Während überall die nationale Einheit gelobt wird, schlugen sich heute die Fatah- und Hamasmitglieder der Uni in der Mittagspause die Köpfe ein. Ein kleiner Lagebericht der sogenannten Eliteuniversität. Als wieder einmal eine dieser Arabisch Klassen über „billige Panzer in Israel“ und „es lebe der Widerstand“ zu Ende war, hatte ich Hunger. Bereits auf der Treppe zur Mensa herrschte Tumult und die Glastüren der Mensa wurden von einigen Studenten von Innen zugehalten, so dass niemand Essen holen konnte. Wie so oft, wusste vorerst niemand wirklich, was der Aufstand sollte, wer ihn angezettelt hatte und natürlich nicht, wie er zu beenden war. Doch wie vieles hier, hatte auch diese kleine Revolte einen Schwachpunkt und das war die offene Tür des Hintereingangs. Während die Jungs an der Glastür noch lauthals verkündeten, dass es heute kein Essen gäbe, schaufelte mir Mahmud ein Hühnchenbein und eine Portion Reis auf den Plasticteller. Natürlich hatte der Aufstand einen Grund – wenn dieser heute auch von den meisten Studenten bereits vergessen war. Am Samstag hatte ein Taxifahrer eines weissen Taxis, eines illegalen Taxis ohne Lizenz, einem Studenten in Birzeit eine Kopfnuss verpasst. Wieso es dazu kam, konnte mir heute niemand mehr sagen. Darauf holte der Student seine Kollegen und der Taxifahrer seine Taxifahrer und die Studenten ihre Dorfmitbewohner und die Taxifahrer ihre Verwandten….Birzeit verwandelte sich in ein mittelalterliches Schlachtfeld, bei dem die Schläger je nach Familienzugehörigkeit mit Fäusten und Messer aufeinander losgingen. Einige endeten mit Stichwunden im Spital, andere erschienen heute mit blauen Augen zu ihren Zwischenprüfungen. Was hat die Uni damit zu tun?, kann man sich fragen. Zurecht. Das Problem liegt nicht wirklich bei der Kopfnuss, sondern darin, dass die weissen Taxis den gelben, legalen, lizenzierten, auf Bremsfähigkeit geprüften Taxis die Kunden wegschnappen. Dies gefällt nicht nur den Taxifahrern der gelben Taxis nicht, sondern auch deren Kollegen und Familienangehörigen. Und da hier in Palästina ein Rechtssystem a la Gericht, Verkehrsbehörde oder einer sonstigen Beschwerdeinstanz schlichtweg inexistent ist oder wenn existent nicht funktioniert, wird das Recht eine jedermanns Angelegenheit. Oder wie die Fatah Fraktion der Uni Birzeit heute bestimmte: eine Angelegenheit der Universität, deren Mensa so lange blockiert würde, bis die Universitätsleitung die weissen Taxifahrer zum Verschwinden bringen. Dass die Uni-Fatah noch ganz andere Interessen als die blosse Eliminierung der weissen Taxis vom Unigelände hatte, zeigte sich in der Mittagspause. Dabei muss eine Randbemerkung gemacht werden: Hamas besitzt im Studentenrat eine überragende Mehrheit, stellt auch den Präsidenten und ist demnach hauptverantwortlich für alle Studentenangelegenheiten. Bald stehen jedoch Wahlen an und die Fatahmitglieder an der Uni üben bereits – ganz wie richtig – für eine politische Karriere: mit Intrigen und Schlamassel. So wurde dann der ganze Unihof mit Lautsprechern beschallt und die Fatah Führer beschuldigten die Hamas Führer nichts zur Lösung des Taxikonfliktes zu beizutragen. Hamas wiederum hatte heute einen Festakt auf dem Gelände geplant und die grünen Fahnen mit den weissen Suren flatterten überall auf ihren Holzstielen. Doch wie gelegen kamen die Holzstecken den Fatahmitgliedern. Während einige Hamas Shebabs mit ihrer ganzen Liebe die Flaggen deckten, brachen die Fatah Shebabs die Stiele in Stücke und bald herrschte ein buntes Tohuwabohu von sich gegenseitig mit Fatahstielen verhauenden Jungs. Und weil die Jungs hier vor allem auf Steine schmeissen trainiert sind, flogen auch bald Steinbrocken. Wer mit wem rang, war bald nicht mehr klar, ein paar Krächzlaute, die den Konflikt zu beenden versuchten gingen unter und die Schaulustigen standen an den Fenstern und in nötigem Abstand auf kleinen Mauern. Das ganze erinnerte mich an die Pausenplatz Schlägereien im Schulhaus Steinlig in Bassersdorf und