Waehrend ich diese Zeilen schreibe, fahren hupende Autos mit laermenden Menschen vor dem Fenster vorueber. Der Palaestinensische Praesident scheint bereits gemacht zu sein. Die Feier fuer Abu Masen hat begonnen. Trotzdem: Fuer alle, die mehr als nur eine Vermutung, eine von vielen Seiten bestaerkte und lauthals verschrieene Annahme wollen; hier ein paar Texte rund um den Wahlkampf und die Wahl in den besetzten Gebieten. Mit besten Gruessen Karin 9.1.05 „Frei zu wählen, ist der erste Schritt zur Unabhängigkeit“ Präsidentschaftswahlen in den besetzten Gebieten Im Westjordanland und im Gazastreifen sind die Palästinenser am Sonntag an die Urnen gegangen, um ihren Präsidenten zu wählen. Der Wahlprozess verlief ruhig und demokratisch. Der Fatah Kandidat Mahmud Abbas gilt bereits jetzt als neuer Präsident. Überraschungen werden nicht erwartet. Der Fahrer des Fordtaxis schaut lange auf seinen Daumen, der mit blauer Tinte markiert ist. „Das ist Demokratie. Ist es nicht erstaunlich, dass sie auch nach vierzig Jahren Besetzung noch existiert?“, fragt er und hält vor einer Strassenblockade, schweren Betonblöcken, die den Weg ins Dorf Biddo versperren. In den besetzten Gebieten wird gewählt. Auch in Biddo, einem 7000 Seelen Dorf, das nach 1967 von Jerusalem abgetrennt wurde, stehen die Dorfbewohner vor der Schule. Diese wurde an diesem Tag zum Wahllokal umfunktioniert. Nebst einem verblichenen Poster von Yasir Arafat, hängen die Wahlplakate einiger Präsidentschaftskandidaten: ein freundlich lächelnder Mahmud Abbas (Abu Masen), Mustafa Barghuti von Soldaten umringt und Bassam al-Salhi der People´s Party of Palestine. An den Eingangstoren zum Schulhof kleben zwei Verbotsschilder: eines für Handys, ein anderes für Revolver. Per Comic werden die Wähler für den Wahlvorgang instruiert: Zuerst müssen sie die Identitätskarte zeigen, dann wird ihr Name in der Liste gesucht, danach erhalten sie den gestempelten Wahlzettel und dann wird ihr Finger mit einer Tinte bemalt, die 24 Stunden nicht mehr abwaschbar ist. Sicher ist sicher, niemand soll zweimal wählen können. Erst dann können sie ihre Kreuze neben den Wunschkandidaten setzten. Wahlvorgang nach demokratischen Regeln Armin Laschet ist zufrieden. Man spüre, dass die Palästinenser diese Wahl ernst nehmen. Sie würden sich penibel an die Wahlvorschriften halten, sagt der deutsche EU-Parlaments-Abgeordnete, der zu den rund 300 EU-Wahlbeobachter gehört. Insgesamt sind 441 internationale Beobachter angereist, die nicht nur die verschiedenen Wahllokale besuchen, sondern den Verantwortlichen auch bei der Auszählung über die Schulter schauen. Um einen demokratischen Wahlvorgang zu gewährleisten, sitzen zudem Vertreter der sieben Präsidentschaftskandidaten in den rund 2800 Wahlstuben, in denen 1,8 Millionen berechtigte Wähler ihre Stimme abgeben können. „Frei zu wählen, ist der erste Schritt zur Unabhängigkeit“, sagt Fahia Abu Aid, die in der Warteschlange steht. Wem die stark geschminkte Dame ihre Stimme geben will, sagt sie nicht. Dass sie sich jedoch von ihrem Wunschkandidaten einen eigenen Staat, das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge, Jerusalem als Hauptstadt und die Entlassung aller Gefangenen erhofft, das ist kein Geheimnis. Zudem müsse er Erfahrung haben und auf den Spuren Arafats wandeln. Jemand anders als Mahmud Abbas, den offiziellen Kandidaten der Fatah kommt bei diesem