Frohe Weihnachten! Auch Weihnachten feiert sich hier etwas anders – etwas chaotischer um es gelinde auszudruecken. Ein kleiner Einblick in die Reise nach Bethlehem am Heiligabend. Alles Liebe Karin Vorweg zu nehmen ist, dass Ibrahim Jamal Moslem ist. Er sagt sogar von sich, dass er überhaupt an nichts glaube und ihm sogar Allah gestohlen bleiben könne. Der 24. Dezember ist für ihn ein Ferientag mehr und gibt ihm Anlass seine Tante in Bethlehem zu besuchen, die er seit dem Fest am Ende des Ramadans nicht mehr gesehen hat. Nachmittags um vier besteigen wir ein Taxi in Ramallah. Der 20-jährige Palästinenser, der an der Universität Birzeit Antropologie und Soziologie studiert, besitzt eine grüne Identitätskarte, mit der er nicht aus dem Westjordanland nach Israel reisen kann. Wer eine Jerusalem Identitätskarte oder einen internationalen Pass hat, verlässt Ramallah durch den Kalandia Checkpoint, reist nach Jerusalem und nimmt von dort ein Sammeltaxi nach Bethlehem. Diese Reise dauert – je nach Wartezeit am Checkpoint – zirka fünfundvierzig Minuten. Mit der Identitätkarte des Westjordanlands muss Ibrahim den Kalandia Checkpoint umfahren und erreicht Bethlehem nach zirka zwei Stunden und vielen Umwegen. Die Reise wird nicht nur länger, sondern mit 15 Franken auch doppelt so teurer. Als das gelbe Mercedes Sammeltaxi Ramallah verlässt, haben sich die Menschen bereits in die Häuser und vor die Gasofen zurückgezogen. Regen hämmert auf die Fensterscheibe und über die Hügel um Ramallah hat sich Nebel gelegt, der die Olivenbäume nur noch erahnen lässt. Der Taxifahrer verlässt Ramallah und nimmt die Siedlerschnellstrasse, die die Siedlungen vom Süden des Westjordanlands bis in den Norden verbindet. Keine Schlaglöcher und eine gleichmässige Beleuchtung kennzeichnen die Strasse, die an palästinensischen Dörfern, israelischen Siedlungen und Militärlagern vorbei zieht. Die Lichter von Maale Adumim, einer der grössten Siedlungen, werden sichtbar. Dann lässt das Taxi Mishor Adumim, eine israelische Industriestadt im Westjordanland hinter sich. Ibrahim erinnert sich, wie er mit achtzehn Jahren täglich von der Strassenkreuzung zur Fabrik in Mishor Adumim gepilgert war, um sich sein Geld damit zu verdienen, in einer Lebensmittel Fabrik Essen in Beutel abzufüllen. In Aaicarya; einem verlassenen arabischen Nest, nimmt der Fahrer eine Nebenstrasse, die durch ein Tal führt, so steil, dass die Kuppelung zu stinken beginnen. Dann plötzlich stehen wir vor der acht Meter hohen Mauer in Abu Diz, die in der Dunkelheit noch bedrückender wirkt. Der Fahrer flucht, er hat sich verfahren, wendet, fragt nach dem Weg nach Bethlehem und beklagt sich über Kopfschmerzen. Am Ausgang des arabischen Dorfes Swahra, schlängelt sich die Strasse an einem Abhang entlang. Dann ist die Reise vorerst zu Ende. Ein Checkpoint blockiert die Strasse und die Wagen werden nur langsam durchgelassen. Zeit für eine Rauchpause. Nach zwanzig Minuten öffnet ein Soldat die Tür. Wir sehen vorerst nur sein Gewehr, dann ein Kopf und dann wird nach den Pässen gefragt. Der Soldat verschwindet mit den Dokumenten, ein anderer winkt das Taxi auf die Seite. Wir warten. Auf die Frage, was denn los sei, antwortet ein Soldat: „Wir kontrollieren die Papiere.“ Ibrahim beisst sich auf die Lippe. Vor zwei Wochen hat er nachts um zwei Uhr von israelischen Soldaten Besuch erhalten. Sie haben sich nach seinen finanziellen Verhältnissen, nach jenen seines Vaters und nach seinem Studium erkundigt. Am Ende des Gesprächs lud der Kommandant Ibrahim zu einem „gemütlichen Kaffee“ am kommenden Sonntag in der Militärbase ein. Ibrahim ging nicht hin. „Sie wollen uns Geld anbieten, damit wir mit ihnen zusammenarbeiten. Ich will das nicht“, sagt er und fragt sich gleichzeitig, ob sein Fernbleiben vielleicht in einer Datenbank vermerkt worden ist und ihm jetzt zum Verhängnis werden könnte. Nach zwanzig Minuten erhalten wir unsere Papiere. Als wir wegfahren, zeigt uns der Soldat den Stinkefinger. Frohe Weihnachten. In Bethlehem blinken nicht nur die künstlichen Renntiere, sondern vor allem auch die Sirenen der Polizeiautos. Mahmud Abbas, der führende Präsidentschaftskandidat, ist zur Messe angereist. Auf dem Platz vor der Geburtskirche bieten Männer Maiskolben an, die sie den Palästinensern für 70 Rappen pro Stück und den Ausländern für vier Franken verkaufen. Die palästinensische Musikgruppe „Grüner Olivenzweig“ trägt mit schlecht eingestellten Mikrophonen Weihnachtslieder vor und knapp zehnjährige Knirpse versuchen den Besuchern Tee für 70 Rappen pro Becher oder Kaugummi zu verkaufen. Im Friedenszentrum drängen sich Menschen, die sich in allen möglichen Sprachen über den nassen Jesusgeburtstag beklagen oder Weihnachtsgrüsse austauschen. Im Restaurant St.George nagt ein Mexikaner an einem trockenen Hühnerbein und glaubt nicht mehr daran, dass er heute noch in die Kirche gelassen wird. Um zehn Uhr Abends findet die Messe in der Geburtskirche von Jesus statt. Eine halbe Stunde zuvor stehen die Leute Schlange. Doch rein kommt nur, wer ein Ticket besitzt und dieses konnte man sich nur durch Kontakte oder durch die Franziskanische Gemeinde besorgen. Pat Brown, Ibrahims australischer katholischer Freund ist deshalb der Verzweiflung nahe und versucht über den Zaun zu klettern, um seiner religiösen Pflicht nachzukommen. Ibrahim, Emanuel, ein Schweizer Mitstudent und Amir, ein Amerikaner-Palästinenser retten sich an den nächsten Kebabstand. „Was soll´s“, sagt Amir, der als gläubiger Moslem an diesem Tag nach dem Gebet im Felsendom nach Bethlehem gereist ist: „heute Nacht trinke auch ich ein Bier.“ Um elf sitzt Ibrahim mit seinem Onkel vor dem Fernseher in einem Aussenquartier von Bethlehem. Die Tante, die er eigentlich sehen wollte, ist an die Feier für den neuen Bürgermeister nach Jericho gereist. Im Fernseher wird die Messe übertragen. Die Kamera schweift zwischen den geistigen Oberhäuptern und Abu Masen hin und her. „Lass uns den Kanal wechseln“, sagt Ibrahim und zappt zu einer amerikanischen Soap.