Hier einige Aufzeichnungen einer Reise nach Nablus. Gruss Karin
11. Januar 2005 –Reise nach Nablus Als ich in Ramallah aufbrach begann es zu regnen. Das Sammeltaxi war noch nicht voll und die Rufe des Taxifahrers – ein Platz nach Nablus, einer Nablus – blieben fruchtlos. Ob das o.k. sei, wenn wir zwei Schekel mehr bezahlen, dafür fahren könnten, fragte ein Mitfahrer und wir nickten. Ich kramte 15 Schekel für die Fahrt zum Huwaraa Checkpoint aus der Tasche. Auf der Fahrt schwiegen wir alle. Nebelschwaden lagen über den Hügeln und ab und zu lauerte ein israelischer Jeep wie eine Bulldogge am Strassenrand. Je näher wir in Richtung Nablus kamen, desto häufiger kreuzten wir Jeeps oder drosselten die Geschwindigkeit, um hinter einem her zu fahren. „andak“, murmelte der Mann neben mir und der Fahren drückte die Bremse durch, dass die Räder quietschten. Der Mann stieg aus, knallte die Tür und verschwand über den Feldern im nichts. Am Huwaraa Checkpoint scherzten zwei Soldatinnen mit zwei Palästinenserinnen, die etwa gleich jung waren. Die Israelin legte die Kleidungsstücke, die in der Tasche der Palästinenserin lagen, auf einen Betonblock. Sie klappte eine Dose Make-up auf und schaute die Palästinenserin an, diese fragte, ob sie das denn nicht kenne, ob sie nie Make-up benütze, „oh doch“ sagt die Soldatin und wippte mit den Hüften, um klar zu machen, wann sie Make-up auftrage. Dann sagt sie: „yalla“ und lässt die Palästinenserin gehen. Aber auch deren Kollegin muss ihre Tasche öffnen und die Soldatin zieht ein Tuch, das zu einer Art Schlauch zusammengenäht ist hervor und sieht die Palästinenserin mit fragendem Blick an. Diese erklärt, dass das Tuch unter das Kopftuch gehört und über die Haare gestreift wird. Aus der Tasche der Palästinenserin fällt ein Ohrstäbchen in den Dreck. Die Soldatin befielt dem anderen Mädchen, das Ohrstäbchen aufzuheben, diese schüttelt den Kopf. Im Bruchteil einer Sekunde verwandelt sich die lockere Angelegenheit in ein Spiel der Macht, bei dem beide Anwesenden genau wissen, wie ihre Rollen sind. Die Palästinenserin zögert noch immer, dann auf einen weiteren Befehl hin, hebt sie das Stäbchen auf. Die Soldatin befielt ihr das schmutzige Stückchen aufzuheben und in die Handtasche zu stecken. Doch dann schüttelt die Palästinenserin den Kopf und wirft das Stäbchen zurück in den Dreck. Die soldatin gibt auf. Als ich zu einem Soldaten verwiesen werde, schaut er zuerst mich an, dann mein Pass, dann schüttelt er den Kopf. Ob ich denn nicht wisse, dass Nablus für Ausländer und Israeli geschlossen sei. Was ich denn machen solle, ich hätte doch eine Pressekarte. Die will er nicht einmal sehen. Nur mit einer speziellen Genehmigung des DCO, District Coordination Office, könne er mich rein lassen. Wo ich die denn kriege? Ein israelisches Auto hält. Der Soldat nimmt das Genehmigungspapier der Armee in Empfang und hält es mir vor. Hier, hier solle ich die Nummer abschreiben. Es ist nichts zu machen. Ich muss umkehren. Bei den Taxis frage ich nach einem Taxi zum Beit Iba Checkpoint, dem zweiten Checkpoint nach Nablus. Der Fahrer will hundert Schekel, wir einigen uns auf 50. Eigentlich wollte ich über Burin, ein kleines Dorf von dem aus man Nablus über zwei Berge erreichen kann, in die Stadt. Aber es ist Winter. Die Berge sind nass, schlüpfrig und schwer zu begehen. Wir fahren nach Beit Iba. Ich solle es an diesem Checkpoint versuchen, die Soldaten seien meist besser gewillt. Am Checkpoint nimmt ein Soldat durch einen Schlitz in einem gepanzerten Verschlag meinen