Letzte Woche habe ich einen israelischen Journalisten in Tel Aviv getroffen. „Komm, wir machen eine Selbstmordattentätertour“, sagte er und führte mich zu der Disco, vor der sich am Abend zuvor ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte. Am Boden lagen Glassplitter und die Reste eines Kioskinventars. Fox-News, Channel ten und andere Fernsehstationen hatten ihre Schüsseln ausgefahren. „Nur drei Tote“, sagte Boas und zuckte mit den Schultern. Am Abend schauten wir die Nachrichten im israelischen Channel ten. In drei Vierteln der Sendezeit wurden Verwundete am Krankenbett, Familienangehörige der Verstorbenen und Freunde interviewt. Ein Mädchen, das sich mit ihrem Vater das Desaster vor Ort anschaute, sagte: „Böse Menschen sind das, die so was machen“. Das ganze Prozedere in Israel erinnerte mich stark an die Abende, an denen ich mit palästinensischen Freunden Nachrichten schaue. Die Nachricht des Selbstmordattentats in Tel Aviv erreichte uns, als wir gerade dabei waren einen gemütlichen Fondueabend in unserer Wohnung zu beenden. Die Stimmung schwappte augenblicklich in eine heftige Diskussion über. „Ich bin sicher, das waren die Israeli. Die Siedler, die wollen den Friedensprozess sabotieren“, sagte Ibrahim. „Wir brauchen einen Wandel in unserem Bewusstsein“, schreibt der palästinensische Intellektuelle Edward Said in seinem Buch „Das Ende des Friedensprozesses“. Wenn die Israeli die Palästinenser in Ghettos sperren und die Palästinenser dieselben brutalen Verhörmethoden auf ihre Gefangenen anwenden, wie sie sie in israelischen Gefängnissen erlebt hatten, dann zeugt das sicher nicht von einem Wandel im Bewusstsein. Die Berichterstattung tut das ihre dazu. Auf beiden Seiten ist sie nicht darauf ausgelegt, Verständnis zu fördern und den Kreislauf von Hass, Rache und Angst zu unterbrechen. Danny Rubinstein, ein Journalist der links-liberalen Zeitung Haaretz, hatte in einem Interview gesagt: „Es gibt keinen Zweifel, wer in diesem Konflikt der Stärkere ist, Israel ist viel, viel stärker. Die wahre Schlacht wird nicht mit Waffen geführt sondern mit PR und Journalismus. Darauf hören die Menschen, so bilden sie sich ihre Meinung.“ Es macht nachdenklich zu sehen, wie bereits eine neue Generation medial auf Verteidigung und Rache vorbereitet wird, anstatt auf Dialog und einen Weg, der ein Nebeneinander möglich machen würde. Die Mauer ist in dieser zunehmenden Isolation und PR-Strategie ein Baustein mehr. Der Einzige, der an jenem Fondueabend in Ramallah minutenlang nichts gesagt hatte, war Mohammed Farajh aus dem Balata Flüchtlingslager. Nachdem wir uns alle über die politische Gruppierung, der der Attentäters zugehören könnte, gestritten hatten, sagte er: „Lass uns mit einem Urteil bis morgen warten. Vergessen wir nicht, wie viele Interessen andere arabische Staaten daran haben, dass hier keine Ruhe einkehrt.“ Mohammed war vor zwei Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden. Zwei Jahren lang hatte er wenig mehr gemacht, als im Zeltgefängnis in der Wüste Negev zu lesen, zu schreiben und sich mit anderen Gefangenen über Themen aller Spektren zu unterhalten. Noch heute erzählt er mit sehr viel Wärme von seinem Freund Chalil, dem ehemaligen Führer der al-Aksa Brigaden im Westjordanland und dem Gazastreifen, der letztes Jahr von einem israelischen Kampfhelikopter zerfetzt wurde. Mohammed hatte Chalil für seine Stärke und seinen Mut bewundert und ihm ab und zu einen Schlafplatz geboten, weshalb er dann auch verhaftet wurde. Anders als früher, so sagt er selbst, sieht er die Aufgabe der Palästinenser heute jedoch nicht mehr darin, möglichst viel Schaden anzurichten, militanten Widerstand zu leisten oder die Schuld einzig auf Israel zu schieben. Er sagt: „Wir müssen uns bilden, wir müssen denken, kritisch sein, um diesem blutigen Kreislauf ein Ende zu setzten oder zumindest für eine Zeit danach vorbereitet zu sein.