Kriterienkatalog nicht mehr in Frage. Erleichterung an den Checkpoints Der Taxifahrer, der von Ramallah nach Nablus fährt, schabt demonstrativ einen Aufkleber von Arafat vom Armaturenbrett und wirft einen Wahlprospekt Abu Masens aus dem Fenster. Er wird Barghuti wählen. Natürlich weiss auch der Mann mit der gehörigen Portion Gel im Haar, dass Barghuti im Rennen gegen den erfahrenen Fatah Mann keine wirkliche Chance hat. Es gehe nur noch darum, wieviele Stimmen Barghuti Abu Masen abluchsen und ihn dementsprechend in seiner Legitimation beschneiden könne. Das Mercedes-Taxi, das auch schon bessere Zeiten gesehen hat, braust an diesem Nachmittag ohne die üblichen Wartezeiten an den Checkpoints die Hauptstrasse 60 entlang. Erleichterung hinsichtlich der Checkpoints haben die Israeli den Palästinensern für ihren Wahltag versprochen. Erleichterung bedeutet jedoch alles andere als die Auflösung der Checkpoints oder gar den Rückzug der Soldaten. Zwischen Jerusalem und Jericho sollen, nach Auskunft eines Diplomaten, gar vier Strassensperren, zwei mehr als üblich, installiert worden sein. Auch in Jerusalem läuft nicht alles reibungslos. In den fünf Postbüros, die als Wahllokale funktionieren, dürfen nach israelischen Vorschriften nur gerade 5300 Wähler ihre Stimme abgeben. Die restlichen 115 000 Wähler mit Jerusalem Identitätskarte müssen in die Wahllokale der Peripherie. Nach Angabe von Radio Montecarlo wird ihr Weg durch zusätzliche Checkpoints erschwert. Wunsch nach einem freien Leben Auf der Strasse nach Nablus ist auch die Grenzpolizei unterwegs und fragt nach dem Ziel der Reise. An den Abzweigungen zu den Siedlungen, die in der Nablusgegend die Hügel in regelmässigen Abständen besetzten, stehen bewaffnete Siedler und warten auf einen Bus. Auch am Hawara Checkpoint, einem der am schwierigsten passierbaren Checkpoints im Westjordanland, stehen an diesem Tag die Soldaten. „Heute können alle Leute ohne eine Spezialbewilligung durch. Das einzige, was sie brauchen, ist ihre Identitätskarte“, sagt ein israelischer Soldat und die palästinensischen Taxifahrer bestätigen diese Auskunft mit einem Kopfnicken. Vor der Mädchenschule im Balata-Flüchtlingslager in Nablus wird an den Zukunftsträumen Palästinas gewebt. „Ich habe Abu Masen gewählt, weil ich hoffe, dass er uns zu einem freien und sicheren Leben führen wird“, sagt Mahmud Masri. Als Flüchtling aus einem kleinen Dorf in der nähe von Jaffa, erhofft er sich, eines Tages in das Dorf seines Vaters zurückkehren zu können. Hoffen, das könne man ja noch. Fehlende Registrierung Während im Flüchtlingslager alles geordnet zu und her geht, herrscht in der Eingangshalle der An-Najah Universität in Nablus ein buntes Durcheinander. Rund 500 berechtigte Wähler haben sich bei der Registrierung nicht in die Register eingetragen und suchen nun einen Ort, an dem sie ihre Stimme abgeben können. „Das ist im Moment das grösste Problem“, sagt Gian-Luca Solera, ein Beobachter einer italienischen Nichtregierungsorganisation, und fügt an: „Das zweite Problem, das wir in den Dörfern um Nablus festgestellt haben, sind Abu Masens Leute, die nicht aufhören vor den Wahllokalen für ihren Kandidaten zu werben.