Presseausweis und meinen Pass entgegen. Er instruiert eine Kollegin, wie sie Journalisten mit einer israelischen Pressekarte durch lassen könnten. Dann sieht er, dass meine Pressekarte abgelaufen ist. Ich solle wiederkommen, wenn ich eine neue Karte hätte. Dann stehe ich wieder neben dem Taxi. Es hat zu regnen aufgehört und um mich haben sich verschiedene Männer versammelt. Er wisse, wie ich nach Nablus gelangen könne, sagt ein Junge. Er will hundert Schekel, dann fünfzig, dann einigen wir uns auf vierzig. Walid heisst der Bursche, der mich wieder ein Stück zurückführt, dann einen Weg in Richtung einer Kiesgrube nimmt. Der Boden ist nass. Die Strasse ist voller Löcher und diese Löcher sind mit Wasser gefüllt. Jetzt sei doch dann Valentinstag, sagt Walid und zieht seine palästinensische Identitätskarte aus der Hosentasche. 14.1.1982 steht als Geburtsdatum auf der Karte. Wir stapfen eine Weile schweigend unter ein paar Bäumen hindurch. Rechts von uns fällt eine Wand der Kiesgrube ab. Die Dämmerung hat eingesetzt und die schweren Regenwolken färben sich am Bauch rot. Links kann ich den langen Betonschlauch des Beit Iba Checkpoints erkennen. Ich beeile mich, Schritt zu halten. Jeden Tag seien es Duzende von Leute, die ihren Weg hier über den Berg machten. Sie hätten keine Bewilligung aus Nablus herauszugehen, seien meistens zu jung. Unter vierzig ist man eine potenzielle Gefahr für Israel. Arbeiter gehen über die Schleichwege nach Israel, um zu arbeiten oder Palästinenser mit einer israelischen Identitätskarte, die ihre Familie in Nablus besuchen, nehmen den verbotenen Weg. Unsere Schuhe sind nach wenigen Metern verklebt vom braunen Matsch, der im Sommer als Staubwolken bei jedem Schritt stiebt. Nachdem wir eine kleine Anhöhung erklommen haben, rutschen wir einen Abhang hinunter, immer bedacht nicht gleich auf dem Hintern zu landen. Das sei momentan sein Job, sagt Walid und meint damit seine Arbeit als Checkpoint-umgeheder-Touristenführer. Ob ich ein Taxi wolle, fragt er, während wir schnellen Schritts über eine geteerte Strasse gehen. Dann, als wir in einem Olivenhain kurz stoppen, sagt er: ahlan, willkommen in Nablus. Ein Taxi holt uns an einer zweiten Strasse ab. Wir fahren zum Beit Iba Checkpoint, den ich nun von der anderen Seite sehe und wo Walid aussteigt, um wieder auf jene Seite zu gelangen, von wo die Touristen Hilfe benötigen. Dann rufe ich meinen Kollegen Fabian an und fahre in die Altstadt von Nablus. In Nablus ist es ruhig. Nur wenige Leute sind auf der Strasse und vereinzelt tropft es von den Dächern. Die Häuser stehen so eng beieinander als ob sie sich warm geben müssten. Ich ziehe meine Mütze tiefer, die Wärme des Fussmarschs ist bereits wieder aus den Knochen gewichen. Fabian führt mich durch kleine, dunkle Gassen, beantwortet die Frage nach seinem Namen, die die Kinder mit Vorliebe stellen und hält vor einer unscheinbaren Tür unter einem Steinbogen. Wir treten in einen Gang, dann öffnet er eine weitere Tür und das einzige was sichtbar wir ist eine lange Treppe, die in den Untergrund führt. Eine Küche mit einer hohen Decke folgt der Treppe, danach ein Raum mit einem Gasofen und ein paar Matratzen am Boden, ein weiterer Raum, das Schlafzimmer und ein Badezimmer. Das Heim von Fiona und Fabian. Wir trinken Tee, wechseln ein paar Worte, freuen uns ab dem Sprinz Käse, den ich aus der schweizer Migros nach Nablus gebracht habe und machen uns dann auf den Weg zum ältesten Hammam in Nablus. Omar Salih Kusa sitzt auf einem farbigen Kissen und zieht an seiner Wasserpfeiffe mit der roten Kordel. Mit der Gelassenheit eines Mannes, der schon mehr als einen israelischen Jeep gesehen hat, sagt er: „Dieses türkische Hammam ist das älteste in ganz Nablus. Das ändert nichts daran, dass es sich in einer beschissenen Zone befindet.