“ Leute wie Mohammed geben Hoffnung. Der folgende Artikel soll jedoch deutlich machen, das Enthusiasmus alles andere als angebracht ist und dass wir es – auf beiden Seiten – mit einer Gesellschaft zu haben, die in diesem Moment aus mehr Patienten als Ärzten besteht. Grüsse aus dem frühlingshaften Ramallah Karin Allein in der Freiheit Integrationsschwierigkeiten der palästinensischen Entlassenen Gefangenschaft gehört in der palästinensischen Gesellschaft zur Normalität. Die ersehnte Freiheit entpuppt sich nach der Entlassung jedoch oft als schwieriger als erwartet. Familie und Freunde sind fremd geworden und die Entlassenen werden von den psychischen Folgen der Inhaftierung geplagt. „Ich träumte von der Freiheit, vom Leben. Was würde ich tun, wenn ich draussen bin? Ich könnte studieren.“ Die Tage, in denen Mohammed Farajh sich sein Leben nach dem Gefängnis vorgestellt hatte, liegen noch nicht weit zurück. Vor zwei Monaten wurde er aus dem Nakab-Gefängnis in der Wüste Negev entlassen. Grund für die Inhaftierung war, dass Mohammed seinem Freund, einem gesuchten Kämpfer der al-Aksa Brigade, ab und zu Unterschlupf geboten hatte. Dies reichte, um für Israel als Sicherheitsrisiko zu gelten. Mohammed wurde am 28. Mai 2003, als er Nablus durch den Huwaraa Checkpoint verlassen wollte, verhaftet. Er war an diesem Tag auf dem Weg zu seinem neuen Job im Tourismus Ministerium. Das Gefängnis – eine andere Welt Zwei Monate nach seiner Entlassung schaut Mohammed beinahe wehmütig auf die Zeit im Gefängnis zurück. Er hält das Buch „Sophies Welt“, die Geschichte der Philosophie, in der Hand und erzählt immer und immer wieder von den vielen Stunden, die er im Gefängnis mit Lektüre verbracht hatte. Das Leben sei gut organisiert gewesen, jeden Tag hätten sie zwei Stunden gelesen und dann über ein Thema diskutiert. Politik, Geschichte, Kultur, Philosophie, jeden Tag ein anderes Thema. Schwierigkeiten hinter Gitter gehörten genauso zur Tagesordnung wie die Lektüre. An warmen Decken, an Fleisch, an medizinischer Versorgung habe es gemangelt. Seine Familie habe er nicht sehen können und die eingeschränkte Sicht machte ihm zu schaffen. Zudem erlitten die Gefangenen oft brutale Verhörmethoden, bei denen sie zum Beispiel gezwungen wurden, stundenlang mit hinter dem Kopf verschränkten Armen aufrecht zu stehen oder geschlagen wurden. Gerade wegen all dieser Probleme erhoffte sich Mohammed Anerkennung und eine minimale Entschädigung bei seiner Freilassung. Nichts von dem Erhofften trat ein. Seine Familie hatte bei seiner Rückkehr das Balata Flüchtlingslager bei Nablus bereits verlassen und war nach Jordanien gereist. Da er als einziger Ernährer im Gefängnis war, versuchte die Familie bei Verwandten im Flüchtlingslager bei Amman über die Runden zu kommen. Das Rote Kreuz brauchte zwei Monate bis sie die Bestätigung zur Haftentlassung ausgestellt hatten und so war es am Ende zu spät für die 50 Prozent Ermässigung der Universitätsgebühren. Vom Ministerium für Gefangene wurde ihm die Hilfe jedes Mal auf den nächsten Tag versprochen. „Manchmal frage ich mich, was mein Leiden und das all der anderen Gefangenen soll, wenn am Schluss nichts dabei herauskommt“, bemerkt Mohammed bitter. Früher seien die Leute gekommen und hätten ihn nach Rat gefragt, wenn sie ein Problem gehabt hätten. Heute fühle er sich schwach. Nach