“ Yaman Maarif, eine Studentin, ist wütend. Sie hatte sich nicht in das Wahlregister eingeschrieben und konnte deshalb am Morgen ihren Namen noch einmal in eine Liste eintragen und wurde vertröstet am Nachmittag an die Urne gehen zu können. Lange zu warten, hat sie jedoch keine Lust. Denn, so sagt sie, sei ja sowieso klar, dass Abu Masen gewinnen werde. In Ramallah kommt es inzwischen zu einem kurzen Zwischenfall. Fünf bewaffnete Männer stürmen ein Wahllokal. Angeblich wurden Verwandte von ihnen nicht in den Registrierungslisten aufgenommen. Dass Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden, dafür sorgt der ehemalige Sekretär von Arafat, Tayeb Abdel Rahim, höchst persönlich. Niemand soll schliesslich sagen können, Demokratie sei eine Sache des Westens. 8.1.05 Abu Masen der Gemässigte Bereits jetzt scheint klar zu sein, dass der PLO-Chef Mahmud Abbas in den palästinensischen Präsidentschaftswahlen von diesem Sonntag gewinnen wird. Der gemässigte Fatah-Kandidat wird vom Ausland auf Grund seines Verhandlungswillen geschätzt, von den Palästinenser jedoch eher als farblos und entrückt wahrgenommen. „Ich wähle Abu Masen, den kenne ich zumindest.“ Diese Worte eines Bauern in der Nablus Gegend drückt eine weitverbreitetes Gefühl gegenüber dem führenden Präsidentschaftskandidaten Mahmud Abbas (Abu Masen) aus: Man wählt ihn, aber man mag ihn nicht wirklich. Nach Angabe des Palestinian Center for Policy and Survey Research sollen ihm trotzdem 65 Prozent der Stimmen sicher sein, ein hoher Prozentsatz für einen Mann, der bei seinem Rücktritt als Ministerpräsident mit Tomaten beworfen wurde. Seit den Anfängen dabei Seine Wahlplakate, auf denen er sich vorzugsweise mit dem verstorbenen Yasir Arafat zeigt, erklären zu einem Teil, wieso viele Palästinenser heute ihre Stimme für den 70-Jährigen Politiker in die Urne legen. Als offizieller Fatah-Kandidat tritt er das Erbe von Arafat an, einem Mann, der es zu seinen Lebzeiten zu verhindern wusste, eine politische Jungelite heranzuziehen. Trotz dem brennenden Verlangen nach Änderung in der korrupten Palästinensischen Autnonomiebehörde funktioniert auch in den besetzten Gebieten das Prinzip des Bauers, der nur frisst, was er denn kennt – und Abbas kennt man. Abbas der 1935 in der Stadt Safed geboren wurde, flüchtete nach der Gründung des Staates Israel 1948 nach Damaskus. Dort studierte er Jura sowie englische Literatur. In Moskau promovierte er über das Thema Zionismus aus palästinensischer Sicht. Später war er in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Staatsdienst tätig und war 1965 ein Gründungsmitglied der Befreiungsbewegung al-Fatah, die unter dem Vorsitz von Yasir Arafat mit dem Ziel der Befreiung Palästinas entstand. Ab 1980 leitete Abbas als Mitglied des Exekutivkomittees der Palestine Liberation Organization (PLO) die Abteilung für arabische und internationale Beziehungen. Bereits damals begann er sich für einen Weg des Friedens einzusetzen, der 1993 in den Oslo-Abkommen mündete. Abbas gilt demnach als einer der Oslo-Architekten. Das Abkommen machte die Selbstverwaltung in Teilen des Westjordanlandes und im Gazastreifen erst möglich, ist jedoch auch mit ein Grund für Abbas Unpopularität. Aus dem Oslo-Prozess wuchs unter den Palaestinensern die Gewissheit, innerhalb von fünf Jahren in ihrem unabhängigen Staat zu leben. Dieser Staat bleibt bis heute ein ungeborenes Kind und Oslo wird in den besetzten Gebieten mit einer müden Handbewegung als tot erklärt. Die Frage nach der Autorität Abbas ging aus den ersten Palästinensischen Wahlen 1996, die Teil des Abkommens waren, als Autonomieminister