“ Was er damit meint ist einfach: Die israelische Armee gehört zu den Dauergästen in der Altstadt von Nablus, die als Herz für den Widerstand gilt. Noch im letzten Jahr mussten die Hammam Besucher mehr als einmal in der Vorhalle mit dem hölzernen Krokodil, das von der Decke baumelt und den farbigen Stoffkissen übernachten, weil die israelischen Scharfschützen einen Spatziergang durch die Altstadt zu einer todesgefährlichen Aktion verwandelten. Omar Salih weiss wovon er spricht. „Ich bin der Vater eines Martyrers“, sagt er und erzählt, dass sein 18-jähriger Sohn im vergangenen August von israelischen Soldaten erschossen wurde – auf dem Rückweg eines Einkaufbummels, wie Salih anfügt und schnell eines dieser Fotoshop Plakate auseinander faltet, die überall an die Wände geklebt werden und auf dem sein Sohn mit einer Kalaschnikov abgebildet ist. Wieso der Sohn erschossen wurde, wisse er nicht. Ja, er hätte der islamischen Brigade angehört, aber das heisse doch nichts. Terrorismus, Terrorismus, das höre man überall, er nenne es das Recht für sein Land, seine Rechte und seine Würde zu kämpfen, sagt der Alte und fügt verärgert hinzu: „Zweimal haben die Israeli mein Haus explodiert und nur deshalb, weil meine Nachbarn Widerstandskämpfer sind.“ Salihs grösstes Problem ist die Arbeitslosigkeit. Früher arbeitete er in Israel, machte gutes Geld, 300 Franken pro Woche, wie er sagt, heute ist er Masseur im 2150-jährigen Hammam. Er verdient, wen er massiert. 3.50 Franken pro Kunde und diese sind in den Tagen der Intifada rar. Hört Salih den Namen des neuen palästinensischen Präsidenten, Mahmud Abbas, dann schüttelt bloss den Kopf. „Diebe“, sagt er, „Diebe“. Auch die zwei alten Herren mit dem rot-weissen Palästinensertuch, die neben einem trockenen Brunnen im Hammam Karten spielen, haben wenig übrig für die neue Regierung und noch viel weniger für den frisch angelaufenen Friedensprozess. „Nichts wird sich ändern“, sagt Nihad Schobi, ein Mitvierziger mit einem Schnauz der tagsüber Alumniumtüren fabriziert. Er erinnert an seine neun Familienmitglieder, die in der Altstadt von Nablus umgekommen sind, als ein israelischer Bulldozer das Haus in Schutt und Asche gelegt hatte. „Wer will mir diese zurückgeben?“, fragt er sich und fügt beharrlich an: „Gott ist der einzige, der diesen Konflikt lösen kann und solange er das nicht tut, geht der Widerstand weiter.“ Mohammed Ribhi, ein Falafel Verkäufer, der sich auch heute wie jeden Abend zum Kartenspielen im Hammam eingefunden hat, sagt: „Hamas und die al-Aksa Brigaden helfen uns. Sie helfen uns, weil sie für unsere Träume kämpfen.“ Die beiden Herren schweigen einen Moment. Gäbe es keine Intifada, dann würden sie jetzt nicht hier sitzen und Wasserpfeife rauchen, sondern arbeiten, sagen die zwei Männer. Doch Arbeit sei nicht in Sicht. Auch nicht mit er neuen Regierung, die wenig übrig habe für die armen Leute, die sich vor allem mit Hilfe der Familie und der ausländischen Organisationen über Wasser halten könnten. Scharm el Sheik und das Treffen von Sharon und Abbas, das werde zur Folge haben, dass es bald mehr Probleme zwischen den Palästinensern gebe. Denn wieso wolle eine Polizei auf die eigenen Leute losgehen, fragt sich Ribhi und fügt an: „Wir hatten die Oslo-Abkommen. Die Geschichte wiederholt sich selbst.