seiner Entlassung hatte er sich tagelang in der Wohnung seines Onkels im Flüchtlingslager eingesperrt, um alleine zu sein und zu lesen. Seine Freunde sagen, er hätte sich verändert und er selbst fühlt sich vielen Leuten fremd, die nie im Gefängnis waren. Dazu kommt eine Verletzung, die ihm bei einer Demonstration vor seinem Gefängnisaufenthalt zugefügt worden war. Ein Soldat schoss ihm ins Becken, die Kugel zertrennte einen Nerv, so dass ein Bein bis zu einer ersten Operation gelähmt war. Weitere Operationen wären nötig, aber das Geld dazu fehlt. Vor allem in den kalten Tagen bleibt der 26-jährige Mohammed von Schmerzen geplagt. „Ich will lernen, ich will reisen, ich möchte irgendwann ein guter Journalist werden“, sagt Mohammed als er mit langsamem Schritt durch das Flüchtlingslager hinkt. Im Gefängnis den Sohn getroffen Mohammed stoppt vor einer Tür, an der ein Plakat klebt. Zwei Männer, einer grau und etwas älter, einer jung und mit einem kurzen Stoppelhaarschnitt sind darauf zu sehen. „Hier wohnt der dienstälteste Gefangene von Balata“, sagt er und meint damit Megdad al-Khatib, der zwanzig Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht hatte und vor einem Monat in die Freiheit entlassen wurde. Vor der Tür steht ein roter Jeep mit einem israelischen Nummernschild. Um den Wagen herum haben sich junge Männer gruppiert, die den Jeep mit der Sorgfalt, wie sie einer Geliebten gebührt, waschen. Der einzige Sohn von Megdad, Mahmud, wurde selbst erst vor wenigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen und hat sich seit seiner Rückkehr einen Ruf als Importeur von gestohlenen, israelischen Fahrzeugen erworben. Mahmuds Gefängnisaufenthalt hatte zumindest etwas Gutes: er hatte nach 18 Jahren seinen Vater kennen gelernt. Denn als Megdad inhaftiert wurde, war seine Frau im dritten Monat schwanger. Mahmud kannte seinen Vater nur von kurzen, halbstündigen Gefängnisbesuchen, bei denen er weder die Möglichkeit hatte den Vater zu berühren noch richtig zu sehen. „Das erste Treffen mit meinem Sohn war wie im Film. Sogar ein Gefängnisaufseher hat geweint“, erinnert sich Megdad, der in einem kalten Zimmer ohne Fenster sitzt und sich langsam die Knie reibt. Megdad wurde 19-jährig verurteilt, weil er einen israelischen Soldaten erschossen hatte. Die Tat leugnet er nicht. Er sagt, das sei gleich nach dem Massaker in Sabra und Chatila passiert. Als Reaktion auf die Nachricht aus dem Libanon, habe das Blut vieler Palästinenser gekocht. Während Megdad im Gefängnis war, hat seine Frau Jamila nicht nur die Mutter- und Vaterrolle übernommen, sondern musste auch für ein Einkommen aufkommen, das das Überleben der kleinen Familie sicherte. Die Palestinian Liberation Organisation (PLO) leistete einen kleinen Beitrag, der jedoch in keiner Weise ausreichte. Jamila kümmerte sich um alte Leute, was ihr ein Einkommen eintrug, Megdad’s Mutter trat ihre Pension ab und Megdad’s Bruder spendete sein Monatseinkommen von 120 Franken für die zweiwöchentlichen Taxifahrten ins Gefängnis. Der Anwalt musste bezahlt werden und Megdad brauchte Geld für Zigaretten, Fleisch oder Toilettenartikel. „Wir alle arbeiteten für Megdad. Gott hat uns geholfen“, sagt Jamila, die sich in den zwanzig Jahren immer mehr dem Glauben zugewendet hat. Sie hat ihren Mann regelmässig besucht, wobei sie jeweils um fünf Uhr morgens los gefahren ist, um eine halbe Stunde mit ihm zu reden und dann um zehn Uhr nachts zurück zu kommen. „Wir haben immer über die Gesundheit und die Familie gesprochen. Über Probleme haben wir bald nicht mehr geredet, weil ich die Zusammenhänge nicht mehr kannte und sowieso nichts tun konnte“, erinnert sich Megdad an die Treffen mit seiner Frau. Irgendwann habe er den Bezug zur Aussenwelt, das Gefühl für die Gesellschaft, in der er gelebt habe, verloren. Das Einzige, was ihm geblieben sei, waren Erinnerungen. Die Welt blieb für Megdad im Jahr 1984 stehen. In die Welt von 2004 zurückzukehren sei alles andere als einfach, gibt Megdad zu. „Ich war enttäuscht, als ich zurückkam. Ich dachte, dass die Leute draussen gut sind und uns helfen werden.