In Ramallah ist der Wintereingebrochen. Und weil alle Leute Oel fuer die Heizungen kaufen wollten, kollabierte die Tankstelle, der einzige Ort fuer Oel,bereits am ersten Tag. Welch ein Glueck, dass wir noch Wolldecken, made in China, haben. Diese zu kaufen ist im Moment auch unmoeglich: vorgestern wurden drei Maenner in Ramallah erschossen und deshalb sind heute alle Laeden geschlossen. Auch die Wolldeckenlaeden… Gruss Karin Hier noch eine Geschichte aus Gaza Auf der Ebene, von wo die Kassam Raketen in Richtung der Siedlungen und des israelischen Dorfs Sderot abgefeuert wurden, erstreckt sich heute eine sandige Mondlandschaft. Israelische Bulldozer haben gute Arbeit geleistet und die Zitronenbäume mitsamt den bestehenden Häusern platt gewalzt. Ein paar Schritte weiter unten, im Jabalia Flüchtlingslager im Gazastreifen ist nicht viel mehr von einem Kindergarten übrig geblieben, als eine Wandtafel mit ein paar Buchstaben und eine halb zerstörte Mauer auf der noch das Wandbild eines Jungen zu erkennen ist, der seinen Schulranzen geschultert hat. Die 16-tägige israelische Invasion Ende September hat deutliche Spuren hinterlassen. Das Flüchtlingslager Jabalia ist ein verlassenes Schlachtfeld, ein Schutthaufen ohne Helden. Nach Angabe des Menschenrechtszentrum al-Mezan, wurden während der Invasion 133 Palästinenser getötet, unter ihnen 31 Kinder, mindestens 432 Personen wurden verletzt. 85 Häuser wurden komplett und hunderte teilweise zerstört. In der „Todesstrasse“, im Osten des Flüchtlingslagers waren die Panzer überall. „Das Schlimmste waren die Bulldozer“, erzählt ein Mädchen, das ohne Schuhe in den Trümmern herum stolpert. Sie sagt, dass sie Angst hatte vor den Maschinengewehren, aber noch viel mehr vor den Bulldozern, die überall waren. Die zehnjährige Tahanee Abu Rokba erinnert sich an die Worte ihres kleinen Bruder, als das Haus ihres Grossvaters zerstört wurde: „Bring mir eine Waffe und ich werde sie alle erschiessen.“ Ein Junge ruft dazwischen: „Wir haben nicht geschlafen. Wir haben uns in die Hose gepinkelt“, die Kinder lachen verlegen. Mohammed Abu Rakba, ein Student anfangs Zwanzig mit kaputten Gummisandalen, gehört zu jenen, die ihr Haus verloren haben. Er ist gerade dabei eine Tür zu flicken. „Die Soldaten konnten mit ihren Panzern nicht durch die engen Gassen. Deshalb haben sie einfach die Bulldozer voran geschickt“, sagt er. Drei Häuser, in denen seine Familie gelebt hatte, wurden zerstört. Alle 25 Leute, die darin gewohnt haben, sind in Mietwohnungen gezogen. „Die Stadtverwaltung hat uns gesagt, sie werde die Miete bezahlen“, erzählt Abu Rakba, der bis jetzt noch keinen Schekel gesehen hat. Dann zieht er die Schultern hoch und sagt: „Was soll ich schon sagen. Wir haben unser Haus verloren und alle unsere Nachbarn sind irgendwo verstreut.“ Die Kinder klettern auf einen Betonblock, der, nur noch von wenigen Eisenstangen gehalten, aus der Wand ragt. Sie sagen, dass sie manchmal Fussballspielen und wenn sie in der Schule zeichnen, dann sind die beliebten Sujets Panzer, Soldaten, Bulldozer und manchmal der Strand. Am Strand war jedoch noch keines der Kindern, obwohl dieser nur wenige Kilometer entfernt liegt. Sie waren sowieso noch nie aus dem Lager raus und wollen auch in den nächsten Jahren hier bleiben. Das sei ihre Heimat. Dann zählen die Kinder ihre Verwandten auf, die in den vergangenen Monaten und Jahren erschossen wurden. Es klingt wie die Aufzählung der Buchstaben im Alphabet oder der Lieblingsspeisen. Es ist anzunehmen, dass auch im Zentrum des Flüchtlingslagers einst Häuser gestanden sind. Heute sieht man nur noch einen Fussballfeld grossen Schutthaufen. Dazwischen liegen abgebrochene Ziegelsteine, Kleiderfetzen und Abfall. Die Häuser, die noch stehen, haben kleinere und grössere Löcher. Aus den grösseren Löchern haben die israelischen Scharfschützen geschossen, die kleineren stammen von den Kugeln der Maschinengewehre, die planlos alles erfassten. „Was soll ich denn fühlen, was soll ich denn denken?