hervor. Er erarbeitete sich den Ruf eines effektiven Pragmatikers. In den besetzten Gebieten löste seine Verhandlungsbereitschaft zum Teil Angst vor dem Ausverkauf Palästinas aus. Dieselbe Bereitschaft zum Kompromiss und Gespräch katapultierte den moderaten Abbas zum Wunschkandidaten von Israel, Amerika und Europa. Ariel Sharons Ausrede, er habe keinen Verhandlungspartner, ist damit hinfällig. Dass es jedoch andere Wege zur Verzögerung der Gespräche gibt, zeigen Sharons Worte an der Herzliya Konferenz im vergangenen Dezember. Bevor er irgendwelche Gespräche wieder aufnimmt, fordert er die komplette Eliminierung von Gewalt seitens der palästinensischen militanten Gruppen sowie demokratische Reformen in der Palästinensischen Autonomiebehörde. Obwohl Abbas in seinen Wahlkampfreden immer wieder betonte, dass Gruppen wie Hamas, islamischer Jihad oder der militante Flügel der Fatah, die Aksa Brigade, für einen Waffenstillstand bereit seien, bleibt unsicher, wie gross Abbas Autorität über diese Gruppen ist. Zudem muss auch das israelische Militär bereits sein, sich an einen Waffenstillstand zu halten. Abbas hatte zwar bereits einmal für 52 Tage einen solchen zustande gebracht, dieser fand nach israelischen Provokationen jedoch zu einem abrupten Ende. Pendenzenliste im eigenen Haus Nur ein Wahlergebnis, das Abbas mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten befördert, kann ihm die nötige Legitimation in der Bevölkerung und innerhalb der militanten Gruppen verschaffen, um den Friedensprozess voranzutreiben. Bis es jedoch so weit ist, bleibt noch eine lange Pendenzenliste. So hat sich Abbas vor allem vor der internationalen Presse für einen Rechtsstaat, Parlamentswahlen und die Reformierung der diversen Sicherheitsdienste und der Finanzverwaltung ausgesprochen. Dass die Herstellung von Ordnung im eigenen Stall kein einfaches Unterfangen ist, hatte Abbas bereits in seiner kurzen Amtsperiode als Ministerpräsident gemerkt. Damals scheiterte er in seinen Bestrebungen für Reformen vor allem an Arafat, der nicht bereit war, seine Macht zu teilen. Der Machtkampf mit Arafat und der Widerstand militanter Gruppen, die sich gegen die Verhandlungen mit den Israeli gestemmt hatten, liessen Zweifel an Abbas Autorität aufkommen und führten zu seinem Rücktritt am 6. September 2003, vier Monate nach Amtsantritt. Auch wenn er über den Wille zu Reformen verfügt, stellt sich heute einmal mehr die Frage, ob er die Autorität und den Rückhalt seiner Partei besitzt, Reformen durchzuführen und junge Leute zu fördern, die Änderung vorantreiben. Die israelischen Auflagen für die Rückkehr an den Verhandlungstisch, die noch fehlende Legitimation im Palästinensischen Volk und seine Parteiabhängigkeit haben Abbas in den vergangenen Wochen einen Wahlkampf führen lassen, der für jeden und jede ein Versprechen beinhaltete. So zeigte er sich gegenüber Israel und dem Ausland als demokratischen Staatsmann, liess in den Flüchtlingslagern die verstorbenen Hamasführer Rantisi und Scheich Yassin wieder aufleben, beschwor das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und betitelte Israel als den zionistischen Feind. Dass dieses breite Angebot an Versprechen auch dementsprechende Erwartungen weckt, sollte dem erfahrenen Politiker eigentlich klar sein. Er wird nicht darum herumkommen, für diese als Präsident geradezustehen. 