wie wir alle geschrien hatten: „Schlägi, Schlägi“, bis dann ein Lehrer kam und die Streithähne auseinander zurrte. Mit dem kleinen Unterschied, dass es sich hier um Studenten der sogenannten Elite Universität Palästinas handelte, gab es auch hier Lehrer, die per Flugblatt und Drohungen den Kampf beendeten. Vorerst war nicht klar, ob die Uni evakuiert werden sollte, doch dann kehrten alle in ihre Klassen zurück und die Professoren blieben Kopfschüttelnd zurück und fragten sich wohl dasselbe wie ich: Und das soll die nationale Elite werden? PS: In der ersten Semesterwoche besuchte ich eine Hamas Willkommensparty. Hamas heisst an der Uni übrigens islamischer Block. Die Wahrscheinlichkeit verhaftet zu werden, nimmt mit dieser Benennung ab. Männer mit Pauken und Frauen im Hijab, die grüne Flaggen trugen, sind übers Universitätsareal marschiert. Sie sangen Loblieder auf ihre Märtyrer. Später versammelte sich der ganze Trupp im Auditorium. Es war ein eigenartiges Gefühl die einzige Frau ohne Kopftuch in einem überfüllten Auditorium zu sein. In vorderster Front präsentierten zwei junge Männer Plakate mit Fotos von Selbstmordattentätern. Sie wurden von den Anführern des islamischen Blocks gelobt und eine Hymmne wurde auf sie gesungen. Später wurden die neuen Studenten begrüsst: „Wir begrüssen euch nicht dazu, dass ihr hier seid, sondern, dazu, dass ihr euer Leben hingebt.“ PS: Apropos Wohnungssuche: Wir sind denn doch noch fündig geworden. Die drei kleinen Steintreffen, die zum zweiten Salon führen, das Sprudelbad und die drei Balkone sind beinahe dekadent. Und die Zentralheizung….Am 15. Dezember ziehen Emanuel, Shädi und ich ein. Shädi ist Palästinenser, Musiker und Sohn eines populären palästinensischen Dichters und einer Künstlerin. Ein interessantes Umfeld ist damit gewiss und für alle, die Ramallahluft schnuppern wollen: Betten haben wir in unserem kleinen Palast mehr als genügend. Gruss Karin Anbei ein Artikel zu den Wahlvorbereitungen. Für alle die, die noch nicht übersättigt sind mit politischem Futter: Palästina im Wahlfieber Am 9. Januar soll der neue palästinensische Präsident gewählt werden. Ob und wie die Wahlen statt finden werden hängt nicht nur von den Wahlvorbereitungen seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde ab, sondern auch vom Wille der israelischen Regierung den Palästinensern den Gang an die Urne zu ermöglichen. Karin Wenger, Ramallah Ammar Dwaik ist ein gefragter Mann in diesen Tagen. Der Chefkoordinator der Wahlkommission organisiert von seinem Büro in Ramallah aus die nötigen Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen am 9. Januar im Westjordanland und dem Gazastreifen. Zehn offizielle Kandidaten bemühen sich in diesen Tagen um das Amt des verstorbenen Yasser Arafats. Zwei weitere Kandidaturen wurden von der Wahlkommission zurückgewiesen – ein Kandidat hatte keine Kreditkarte und brachte die 3000 Dollar Kandidatursgebühren in Banknoten. Polit-Hickhack innerhalb der Fatah Mahmud Abbas, alias Abu Masen, wird in aller Munde als neuer Präsident gehandelt. Nicht etwa weil er grosse Popularität in der Bevölkerung geniessen würde, sondern viel mehr weil er der favorisierte Kandidat der wichtigsten Partei Fatah ist und Erfahrung auf dem politischen Parkett besitzt – zudem ist er der Wunschkandidat Amerikas, Israels und Europas. Marwuan Barguti, der mit seiner Kandidatur das Politkarussell in den vergangenen Tagen zum Ruckeln gebracht hatte, besitzt keines der Attribute Abu Masens. Dafür kann er sich als Anführer der Intifada der Popularität im Volk, zumindest in der Ramallah Gegend, gewiss sein. Er ist einer von ihnen. Dieser Aktivismus hat ihm denn auch eine Gefängnisstrafe von fünf mal lebenslänglich eingebracht, die er zur Zeit in einem israelischen Gefängnis absitzt und an der sich nach israelischen Angaben auch nichts ändern wird. Marwuan Barguti geht als unabhängiger Kandidat ins Rennen. Seine eigene Partei Fatah hat sich, da sie nur einen Kandidat nominieren