“ Dann gehen wir in den Hammam. Auf grünen Plasticmatten lassen wir unsere Kleider zurück und nehmen ein modrig riechendes Tuch entgegen. An die Wände sind Bilder gemalt: Ein Mann der sich im Hammam mit einer Kupferschale voller Wasser übergiesst. Eine Marktszene in der Altstadt. Wir gehen durch einen dunklen Gang und treten in einen warmen Raum in dessen Mitte eine Steinkonstruktion wie ein übergrosser Tisch steht. Normalerweise wäre dieser warm und nach dem Dampfbad könnte man sich darauf ausruhen. Aber das Bad bräuchte längst eine Renovation und so einiges geht nicht mehr – so auch die Heizanlage im Stein. Tagsüber dringt das Licht in der Decke durch Löcher, die mit farbigem Glas bedeckt sind. Hinter schimmligen Vorhängen sind Steinbecken, in die man heisses oder kaltes Wasser einlassen kann. Wir füllen die ausgebeulten Kupferbecken, die auf dem Stein stehen und übergiessen uns mit Wasser. Dann nehmen wir das Stück Oliven-Seife und das leinenartige Geflecht, das man uns am Eingang gegeben hat und seifen uns ein. Es ist eine Wohltat in der allgemeinen Kälte, der Feuchtigkeit, die überall in der Luft liegt und in alle Häuser dringt, sich mit warmem Wasser zu übergiessen. Dann bittet mich eine Dame in einen dunklen, kalten Zwischenraum mit einer Massageliege, die wahrscheinlich beinahe so alt ist wie das Hammam und die ich im Dunkeln nicht wirklich sehen kann. Es ist kalt und es stinkt nach Wänden, auf denen sich langsam der Schimmel ansetzt. Ich breite mein Tuch über die Liege, lege mich auf den Bauch und lasse mir die Arme einseifen. Die Massagekunst ist brachial, beinahe grob und ich bin froh, als der Spass nach kurzer Zeit vorbei ist. Zurück im Raum mit dem Steintisch und den Waschräumen betrete ich den Dampfraum. Mit einem kleinen Hebel an einer Röhre können wir den Dampf in die Steinhöhle lassen, die gross genug für fünf Personen ist. Bald ist der Dampf so dicht, dass wir uns nicht mehr sehen. Wir drehen und wenden uns, stehen auf die Steinstufe und lassen kaltes Wasser aus einem anderen Rohr. Dann gluckst das Dampfrohr noch einige Male und verliert bald ganz den Atem. Liebe Westjordanland-Interessierte Zurück in Ramallah ist das Wetter miserabel und kalt und die Gasrechnung dementsprechend hoch. Es hat sogar ein paar Minuten geschneit, was die ganze Stadt in Aufregung versetzt hatte. Trotz des Wetters und der Kälte ist eine Brise Frühlingsstimmung zu spüren. Grund dafür ist das Treffen in Ägypten zwischen Sharon und Abbas und die damit verbundene Hoffnung, dass zumindest ein wenig Bewegung in den erstarrten Friedensprozess kommt. Hier ein erster Augenschein aus dem Hause meiner Ramallah-Familie. Karin Mittwoch 9.1 „Mama, bin ich auch eine gesuchte Person?“, fragte der fünf-jährige Marmwuan seine Mutter vor wenigen Tagen. „Natürlich nicht“, antwortete die Mutter. Doch Marwuan blieb hartnäckig: „Aber ich bin doch ein Palästinenser und ich spiele Krieg“, sagte der Kleine, der nicht verstehen wollte, dass er nicht zu jenen Palästinensern gehört, die im Fernsehen immer wieder als „von den Israeli gesucht“, deklariert werden. Nun, einige Tage später und nach dem Treffen von Abbas und Sharon in Ägypten, sind Marwuan, seine zwei kleinen Schwestern und die Mutter bei meiner Ramallah-Familie zu Besuch. Im Fernsehen, der immer und überall läuft, wird von Abbas gesprochen und wieder wundert sich der Kleine „Mama, ist jetzt Frieden?