7.1.05 Mustafa Barghuti auf Wählerjagt Einen Tag auf Reise mit dem Oppositionskandidaten Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Mustafa Barghuti gilt als der stärkste Herausforderer des PLO-Führers Mahmud Abbas. Barghuti fordert demokratische Reformen und die Bekämpfung von Korruption in der Autnonomiebehrde. Dass er seine Wahlkampfrhetorik je nach Publikum anzupassen weiss, zeigte er auf einer Tour durchs Westjordanland. kw. 6. Januar, Ramallah Die Wahlhelferin Alia Siksik kurbelt mit Genugtuung das Fenster ihres Autos herunter und zeigt auf ein Plakat am Strassenrand zwischen Ramallah und Birzeit. Mustafa Barghuti, der Oppositionskandidat, schaut den vorbeifahrenden Autofahrern durch seine Brillengläser nach. Unter seiner Fotografie werden die Palästinenser mit dem Slogan „Legt die palästinensischen Angelegenheit in vertrauenswürdige Hände“ zur Urne gebeten. Der 50-jährige Kandidat, der vor allem als Arzt und Mitbegründer der Vereinigung Medical Relief und als Sekretär der demokratischen Oppositionsbewegung Palestinian National Initiative bekannt ist, hat nach Angabe des Palestinian Center for Policy and Survey Research im Wahlkampf um den freien Sitz des palästinensischen Präsidenten an Boden gewonnen: 22 Prozent der Palästinenser wollen nach neusten Angaben ihre Stimme Barghuti geben, der damit zu Mahmud Abbas (65 Prozent) grösstem Konkurrenten avancierte. Barghuti glaubt, dass er vor allem der Kandidat der stillen Mehrheit sei. Er werde diese Stimmen gewinnen, die weder Fatah noch radikale Parteien und Bewegungen wählen würden. Wunsch nach Wechsel „Wir wollen Änderung, deshalb wollen wir Mustafa Barghuti“, sagt Tamer Walid Student der Universität Birzeit und fasst damit zusammen, was sich die Anhänger Barghutis erhoffen: Wechsel und Erneuerung der verkrusteten politischen Strukturen. Der PLO-Chef Abbas sei in seiner kurzen Amtszeit als Premierminister alles andere als überzeugend gewesen, kritisiert der Student. Auch von den Oslo-Abkommen, bei denen Abbas einer der Architekten war, hält er, wie viele Palästinenser, wenig und deshalb sei ihm Barghutis anti-Oslo Kampagne ganz recht. Mustafa Barghuti eröffnet an diesem Donnerstag Morgen seinen Wahlkampftag im kleinen Auditorium der Universität Birzeit. Er gliedert sein Programm in vier Punkte: erstens gelte es die Apartheitspolitik zu bekämpfen, zweitens müsse die nationale Einheit gestärkt werden, drittens müsse die Sicherheit hergestellt werden (vor allem in Gaza, wo Gesetzes- und Rechtlosigkeit herrsche und viertens würde er sofort Gesetztesreformen herbeiführen, sollte er denn gewinnen. Bei den Gesetztesreformen stellt er Parlamentswahlen, eine neue Regierung, mit einem vom Parlament gewählten Ministerpräsident, an vorderste Stelle. Aber auch die Schaffung einer unabhängigen Judikative, die Begrenzung der präsidialen Amtszeit und die Bekämpfung der Korruption setzt er auf die politische Pendenzenliste. Wie er dieses Programm verwirklichen will, erläutert er nicht. Doch radikale Gruppen wie Hamas oder Islamischer Jihad sind nach seiner Meinung kein Problem. Diese hätten bereits für einen Waffenstillstand eingewilligt – unter der Bedingung, dass sich auch die israelische Armee daran halte. So sauber sich der Kandidat gibt, so kritisch sind seine Zuhörer und die Leute auf der Strasse, die in Barghuti zwar einen guten Arzt, gekonnten Rhetoriker und Selbstdarsteller sehen, sich jedoch fragen, von