kann, für Abu Masen entschieden. Die Kandidatur Bargutis sorgte für erhitzte Gemüter innerhalb der Partei. Dies zeigt einmal mehr, dass die viel gepriesene nationale Einheit, vor allem einheitliche Rhetorik und weniger einheitliche Aktion beweist. Während die alte Garde der Fatah, die mit Arafat aus dem Exil aus Tunesien zurückgekehrt ist, den Friedensprozess mit grosser Kompromissbereitschaft wieder ins Rollen bringen will, hat sich die junge Fatah unter der Führung von Marwuan Barguti „Widerstand“ auf die Flagge geschrieben. „Wenn Abu Masen gewinnt, wird er den Friedenprozess wieder aufnehmen“, glaubt denn auch die Politologin Sonia Nimr. Viele Palästinenser fürchten sich, nach ihrer Meinung, nicht vor dem Friedensprozess, sondern vor den moglichen Kompromissen und vor dem langwierigen Prozess. Denn während ausländische Minister zur Zeit in Ramallah ein und ausgehen und im Gespräch über einen neuen Friedenprozess politischen Kredit auf ihre Konten schaufeln, wird im Westjordanland fleissig an israelischen Siedlungen gebaut. Es ist diese Politik der Tatsachen, der zweischneidigen Zunge die die Palästinenser mit Skepsis die greifbaren Verhandlunge betrachten lässt. Was passiert mit Ostjerusalem? Ammar Dwaik spricht weder über politische Vorlieben noch über politische Animositäten, seine Probleme sind organisatorische. Zum Beispiel fragt er sich, ob die 100 000 berechtigten Wähler in Ostjerusalem wählen können oder nicht. Denn obwohl Sharon durch die Medien verlauten lässt, dass er den Wahlen nicht im Wege stehe, wurde der Befehl, die Wahlbüros in Ostjerusalem zu schliessen, noch nicht offiziell aufgehoben. Zudem erachtet Dwaik die fünf Wahlbüros in Ostjerusalem, die nach den Osloverhandlungen eingerichtet wurden, als zu wenig und es müssten noch mehr eingerichtet werden, um auch die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern erreichen zu können. Genügend internationale Beobachter Auch wenn Dwaik zuversichtlich ist, sorgt er sich um den Wahltag. Strassen- und Ausgangssperren könnten die 1,2 Millionen wahlberechtigten Palästinenser und Palästinenserinnen daran hindern, ihre Stimme in einem der zirka 3000 Wahlbüros abzugeben. Zudem sei die innere Sicherheit nicht gewährleistet, da nicht genügend Polizisten vorhanden seien oder an einigen Orten wie beispielsweise in Hebron gänzlich innexistent sind. Auch ist es den palästinensischen Polizisten auf Befehl Israels noch immer nicht erlaubt, Waffen zu tragen. „Unorganisierte Gruppen oder Befürworter eines Kandidaten haben damit ein leichtes Spiel den demokratischen Wahlvorgang zu stören“, meint Dwaik. Auch der unabhängige Präsidentschaftskandidat Mustafa Barguti, der palästinensische Reformbefürworter und Arzt der Vereinigung Medizinischer Hilfsdienste (UPMRC), hat seine Zweifel an fairen demokratischen Wahlen. Er ortet das Problem in der israelischen Besetzung und befürchtet Wahlfälschung der Palästinensischen Autonomiebehörde. „Wir sind ein Transitionsland. Die Wahlen sind ein erster Schritt auf dem Weg von einem autoritären Staat zu einem demokratischen“, sagt Mustafa Barguti und fordert in diesem Prozess internationale Wahlbeobachter. An diesen soll es nicht mangeln. Die Europäische Union hat 200 Beobachter versprochen, auch Kanada, Australien, Tunesien und Egypten wollen ihren Teil für ein reibugnsloses Funktionieren beisteuern und Dwaik meint mit einem Augenzwinker, dass es bald mehr Beobachter als Waehler geben werde. Ob die zweiten Wahlen in der Geschichte der Palästinensischen Autonomiebehörde zu einer „nationalen Hochzeit“ werden, wie Dwaik die ersten und einzigen Wahlen von 1996 bezeichnet, liegt nicht nur in der Hand der Beobachter, der Wahlvorbereiter, der Wähler und der Interessengruppen, sondern hängt vor allem auch mit der Bereitschaft Israels zusammen allen wahlberechtigten Pälästinensern den Zugang zur Urne zu ermöglichen. Ansonsten muss, nach Sonia Nimr, eine grundsätzliche Frage gestellt werden: „Werden die Wahlen überhaupt statt finden?“