel wird an einer neuen Moschee gebaut, dahinter stehen Container und Blechhütten, ein Huhn stolpert über einen Draht. Das ist das Reich der Beduinen. Beverly Hills der Beduinenstädte nennt es Jeremy weil hier die 150 Familien Wasser erhalten und die Deutschen, Franzosen und einige karitative Gesellschaften und Verbünde die Infrastruktur für Schulen und ein Frauenzentrum gestiftet haben. Der Strom hangelt sich in einem grünen Draht, abgezwackt von einer anderen Stromleitung, den Hügel hinauf. Kommt er hier an, ist er gerade mal so stark, um eine schwibernde Soapopera auf die Fernsehbildschirme zu schieben. Die Regierung war nicht bereit eine Leitung von der Starkstromleitung, die in Sichtweite zur Mülldeponie führt, ins Beduinenlager zu legen.
Leer stehen die Wohncontainer, von der Grösse von kleinen WC-Wagen am Sechseläuten, die im Sommer heiss wie Eisen und im Winter kalt sind. Die israelische Regierung hat sie für die Beduinen auf den Hügel gestellt, als diese zum dritten Mal vom Land, auf dem sie gehaust haben, verjagt wurden. Mit der Staatsgründung 1948 wurden einige Beduinen aus der Wüste Negev vertrieben, dann, 1978, breitete sich dieser Staat aus, die Siedlung Maale Adumim wurde aus dem Boden gestampft und die Beduinen mussten rücken. Und schliesslich machte sich diese Siedlung breit, legte an Häusern und Fett zu. Zum Glück war da noch der Hügel neben der Mülldeponie. Denn ganz los werden will man die Beduinen auch nicht, sie sind billige Arbeitskräfte in den Siedlungen und sie machen keine Probleme, weil sie diese Arbeit nicht verlieren wollen.
In der kleinen Gemeinschaft, auf der unentwegt der Geruch von brennendem Abfall klebt, hat sich an diesem Morgen bereits reges Leben verbreitet. In einem Wohncontainer lernen vier Frauen das arabische Alphabet, Kinder rennen mit Glacés über den Platz und rufen „Jeremy, Jeremy, how are you?“ Dieser sagt, dass die Beduinen nicht glücklich seien, die Mädchen und Burschen in denselben Klassen zu haben, aber was solle man machen, zum hätten sie eine Schule. Das Problem seien die Jungs auf dem Hügel, sagt der Rabbiner, diese verliessen oft schon mit 12, 13 Jahren die Schule, um in der Siedlung zu arbeiten. Neben die Schulcontainern sind Hütten gepflanzt, manche mit Brettern und Wellblechdach, andere aus Beton. Mütterchen schieben Brotteig in einen Steinofen und Ziegen trippeln über den Dreck und Abfall, der auch hier überall liegt.
Wer kann, der zieht ins Dorf. Im Dorf am Fusse des Hügels sind Männer vom Hügel gerade dabei ein Internet Café einzurichten. Ein paar private Sponsoren haben es möglich gemacht, Computer zu kaufen. Jetzt muss nur noch der Strom fliessen, der es an diesem Tag jedoch nicht bis in die Steckdosen des frisch gestrichenen Lokals schafft. Deshalb sitzen die Männer auf den Steinstufen und trinken gesüssten Pfefferminztee. Er sei zufrieden, sagt Saleh, der auf dem Hügel wohnt. Saleh putzt das Schwimmbad in Maale Adumim. Ob er selbst schon einmal darin gebadet habe? Der Mann schaut mich unverständlich an, „natürlich nicht“, sagt er dann.
Beduinen. Wer sind sie jetzt, wo doch wenig mehr als ein paar Ziegen von ihrem Leben übrig geblieben ist? Sind sie Palästinenser? Palästinenser mit einer blauen Jerusalem Identitätskarte? Beduinen? „Beduinen-Palästinenser“, sagt Saleh und Jeremy erläutert das Problem: „Der Unterschied zwischen den Stadt-Palästinensern und den Beduinen-Palästinensern wird immer kleiner, weil die Israeli die Beduinen dazu zwingen sich anzusiedeln. Aber jetzt wachsen die sozialen Ungerechtigkeiten innerhalb der Gemeinschaft: einige finden Arbeit und können in die Stadt ziehen, andere bleiben arm auf dem Berg.“
Und dann sagt Jeremy: „Eine jüdische Demokratie ist ein Witz. Unser Staat ist mit dem Judentum verschmolzen und das Judentum war nie so nationalistisch wie heute. Was nützt es, wenn wir die religiösen Wert nur in unserem Haus anwenden und alle anderen diskriminieren?“ Früher, vor der Staatsgründung, da sei das Judentum in Palästina noch viel näher am Islam gewesen, es habe sich dabei um eine Religion der Gemeinschaft gehandelt. Wie niemand hier, der weder Schönfärber noch naiv ist, ist Jeremy auch für die Zukunft wenig optimistisch. „Wir haben bereits die Apartheid. Später, in ein paar Jahrzehnt, wird es formal vielleicht keinen jüdischen Staat mehr geben, aber das Geld, das Land, das wird weiterhin in israelischen Händen bleiben.“
Die Siedlung Maale Adumim ist schön. Man könnte auch sagen „gepflegt“, „wohlhabend“ oder „westlich“, aber eigentlich – und sieht man mal von dem Checkpoint am Eingang ab, bei dem jedoch alle mit westlichen Gesichtern durchgewinkt werden – ist die Siedlung schön. Die Gärtner haben Blumen zwischen den Strassen gepflanzt und auf dem Kreisel in der Mitte der Stadt steht eine flügelartige Skulptur von der Wasser plätschert. Daneben lockt ein Einkaufszentrum, auf einem Platz spielen junge Männer Basketball und Mädchen stehen mit Schulranzen auf dem Trottoir. Von der Strasse sieht man auf das Schwimmbad, wahrscheinlich ein 40 Meter Becken, das Saleh putzt. Zu dieser Jahreszeit ist noch kein Wasser eingelassen ist. Die Leute schwimmen im Hallenbad.
Eine Frau mit einem Kopftuch geht langsam der Strasse entlang. Sie will nicht recht in dieses Stadtbild passen. Von wo sie denn komme? Aus Jericho. Was sie denn hier mache? Sie putze Häuser.