Waehrend das politische Parket in Ramallah langsam bevoelkert wird, beschaeftigen mich im Moment die alltaeglichen Dinge: Wohnungssuche. Aber auch dieser Alltag ist in Ramallah eine Geschichte wert. Mit bestem Gruss Karin
Alles begann damit, dass Nasar auf der Veranda schlafen wollte. Eliana sträubte sich mit ihrem ganzen sizilianischen Temperament dagegen, bezeichnete das Schlafen auf dem Sofa als unhygienisch und Nasar als gemeinschaftsuntauglich. Nasar, der Beduine aus Hebron, argumentierte, dass er sich in seinem „Homeland“ befinde und deshalb tun und lassen könne, was ihm beliebte. Der Franzose und ich erfüllten die heimischen Stereotypen und versuchten mit allen Mitteln der Kommunikation und allen Finessen der Rhetorik Frieden zu stiften. Und als wir alles bereits verloren glaubten, fanden Nasar und Eliana auf mysteriöse Art und Weise zueinander – so nahe, dass die Frage mit dem Schlafplatz zu einer zweisamen gemeinsamen wurde. Doch Friede in diesem heiligen Land ist ein zerbrechliches Gut. Und wie die meisten die zu lange in Palästina sind und nur davon träumen weg zu kommen, hat sich auch Nasars und Elianas Aggressionspegel und das Bedürfnis nach allen möglichen Drogen merklich erhöht. So kam es dann bald nach der Verandageschichte zu hitzigen Debatte über Gäste und Parties und Einsamkeitsbedürfnis und Badezimmerputztage. Diskussionen der Diskussion willen und in einem Ton, gefletschten Zähnen und gerollten Augen wie man das in der Schweiz vor allem im Ethno-Kino sieht. Kurzum: ich beschloss auszuziehen. Um weiteren kulturellen Explosionen preventiv vorzubeugen und weil mein Schweizer Kollege in einem Haus wohnt, bei dem das Wasser von der Decke tropft, der Vermieter regelmässig die Stromrechnung fälscht und die israelischen Soldaten gerne die Strasse besuchen, beschlossen wir gemeinsam eine Bleibe zu suchen. Wenn die Suche nach einer geeigneten Telefonkarte bereits ein Abenteuer ist, kann man sich den exponentiellen Anstieg der Schwierigkeit in der Suche nach einer neuen Wohnung vorstellen. Mein Vermieter, ein ehemaliger Blumenhändler und heutiger Melancholiker und Alkoholiker, ein Mensch mit einem Herz, das für Blumen und Hunde schlägt und einem Schnurrbart der alten Schule über den Lippen, fuhr mich zu allen möglichen Freunden mit Häusern und Zimmern. Doch die einen waren zu teuer, die anderen zu kalt, die dritten zu grossmutterhaft. Nur eines, ein Haus, alt mit armlangen dicken Mauern und einem wilden Garten und dem Charisma eines Schamanen im Zentrum der Stadt schloss ich sofort ins Herz. Doch der Vermieter wollte nicht vermieten ohne seine Mutter zu fragen und seine Mutter schlief und sie schien alle Tage 24 Stunden lang zu schlafen. Dann war da die Wohnung, die uns die Chefin des Palestine Studies Programm vermittelte. Ein Bijou von einer Wohnung, drei Schlafzimmern, Zentralheizung – welch ein Segen in diesem Land -, drei Balkons und einer Waschmaschine. 600 Dollar dazu alle möglichen Nebenkosten müssten mindestens durch drei Personen geteilt werden – wir waren erst zu zweit. Heute dann der Tag der Wohnungssuche. Natürlich ist eine Wohnungsbörse a la Universitätsanschlagbrett Zürich oder Vermittlungsbüro hier in Ramallah undenkbar. Hier kennt man Leute und die kennen Leute und diese Leute haben Wohnungen. Wir kennen Simon. Simon ist Engländer und versucht in irgendeiner NGO Geld für Projekte im Finanzministerium aufzutreiben und Simons Landlady Hanna hat Wohnungen. Hanna hält das Mobiltelefon noch am Ohr, das vom Kopftuch verdeckt ist, als sie uns die Tür öffnet. Sie zeigt uns eine Wohnung mit einem verwinkelten Balkon, klein und fein aber für den Preis zu klein. Doch ihre, ja ihre Schwester, die habe ebenfalls eine Wohnung. Wir schrauben am Gittertor und gehen um ein Haus, gemacht aus Jerusalemstein so schwer, dass ich hier kein Arbeiter sein möchte. Auf der Veranda hängen Eistrauben und durch eine graue Stahltür lugt eine alte Frau. Wir treten in einen zweimanns hohen Raum, setzten uns auf Sofas des letzten Jahrhunderts. „Von wo kommt ihr, was macht ihr hier?