wo die Millionen für seine Wahlkampagne kommen und wieso so viele Angestellte von Medical Relief in der Wahlkampagne involviert sind. Barguthi beruft sich auf Spenden aus dem In- und Ausland, seine Helfer preist er als seine Freiwilligen und die Kritik tut er als Schmierenkampagne der Fatah ab. Andere Kritiker nennen ihn ein Fähnchen in der politischen Bise. So würden sie gerne wissen, wie Barghuti ein teures Studienjahr an der Standford Universität, das er von 1994-1995 absolviert hatte, mit der kommunistischen Ideologie der Palestinian Peoples’ Party, der er damals angehörte, vereinbaren konnte. Barghuti sagt, dass er sich heute nicht mehr sicher sei, wirklich ein Kommunist gewesen zu sein. Viel mehr fordere er soziale Gerechtigkeit. Wahlkampf am Checkpoint Vor den Internationalen Medien gibt sich Barghuti als den Kandidaten, der in einem unfairen Wahlkampf den Weg eines Samariters geht. Anders als Mahmud Abbas, hätte er keinen freien Zugang zu allen Städten und dem Gazastreifen und sei deshalb den israelischen Soldaten ausgeliefert. So wurde er am Tag zuvor nach seiner Wahlkampagne in Gaza fünf Stunden am Checkpoint festgehalten, zudem hätten ihn die Soldaten nicht in die Altstadt von Hebron gelassen und er sei in Jerusalem verhaftet und in der Jenin Gegend von israelischen Soldaten geschlagen worde. Um den Durchgang an den Checkpoints zu erleichtern, begleitet Ulla Sandbaek, eine ehemalige dänische Abgeordnete im EU Parlament, den Präsidentschaftskandidaten in seinem Jeep. Auf dem Weg in die kleinen Dörfer in der Nablus Gegend erweist sich Sandbaeks Präsenz als nützlich. Soldaten haben Nagelketten über die Strasse gelegt und lassen nur die israelischen Wagen mit gelben Nummernschildern und jene Fahrer mit spezieller Bewilligung für die Nablus Gegend passieren. Während ein Soldat eine Ambulanz untersucht und ein grünes Operationstuch auseinanderfaltet, schickt ein anderer Soldat drei Autos zurück. Ein Siedlerbus manövriert an den Hindernissen auf der Strasse und den wartenden Autos vorbei. Auch der Minibus der Wahlhelfer muss umdrehen und die Aussage „das ist ein Präsidentschaftskandidat“ nützt vorerst nichts. Der Fahrer macht sich darauf gefasst einen weiten Umweg fahren zu müssen, um die Dörfer zu erreichen, doch Sandbaeks EU Parlamentsausweis öffnet schliesslich auch der kleinen Wahldelegation den Weg ins Hinterland von Nablus. Der Kandidat der Armen Der Weg zum Flüchtlingslager Farah ist von derart vielen Schlaglöchern gesäumt, dass sich die Geschwindigkeit der Fahrzeuge dem Tempo der Esel anpasst, die auf der Strasse dahin traben. Dann kurz vor dem Flüchtlingslager blockiert ein Laster, auf dem normalerweise Schafe transportiert werden, den Weg. Jungs, die Keffiyas um die Stirn gebunden haben und palästinensische Flaggen und solche der Popular Front for the Liberation of Palestinian (PFLP) schwingen, halten Boxen, aus denen in voller Lautstärke arabische Musik ertönt. Wären nicht die Slogans „Ja zu Mustafa, dem wahren Kandidaten, der dieses Land zur Freiheit führt“ und die Wahlplakate auf den Kühlerhauben, könnte der politische Trupp mit einer Hochzeitsgemeinschaft verwechselt werden. Im Flüchtlingslager feuern Männer Raketen von einem Dach und Kinder mit spitzen Papphüten drängen sich um Mustafa. „Willkommen Kandidat der Armen“, jubeln zirka vierhundert Männer. Als Barghuti das Mikrophon ergreifen will, ruft der Muezzin