“ Seine Stimme klingt mehr besorgt als erfreut. Von Frieden hat er nur eine diffuse Vorstellung, aber mit der anstehenden Waffenruhe, die in aller Munde ist, sieht er vor allem etwas in Gefahr: seine Kriegsspiele. Diese spielt er mit grosser Leidenschaft am Computer. Weil Marwuans Mutter keine befriedigende Antwort parat hat, zupft der Junge seinen Cousin Abid am Ärmel und verkrümelt sich hinter den Computer und in seine Welt der biff-baff-buff-Helden, der sich kringelnden Feinde, Feuer-speienden Waffen und gewonnenen Schlachten. Immi, meine Ramallah Mutter, ist vergnügter denn je. Da alle schon gegessen haben, hat sie den Tisch für mich alleine gedeckt. Reis mit dünnen Nudeln, das obligate Huhn, Kartoffelsuppe und eine Schale mit Oliven stehen auf einem Plastictuch. Eine Portion für drei Personen – ein Einwand, den sie mit einer Handbewegung vom Tischtuch winkt und sagt: „Die haben dich bestimmt nicht richtig gefüttert in der Schweiz.“ Während Immi bereits die Nachspeise – süsse Kartoffelbällchen, die in Öl gebraten werden – in den Ofen schiebt, will ich wissen, wie sie ihn denn findet, den neuen Präsidenten. Immi findet nur lobende Worte, doch der Friede, ja der Friede liege nicht in palästinensischer Hand, sondern vor allem in amerikanischer, glaubt sie. Amerika sei gar nicht schlecht zur Zeit, sogar die Rice sei ganz nett gewesen bei ihrem Besuch in Ramallah. Doch man kenne ja Oslo, die Hochstimmung von damals hätte auch nur einige Monate gehalten und sei dann ins grösste Tief gerutscht. Und das war denn auch schon genug der Politik für den Abend. Die wahren Probleme an diesem Tag sind andere. Gestern hat es kurzzeitig und das erste Mal in diesem Winter in Ramallah geschneit. Ein paar Minuten Schneefall und weiss gezuckerte Strassen, die innerhalb von einer halben Stunde bereits wieder trocken waren, reichten aus, dass viele Beamte und sonstige Angestellte fluchtartig ihre Büros verliessen, in der Angst nicht mehr nach Hause zu kommen. Das Gas in Ramallh war innert Stunden ausverkauft und heute sitzen wir frierend in Immis Wohnung. Alle fünf Minuten greift Immi zum Telefon, um den Gasverkäufer anzurufen und ihn weniger bittet als befielt, auf der Stelle Gas zu liefern. Der Verkäufer, ein guter Freund ihres Sohnes, wurde jedoch auf dem Weg zu Immis Wohnung von einer Frau angehalten, die ihn anflehte, ihr Gas zu geben, was er dann auch tat. Es bleibt uns nichts anderes übrig als die Gasflasche des Backofens und Kochherds abzumontieren und in der Stube an den Ofen anzuschrauben. Auch bei mir Zuhause muss ich mich zuerst einmal an die Temperaturen gewöhnen, bei denen unser Atem als gleichmässige Wolke mit uns herumwandert. Da das Gas immer von, respektive durch Israel ins Westjordanland gelangt, sind die Preise entsprechend hoch. Sie sind so hoch, dass sich mein palästinensischer Mitbewohner Ibrahim nach Erhalt der ersten Rechnung jetzt nach einem Job umsieht. Die Rechnung beträgt zirka 500 Schweizer Franken, was beinahe der Höhe unserer ganzen Monatsmiete entspricht. „Völlig unmöglich“ wetterte Immi, als sie von dieser astronomischen Summer hört. „Diebe, Diebe sind das“, legt sie in der Art und Weise einer Frau los, die sich gewohnt ist, seit zwanzig Jahren alleine für ihre drei Kinder aufkommen zu müssen. Immi ist denn auch überzeugt, dass man uns die Rechnung der Vormieter auch noch aufgehalst hat. Ich solle die Rechnung nur bringen, sie werde schon anrufen, sagt sie. In Erinnerung wie sie meine ungeliebten Liebhaber mundtot und vor allem anrufscheu machte, bin ich mir da auch ganz sicher. Später besuchen wir ihre Nachbarin und Freundin Ahlan, um mit ihr