“ fragt Rosa und stellt damit die erste Frage einer ganzen Serie. Wir sagen: „500 Dollar ist die Schmerzgrenze“ und sie sagt: „Eigentlich wollte ich 800 aber ich geb sie euch für 600 Dollar. Natürlich ohne Wasser, ohne Gas, ohne Elektrizität.“ Dann also zum deutsch-französischen Kulturzentrum in der Hoffnung nach einer Handvoll deutscher Organisation. Auf dem Weg gehen wir an einer Autowerkstatt vorbei. Davor sitzen drei alte Männer und spielen Backgammon. Eine Wohnung? Natürlich habe er eine Wohnung, sagt einer der alten Männer und bittet uns auf das Plätzchen mit dem Tischchen auf dem bald zwei neue Tassen mit Kaffee stehen. Nein es sei keine Wohnung, es sei eine Villa, eine Villa, eine richtige Villa. Natürlich kostet eine Villa. Und so driftet das Gespräch bald zu seinen Häusern, die er einst in Jerusalem besessen habe und in denen nun die Juden wohnten. Später setzt sich ein Architekt aus Bethlehem dazu und die Diskussion nimmt eine politische Wendung, mit Abu Masin als zukünftigem Präsidenten. Nach einer Stunde erreichen wir das deutsch-französische Kulturzentrum. Hier gibt es sogar ein Anschlagbrett und neben der offiziellen Wohnungsausschreibung weiss Azzam eine inoffizielle Wohnung, die „helo iktiir“, wunderschön sei und billig dazu. Nur hat er die Nummer des Vermieters nicht. Wir hoffen auf unser Glück und marschieren in Richtung al-Manara Platz, in Richtung des Taxistandes der Birzeit Taxis davon und während wir noch verloren die Häuser betrachten, spricht uns ein Mann an, ob wir denn eine Wohnung suchen. Wir würden sie „siffig“ nennen die Wohnung mit der Schlauchküche, der Tapete, die sich von der Badezimmerdecke löst und dem „müffeligen“ Geschmack. Doch sie hat was. Sogar eine Veranda. 300 Dollar, keine Heizung, kein Fernseher, dafür viel Feuchtigkeit. Häni, wie der Besitzer heisst, hat noch einen Trumpf auf Lager: ein altes Haus mit Wohnungen beim al-Kasaba, dem Kino im Zentrum der Stadt. Doch in dieser wächst der Schimmel bereits an der Decke und auf den Kissen und für einmal fällt die Absage einfach. Doch dann wäre da noch die Wohnung unter dem Dach, doch die ist ohne das Zauberwort „mafrusch“, möbliert, zu haben. Eine Wohnung aus 1000 und einer Nacht, aber „misch mafrusch“ bedeutet: keine Waschmaschine, keine Herdplatte, kein Bett, kein Stuhl, kein Tisch, kein Frigo. Und weil sich Emanuel auf Anhieb in die Wohnung verliebt, stiefeln wir weiter zum nächsten Waschmaschinenhändler und kalkulieren, dass eine Waschmaschine und eine Herdplatte bereits Tausend Franken kosten… Auf dem Heimweg verlaufen wir uns und enden auf dem Markt. Jungs, die wir nicht kennen, bieten uns Mandarinen an und ich ziehe meine letzten Lindorkugeln aus der Tasche. Dann schälen wir die Bananen und unterhalten uns über die Schönheit und Gastfreundschaft von Ramallah. PS: Unser Visaerneuerungstrip nach Amman fand seinen Höhepunkt in der Heimreise. Auf der jordanischen Seite nimmt man´s nicht so genau mit der Gepäckkontrolle, dafür wissen die Jordanier wie man den Reisenden sogar bei der Ausreise noch Geld abknüpfen kann. Nach zwei Stunden Wartezeit – Gründe wurden nicht genannt – an der jordanischen Busstation wurden wir durch Niemandsland und über die Allenby Bridge zur israelischen Kontrolle gebracht. Bei dieser Fahrt überholten wir vier Busse mit Palästinensern, die, wie wir später erfuhren, in ihren Bussen am Zoll übernachten mussten. Auf der israelischen Seite sahen wir dann den Grund für die Wartezeit: Ein Koffer, in dem sich angeblich eine Bombe befand. Der Koffer wurde auf die Wiese vor dem Zollgebäude gebracht. Dann marschierte ein Roboter zum Koffer, öffnete ihn, verstreute alle Kleider auf der Wiese und fand schliesslich Modellausgaben des Weissen Hauses und anderer amerikanischer Symbole. Der Koffer gehörte zwar einem Muslim, dieser war jedoch soeben von seiner Reise aus den Staaten zurückgekommen. Da das Weisse Haus den Bombenexperten verdächtig erschien, wurde es kurzerhand gesprengt. Später entpuppte sich die ganze Aktion als Fehlalarm. Wir verbrachten am Ende sechs Stunden an der Grenze. Unser australischer Kollege wurde zwei Extrastunden lang bis auf die Unterwäsche untersucht. Das 3-Monats Visum haben wir am Ende trotzdem erhalten.