“ Die Mühlen der Ministerien mahlen jedoch langsam. Vom versprochenen Geld hat der Entlassene noch nichts gesehen und so hat er als erstes 1300 Franken von der Bank geliehen, um sich Kleider und einen Fernseher zu kaufen und sich an der Universität einzuschreiben. Mit 49 Jahren begann Megdad ein Soziologie Studium. Seine Kollegen haben ihr Studium längst abgeschlossen, betreiben ein kleines Geschäft oder sind wie die meisten im Flüchtlingslager arbeitslos. Auch Megdad wurde als Mitglied der Fatah Bewegung eine Stelle in der Palästinensischen Autonomiebehörde versprochen. Der kleine Mann wiegt bedächtig den Kopf und sagt: „Der wichtigste Punkt ist jetzt, dass wir Geld für Essen kriegen.“ Anlaufhilfe für Entlassene Raid Amer kennt Megdad al-Khatib’s Geschichte. Der Chef der Palästinensischen Gefangenen Union im Norden des Westjordanlandes sagt, dass sie daran arbeiten, Geld für Megdad bereit zu stellen. Die Nichtregierungsorganisation, die von Ex-Gefangenen gegründet wurde und die Gefangenen und ihre Familien unter anderem mit Rechtshilfe unterstützt, leidet jedoch an chronischem Geldmangel. Auch Samer Samaro, der Chef des Ministeriums für Gefangene in Nablus, vertröstet Megdad. Alle, die mehr als fünf Jahre im Gefängnis waren, würden monatlich 400 bis 600 Franken erhalten, bis sie einen neuen Job gefunden hätten. Das gelte auch für Megdad, sagt Samaro. Er erläutert, dass diese Hilfe neu sei im Rehabilitations-Programm für Entlassene. Das Programm wird vom Ministerium für Gefangene koordiniert und von der Schweiz bezahlt. Radi Jara’i, der Initiator des Rehabilitations-Programms für Ex-Gefangene ist gleichzeitig der stellvertretende Minister des Ministeriums für Gefangene und Entlassene im Westjordanland. Nachdem der 52-Jährige selbst über zwölf Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht hatte, weiss er aus eigener Erfahrung mit welchen Problemen die Entlassenen zu kämpfen haben. Dabei hätten sie beim Start des Rehabilitationsprogramms den Fehler gemacht, dieses primär auf sozio-ökonomische Faktoren zu stützen. Das grösste Problem sei jedoch die Reintegration in der Gesellschaft und die psychischen Folgen nach Misshandlung und Folter im Gefängnis. Deshalb wird den Entlassenen nicht nur Ausbildungskurse, sondern auch psychologische Beratung angeboten. „Das Gefängnis ist eine Art ideale Gesellschaft. Nichts gehört einem und so werden die Leute nach dem beurteilt, was sie sind und nicht, was sie haben. Draussen ist das anders“, sagt Jara’i und fügt an: „Unser politisches System im Gefängnis, die Organisation war progressiver als die Palästinensische Autonomiebehörde.