Karten zu spielen. Die Nachbarin sitzt mit einem Hündchen jener Rasse, die in der Schweiz vorzugsweise mit Masche im Kopfhaar die Bahnhofstrasse entlang stiefeln, auf ihrem Sofa und schaut sich eine libanesische Popdiva auf einem Bildschirm so gross wie die Leinwand eines Kleinkinos an. Ahlan ist Schauspielerin und sie besitzt auch alle mit diesem Beruf verbundenen Eigenschaften wie beispielsweise Beredsamkeit, Eitelkeit und Narzismus. Sie zeigt wehmütig auf ein Foto, das 25 Jahre alt ist und eine hübsche, schlanke, langhaarige Frau mit einem schnauzigen Mann zeigt. Seit jenem Zeitpunkt hat sich einiges geändert: Nicht nur hat Ahlan einige Kilos zugelegt, auch wurde ihr Mann gleich wie Immis Mann im Libanon erschossen. Im Norden des Libanons, wie Ahlan sagt und damit den Unterschied zum Todesort von Immis Mann, der im Süden erschossen wurde, hervorhebt. Zudem sei Immis Mann ein wahrer Held gewesen, weit herum bekannt und gefürchtet. Bekannt sei jetzt vor allem sie, so sagt Ahlan – was zumindest im Westjordanland auch stimmen mag – und zum Beweis holt sie einen Stapel Fotoalben hervor: Ahlan mit einem israelischen Regisseur, Ahlan mit einem Freund von Bob Marley, Ahlan in einem Penthouse eines jüdischen Billionärs in Manhatten. Ahlan ist alles andere als eine Judenhasserin. Zur Zeit besteht ihre Arbeit in Theaterprojekten in israelischen und palästinensischen Schulen. Dabei sollen die Kinder jeweils ihre grössten Feindbilder spielen. „Es zeigt sich immer, dass die Kinder Sprachrohr der elterlichen Ideologie sind. Wer aus einer liberalen Familie kommt, vertritt liberale Ideale, wer aus einer orthodoxen Familie kommt, ist orthodox und wer aus einer Palästinenser-Hasser Familie kommt, hasst selbst.“ Erstaunlich sei jedoch, wie gross die Empathie auf einmal werde, wenn die Kinder in die andere Rolle schlüpfen würden. Um Mitternacht bringen mich Samer, ein Sohn Immis, und Tarek, ein Adoptivsohn Arafats, nach Hause. Samer ist erst vor wenigen Tagen aus Berlin zurückgekehrt, wo er ein kurzes Gastspiel in der palästinensischen Botschaft hatte. Da er jedoch nicht wie vereinbart, bezahlt wurde, kehrte er schon nach wenigen Wochen zurück. „Wahrscheinlich wollten die mich nicht, weil ich auf Arafats Seite stehe“, glaubt Samer, der nur mit Arafats Unterschrift, einem Diplomatenpass jedoch ohne jegliche Qualifikationen nach Berlin gelangt war. Sehr traurig über seine Rückkehr ist er jedoch nicht. Das Leben hier in Palästina kenne er und das sei dann doch besser, als in einer fremden Stadt zu strampeln. Ich muss an zwei Kollegen denken, die ich am Nachmittag getroffen habe und die auch an der Universität Birzeit studieren. Sie sagten, dass jetzt die Stimmung wie nach Oslo sei, alle hätten Hoffnung, dass endlich etwas gehe, aber sie, die Jungen wollten vor allem eines: raus aus den besetzten Gebieten, raus in die Welt, in der es alles gebe und noch dazu ohne grossen Aufwand. Dass die Realität in einem fremden Land nicht ganz den Honig und Milch Vorstellungen entspricht, ist wohl vielen nicht so klar. Tarek will zur Zeit nur eines: in Ramallah bleiben. Dies hat seinen Grund; er ist verliebt. Eine Amerikanerin sei’s, sagt er und kippt lässig seine Zigarette zum Autofenster heraus, dann drückt er beim Kassettengerät auf Play, so dass die Ursprünge der Technomusik über scheppernde Boxen jede Konversation unmöglich machen. Als wir aussteigen, um Samers und Tareks neue Wohnung zu besichtigen, fügt Tarek achselzuckend und beinahe entschuldigend hinzu: „Sie ist Palästinenser-Amerikanerin.“