“, fragt Abd al-Rahmen, dessen Haus zerstört wurde „sie haben uns 1948 von unserem Land verjagt und nun verjagen sie uns aus dem Flüchtlingslager.“ Auch al-Rahmen lebt nun mit seiner Familie in einer Mietwohnung, auch ihm hat die Behörde noch nichts an die 220 Franken teure Monatsmiete bezahlt und er fürchtet sich, bald aus der Mietwohnung vertrieben zu werden. Es gebe keine Arbeit, keine Hoffnung, das was bleibe sei Frustration und das ändere sich auch mit einer neuen Regierung nicht. „Heute ist euer Tag“, hätten die israelischen Soldaten am 28. September, am ersten Tag der Invasion den Bewohner des Flüchtlingslagers, per Megaphon verkündet. Doch die Leute blieben in den Häusern – oft bis diese bereits zur Hälfte von den Bulldozern zerstört wurden. „Wohin hätten wir gehen sollen“, fragt die neun jährige Ruha Abu al-Jedyan. Sie hat die Bulldozer vom Dach aus gesehen. Vier Bulldozer seien langsam auf das Haus zugerollt. Die Mutter sagte: „Wir bleiben. Wir verlassen das Haus nicht“, und dann haben sie das Flüchtlingslager mit der Ambulanz verlassen. Als die Familie später in die Trümmer zurückkehrte, fand sie noch ein paar Kleider. Aber diese waren unbrauchbar, sie waren verbrannt, zerschlissen. Ruha sagt: „Ich habe noch zwei T-Shirts und zwei Hosen und meine Schwester hat von der UN einen Trainer erhalten.“ Zwei von Ruhas Familienmitglieder wurden getötet, eine Schwester ist im Spital. „Ich wünschte, dass Gott den Juden ein Erdbeben schickt“, sagt das Mädchen. Wayel al-Mqayad gibt sich alle Mühe den Rest eines Betonblocks auf die Seite zu stossen. Dann zieht er ein Büschel Haar unter dem Stein hervor und zeigt auf etwas Zerquetschtes. „Ich weiss nicht, wer das war“, sagt er. Sein eigenes Haus ist im Inneren schwarz vor Russ, am Boden liegt der Rest von Unterwäsche, ein verbranntes Papier, das einst die Gesundheitsversicherung der Familie darstellte und ein Bettrost. „Ich bin 33 Jahre alt, ich habe dieses Haus gebaut, ich habe kein Geld, keine Arbeit, keine Hoffnung. Ich kann weder nach Agypten, noch nach Israel. Was soll ich sagen?“ Al-Mqayad hat aufgehört auf internationale Hilfe zu hoffen, er hat auch aufgehört an die eigene Regierung zu glauben und Frieden, das werde es mit den Juden sowieso nie geben. Wer immer Hilfe anbieten wolle, Israel werde das zu verhindern wissen, glaubt er. Nur Hamas, die würden noch reagieren und das sei ihr volles Recht. „Die Kinder werden fragen: wo ist mein Vater? Und dann wird ihr Hass bleiben“, sagt al-Mqayad und fragt dann: „Alle schreien auf, wenn es ein Selbstmordattentat gibt, aber wieso sagt niemand etwas, wenn die Juden kommen und unser Leben zerstören?“ Es hat zu regnen begonnen. Ein paar Jungs unterhalten sich über den Fussballmatch zwischen den Irakis und den Palästinenser, der am Vorabend im Fernsehen übertragen wurde. In einem Zelt sitzen ein paar Frauen auf einer Matratze. Sie heben die Hände und bitten: „Bringt uns Frieden, bringt uns Frieden.