zum Gebet und der sonst wenig religiöse Mann kommt nicht um einen Besuch in der Moschee. „Hier in den Flüchtlingslagern lieben ihn die Leute, weil er an das Rückkehrrecht der Flüchtlinge glaubt“, erklärt Alia Siksik den warmen Empfang. Dass er seine Rhetorik je nach Publikum anzupassen weiss, zeigt Barghuti mit einer Lobhymmne auf die getöteten Hamas Führer Rantisi und Scheich Yassin. „Dann wählt mich“ Auf der Fahrt zum nächsten Dorf Tammun, zeigt sich Barguthi begeistert. Immer wieder betätigt er die elektrische Fensterschaltung und lässt die getönten Scheiben verschwinden, um den Leuten zuzuwinken. Was er denn für diese Menschen, die meistens ohne Arbeit sind, tun könne? Zuerst müsse er das politische System ändern, antwortet Barghuti, und zählt einmal mehr auf, wie wichtig eine unabhängige Judikative sei. Und was, wenn er nun nicht zum Präsidenten gewählt würde? Dann werde er wie bisher der Führer der Opposition bleiben. In Tammun wartet die männliche Dorfgemeinschaft bereits auf dem Platz neben dem Friedhof. Männer lassen ihre Gebetsketten durch die Finger gleiten, Frau sind nicht sichtbar. Der Dorfapotheker sitzt zwischen Gestellen mit Pampers und Haaröl hinter dem Tresen. Mustafa sei nicht ehrlich, deshalb stimme er für Abu Masen, sagt der Mann. Auf der anderen Seite des Platzes wartet ein Alter auf Kundschaft für seinen Krämerladen mit den leeren Boxen, in denen einst Schokoladenstengel gelegen haben. Er will für Barghuti stimmen, weil dieser der Beste sei. Auf dem Platz fragt Barghuti die Versammelten, ob sie mit der Situation, in der sie lebten zufrieden seien. Ein „Nein“ raunt durch die Menschenmenge. „Wollt ihr Wechsel?“, klingt Barghutis Stimme vielfach verstärkt durch die Boxen auf dem Schaflaster. „Ja!“ schreit nun die Menge und Barghuti antwortet: „Dann wählt mich.“ Am Freitag pilgert Mustafa Barghuti nach Jerusalem, um den Tempelberg zu besuchen. Trotz einer Bewilligung wird er noch in der Altstadt verhaftet und in die Polizeistation gebracht. Seine Helfer können vorerst keinen Kontakt mit ihm aufnehmen. PS: Als ich mit meinem deutsch-jordanischen Kollegen Yassin den Wahltrupp Barghutis verlasse, fahren wir mit dem Taxi von der Nablus-Region zurueck nach Ramallah. Auf dem Weg steht eine lange Autoschlange vor einem Checkpoint. Wir steigen aus und gehen zu Fuss an den Autos vorbei auf die Soldaten zu. Kurz vor ihnen schreit uns ein Soldat auf Hebraeisch an. Wir stoppen. „Ich haette euch beinahe erschossen“, sagt er und wir antworten, dass er das doch lieber bleiben lassen solle. Mit unseren internationalen Paessen sollten wir und unser Taxi eigentlich einfacher durch den Checkpoint kommen. Der Mann ist pissig und mir liegt eine nicht ganz koshere Bemerkung auf den Lippen, die ich mir dann aber verkneife. Als wir unsere Paesse zeigen und er merkt, dass wir Deutsch sprechen, antwortet er in properem Deutsch mit russischem Akzent und fragt uns, was wir denn hier machen. Dass wir Journalisten seien, antworten wir und ich frage ihn, was ihn denn in diese Weltgegen fuehrt. Wieso denn nicht hierherkommen? sagt er und verweist darauf, dass meine israelische Pressekarte abgelaufen ist. Die Bemerkung, dass seine Kollegen im Bet Agron, dem Medienhaus in Israel, ziemlich muehsame und langsame Arbeiter sind, erspare ich mir. Auch bin ich froh, zu beginn geschwiegen zu haben. Wer weiss, wie lange wir sonst gewartet haetten.