“ Entfremdung von der Familie „Das grösste Problem aus psychologischer Sicht ist nicht die Länge der Gefangenschaft, sondern, wie die Gefangenen behandelt werden“, sagt Wedaad Kader, die Psychologin, die innerhalb des Rehabilitationsprogramms in Ramallah tätig ist. Die Gefangenen würden beispielsweise angespukt, müssten sich nackt ausziehen, würden geschlagen oder müssten sich jeden Tag drei mal von der Gefängnisadministration zählen lassen. Dies hätte zur Folge, dass die Gefangenen sich bei ihrer Entlassung weniger wert und ihren Kollegen unterlegen fühlten. Die Entlassenen versuchten stark zu wirken, fühlten sich jedoch meistens schwach. Kader versucht in Gruppentherapie und in Einzelgesprächen dieses Ungleichgewicht auszubalancieren, den psychischen Druck zu lindern, indem sie Emotionen an die Oberfläche zu holen versucht. Die Länge der Gefangenschaft hätte vor allem Auswirkungen auf die Reintegration in der Gesellschaft. Desto länger ein Gefangener von seinem Umfeld weggesperrt gewesen sei, desto grössere Problem hätte er, sich wieder zu integrieren. Die ersten Schwierigkeiten zeigen sich bei der Reintegration in der Familie. Die Kinder sehen den zurückkehrenden Vater als Fremdkörper in der Familie und als Konkurrenz zur Mutter. Die Frau hatte die Vaterrolle übernommen und ihr Leben selbständig organisiert. Bei der Rückkehr ihres Ehemannes wollte sie diese Eigenständigkeit nicht mehr aufgeben, was vor allem in der traditionellen palästinensischen Gesellschaft für den Mann schwierig zu verstehen sei. Kader spricht deshalb vor der Entlassung der Männer mit den Ehefrauen und versuche dann im Gespräch mit beiden Partnern, eine neue Rollenverteilung herzustellen. Problematisch sei es die emotionale Bindung zwischen den Ehepartnern wieder herzustellen. „Einige Gefangene frieren ihre Emotionen in ihrer Haftzeit ein. Danach herrscht ein emotionales Loch“, sagt Kader und erinnert sich an einen Entlassenen, der sieben Jahre im Gefängnis war. Einen Monat vor seiner Entlassung hätte er sich täglich überlegt, wie er eine Frau behandeln müsse. All diese Schwierigkeiten haben nach Kader zur Folge, dass sich die Gefangenen nur mit anderen Entlassenen umgeben und sich sogar manchmal wünschten, ins Gefängnis zurückzukehren. Bei entlassenen Frauen zeigt sich zusätzlich dass Problem, dass sie nicht wie die Männer als Helden, sondern als Versagerinnen behandelt würden. „Die Frauen werden nach der Gefangenschaft von ihren Familien überbehütet. Heiraten will sie niemand mehr, weil man sie nicht mehr als gute Person betrachtet“, erläutert Kader. Von 27 Entlassenen nehmen zur Zeit nur zwei die psychologische Hilfe von Kader in Anspruch. Zum Psychologen zu gehen, gelte vielerorts noch als Schande. Programm zur Rehabilitation von Entlassenen Seit 1995 existiert im Westjordanland und dem Gazastreifen ein Programm zur Rehabilitation und Integration von Ex-Gefangenen. Das Programm bietet einerseits Hilfe zur Reintegration in Gesellschaft und Berufsleben, wie auch psychologische Unterstützung. Professionelle Ausbildungskurse für Berufe wie Maler, Elektriker, Taxifahrer oder im Bereich Informatik sollen den Entlassenen den Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Zudem werden Mikrokredite für die Eröffnung von Kleinunternehmen gesprochen. Studenten zahlt das Ministerium 50 Prozent der Studiengebühren. Nach Angabe des Ministeriums wurden 40 000 Entlassene seit Bestehen des Programms registriert. 25 000 konnten von den Leistungen profitieren, die an Bedingungen wie beispielsweise eine Mindesthaftstrafe von einem Jahr, geknüpft sind. Nach Angabe von Radi Jara’i, dem Leiter des Integrationsprogramm, besteht seit der Intifada das Problem, dass die Entlassenen trotz Ausbildungskursen, keine Arbeit mehr finden. Zudem reicht das vorhandene Budget nicht aus, um alle Entlassenen mit der nötigen Hilfe zu versorgen. Die Reintegrationskosten pro Entlassenen belaufen sich auf 2000 Dollar. Mit 1.7 Millionen Franken ist die Schweiz das einzige Land, das Direkthilfe für das Programm leistet. Die EU hat zwar Hilfe versprochen, diese nach Angabe des Ministeriums jedoch noch nicht umgesetzt.