“ Ein paar Tage spaeter treffe ich mich mit israelischen und deutschen Journalisten in Israel. Wir essen in Restaurants, in denen die marinierte Huehnerbrust beinahe so viel kostet wie ein halbes Monatseinkommen in Gaza. Am Abend tanzen wir in der Disco, wo sich vor wenigen Wochen ein Selbstmorattentaeter in die Luft gesprengt hat. Heute sieht man nichts mehr. Junge Leute tanzen zu Rock, ungehemmt und bis in die fruehen Morgenstunden. Eine Spassgesellschaft, wie man sie in Paris oder Zuerich oder irgend einer anderen Stadt finden kann – waeren da nicht auch die Gespraeche ueber die Besetzung. Ich unterhalte mich mit Leuten vom rechten Fluegel der Likud Partei bis hin zu linken Aktivisten. Einige machen die Siedler fuer alles Uebel verantwortlich, andere wollen Israel und die besetzen Gebiete fuer sich, andere scheren sich einen Deut, um den ganzen Konflikt. Die Vielfalt der Argumente ist enorm, dabei finde ich nur zwei gemeinsame Nenner: Die Angst von den Arabern – wie die Israeli die Palaestinenser nennen – ueberrannt zu werden und ein hohes Mass an nicht-Wissen oder Fehlinformationen, ueber das was in den besetzten Gebieten passiert und wie die Leute dort leben. Die meisten meiner Gespraechspartner haben noch nie einen Fuss nach Gaza oder ins Westjordanland gesetzt. Ich lade sie ein, mich in Ramallah zu besuchen, aber sie sagen, sie haetten Angst geluencht zu werden. Am letzten Tag unterhalte ich mich mit dem Receptionisten im Hotel. Er sagt, dass er seinen Fernseher entsorgt hat, keine Zeitungen mehr liest und sich nur noch dem Tierschutz, Joga, Meditationen und dem Sport widmet. Dass ich in Ramallah lebe, bezeichnet er als baren Selbstmord. PS: Mein Touristen Visa (es war unmoeglich ein Studentenvisa zu erhalten) laeuft Ende dieses Monats ab. Deshalb bin ich heute mit meinem Schweizer Kollegen nach Jerusalem gefahren, um im entsprechenden Ministerium mein Visa zu erneuern. Nach einem Spiessrutenlauf von einem Buero zum naechsten, landeten wir schliesslich beim Buero 204. Wir standen mit Amerikanern und Russen in der Reihe. Nicht jedoch, um eine Visaverlaengerung zu erhalten, sondern, um uns um einen Termin beim Buero fuer Visaverlaengerungen zu bemuehen. Hinter einem Holztisch sass eine wohlgenaerte, dauergewellte Dame mit viel Rouge auf den Wangen, die soviel Leidenschaft und Freundlichkeit an den Tag legte, dass ich am liebsten gleich auf den Absaetzen kehrt gemacht haette. „Was machen Sie hier?“ fragte sie wirsch und ich sagte, dass ich als Journalistin arbeite. Dann wollte sie mir einen Termin geben fuer den 9. Dezember und ich erklaerte ihr, dass dann die palaestinensischen Praesidentschaftswahlen seien und ich es dann vorziehe zu arbeiten, anstatt mich auf irgendwelchen Ministerien herumzuschlagen. Sie fragte: „Was bedeutet arbeiten?“ und ich versuchte ihr das Wort auf englisch zu erklaeren und fragte nach einem anderen Termin. Sie blieb stur. Entweder dann oder nie. Emanuel erging es nicht besser. Weil er angab in Tel Aviv gewohnt zu haben und nun in Ostjerusalem wohne, verwies sie ihn zu einem anderen Ministerium, im anderen Stadtteil. Es bleibt uns nichts anderes uebrig, als dieses Wochenende nach Jordanien auszureisen, in der Hoffnung, dass wir bei der Rueckreise wieder ein 3-Monatsvisum erhalten werden. Natuerlich sagen wir nicht, dass wir in Birzeit studieren. Das goldene Gebot „luege nicht“ bringt im heiligen Land nur Probleme. Zwei Studenten aus England waren so ehrlich, zu sagen, dass sie nach Birzeit an die Uni gehen: sie wurden direkt vom Ben Gurion Flughafen zurueck nach England geschickt.