Der Tag war voller an Emotionen und die Ohnmacht lag oft nahe. Hier ein Stimmungsbericht. Karin „Langsam, langsam“, schreit ein Soldat am Eingang der Mukataa in Ramallah, doch es ist bereits zu spät, die Emotionen siegen, der Wille Arafats Begräbnis unter keinen Umständen zu verpassen, lässt die Menschen den Stacheldraht von den Mauern reissen. Bevor die Helikopter gelandet sind, klettern Männer auf die Mauer, die den Innenhof der Mukataa schützen sollen. Vor dem Hintereingang des Regierungsgebäudes und in den Strassen von Ramallah haben sich Tausende schreiender Menschen versammelt, um ihrem „Rais“ die letzte Ehre zu erweisen. Wann dieser per Helikopter aus Kairo eingeflogen wird, bleibt wie alles in den vergangen Tage, Anlass für Spekulationen. Ein Mann bindet seinem Mädchen die schwarz-weiss gemusterte Keffiya um den Kopf. Er ist mit seiner Familie vor drei Tagen aus Jenin angereist, wie er sagte in weiser Voraussicht, dass der Präsident nur noch tot aus Paris zurückkehren wird und die Strassen höchst wahrscheinlich von der israelischen Armee gesperrt würden. „Ich glaube, dass wir nach Arafat noch mehr von unserem Land verlieren werden. Niemand weiss, welche Richtung die neuen Führer einschlagen werden“, gibt sich Munir Salah, der Handelsmann aus Jenin bekümmert. Auch Bassam Jaber, Präsident eines Sportklubs und Direktor einer Schule, ist am frühen Morgen aus Bethlehem angereist und hat dabei zwölf Checkpoints in Kauf genommen. „Arafat ist unser Vater, wir müssen ihn sehen“, sagt Jaber. Um 13.00 Uhr wird per Lautsprecher verkündet, dass 200 Leute in den Innenhof gelassen werden. Sobald jedoch das Tor einen Spalt weit offen steht, ist es um die militärische Autorität geschehen. Im Innenhof ist vorerst nichts mehr vom Tumult der drängenden Menge zu spüren. Die Leute stehen still und eng aneinander gedrängt, einige singen: „Kraft den Palästinenser, jetzt dürfen wir nicht den Mut verlieren.“ Auf den Fässern mit den Eisenstangen, die zur Abwehr israelischer Kampfhubschrauber überall auf dem Platz verteilt sind, stehen Männer und palästinensische Flaggen wehen von den Spitzen und werden neben einem Porträt des verstorbenen Präsidenten, das die ganze Fasse bedeckt, aufgehängt. Pferde tänzeln und Sanitäter tragen Bahren herum. Auch auf den Trümmerhaufen, die an die israelische Bombardierung im März 2002 erinnern, drängen sich die Menschen und selbst auf dem Gebäude, indem der Präsident seine letzten drei Jahre gefangen war, stehen Leute. Dann kommen sie: vier Hubschrauber werden am Himmel sichtbar und gleich einem Fussballstadion beginnt ein Pfeiffkonzert, dass sogar die ersten Schüsse übertönt. „Gott ist gross, Gott ist gross“, schreit eine Gruppe, die unter den einzigen Bäumen neben dem Grab von Arafat stehen. Der Interimspräsident Rawhi Fattu wird von einigen Soldaten zum Hubschrauber geleitet, aus dem Mahmud Abbas, der neue Vorsitzende der PLO und weitere hohe Politiker der Fatahspitze steigen. „Abu Ammar wir opfern dir unser Blut, unsere Seele“, schreit die Menge, die die ankommenden Politiker zurück in den Hubschrauber drängt. Erst als jemand per Mikrophon alle auffordert, den Präsidenten durch zuzulassen, ist es möglich den Sarg auf ein Auto zu laden. Die ordentlich geplante Zeremonie ist unmöglich, die Instrumente bleiben in ihren Hüllen, der Sarg soll so schnell wie möglich unter den Boden geschafft werden. Mehr als Trauer ist Wut zu spüren, Wut, dass der Präsident tot ist, Wut, dass er nicht in Jerusalem begraben wurde, Wut, weil niemand weiss, was in den nächsten Tagen geschehen wird. „Millionen von uns gehen als Martyrer nach Jerusalem“, skandieren sie, während der Sarg zu Arafats Büro und dann zum Grab, das aus ein paar Marmorplatten besteht und angeblich auf Jerusalem Sand liegen soll, gefahren wird. Schüsse werden in die Luft gefeuert, wie ein Kämpfer der Aksa-Brigade, die jetzt Arafat-Brigade heisst, sagt, zu Ehren des Präsidenten, der den ersten Schuss der Revolution abgegeben hat. Es ist heiss, doch niemand trinkt, niemand isst, niemand raucht, weil der Ramadan noch nicht zu Ende ist. Leute sacken zusammen und werden von anderen weggetragen. „Ich bin traurig, wütend und fühle mich das erste mal wie ein Waisenkind“, sagt Ali Omar, der Hauptmann der Force 17, Arafats persönlicher Leibgarde, der etwas abseits der Menge steht. Es ist erstaunlich, dass gerade dieser Mann, trotz der Trauer auch kritische Worte findet: „Unser Präsident hat nach dem Motto: Meine Macht ist das Chaos, regiert. Doch dieses Chaos wird von jetzt an niemand mehr kontrollieren können.“ Die in den letzten Tagen viel beschworene Einheit der Parteien und militanten Gruppen, wurde von Arafat nie angestrebt. Omar fürchtet sich deshalb, dass sich die konkurrierenden Sicherheitsdienste bekämpfen werden und es vor allem in der Fatah, Arafats Partei, zu einer Zersplitterung kommen wird, die auch die Menschen auf der Strassen spaltet. Denn, so fragt er, wie sollte Faruk Kaddomi, der neue Fatah Führer, von Tunis aus eine bereits zerstückelte Partei leiten können?