Gestern habe ich einen der meist gesuchtesten Maenner in der Ramallah Gegend zu einem Interview getroffen. Der Junge war bestimmt kein Intellektueller, hatte trotzdem einige interessante Aussagen gemacht.
Alles Liebe
Karin
Einer der meist gesuchtesten Männer in der Ramallah Gegend hat ein rot verbranntes Gesicht und einen nervösen Blick. Seine Hand liegt griffbereit auf seiner Kalaschnikow und er hat die mühsame Angewohnheit unbequeme Fragen nicht verstehen zu wollen. Der Mann, den wir hier Mohammed Sleman nennen, ist kaum älter als 25 Jahre. Für das Gespräch treffen wir uns in der Wohnung eines Mittelsmanns und trinken türkischen Kaffee. In dieser Nacht kreist eine israelische Drohne über Ramallah, die den selben Effekt hat wie eine unsichtbare Mücke: Sie macht die Leute wütend und nervös – vor allem die „wanted people“. Der Frage, wieso er zu den meist gesuchtesten Männern gehört, weicht er zuerst aus: „Das ganze palästinensische Volk ist gesucht“, sagt er und fügt dann an: „Wenn wir in der Nacht auf die Israeli schiessen, dann wissen wir später nicht, wer getroffen hat. Deshalb sind wir alle gesucht.“ Mohammed gehört zur al-Aksa-Brigade, dem militärischen Arm der Fatah Partei, der Partei des verstorbenen Arafats. Seit dem Tod des Rais hat sich die Brigade in Arafat-Brigade umbenannt. Ihre rund 40 Mitglieder sind allesamt auf Grund ihres militanten Widerstands gesuchte Leute, sie haben sich mit Herz und Seele und vor allem mit dem Finger am Abzug für „ihren Vater“ eingesetzt. „Wir sprechen hier von einer Ideologie, einer Tradition“, erklärt Mohammed, dessen Vater bereits in der PLO war, seine Mitgliedschaft. Bis zum
Tod Arafat haben die Aksa-Kämpfer in der Mukataa gelebt. Jetzt haben sie ihre Wohncontainer im Innenhof verlassen; die Unsicherheit, die Angst vor einer israelischen Invasion hat sie auf die Strasse und in die Wohnungen von Freunden getrieben.
„Der Führer bleibt Arafat“, sagt Mohammed. Er ist zwar bereit auch unter einer neuen Regierung zu kämpfen, aber nur so lange, wie diese die Arafat-Linie nicht verlässt. Ob Mahmud Abbas, Achmed Kurei oder wer auch immer in die Fussstapfen Arafats zu treten versucht, die Bindung werde nie mehr dieselbe sein. Für Dachlan, den früheren Sicherheitschef Gazas findet Mohammed wenig gute Worte: „Der hat uns Palästinenser nie repräsentiert. Die meiste Zeit war er im Ausland, in Amerika.“ Sollte die neue Regierung zu sehr mit Sharon oder der amerikanischen Regierung kuscheln, dann werde sich nicht nur die Arafat-Brigade gegen die neuen Machthaber stellen, sondern alle Palästinenser – glaubt Mohammed. Die Arafat Linie fasst er in wenigen Worten zusammen: Rückzug der Israeli hinter die Grenzen von 1967, einen palästinensischen Staat und das Rückkehrrecht der Flüchtlinge. So kampflustig sich
Mohammed auch gibt, auch ein neuer Friedensplan findet in seinen Zukunftsvorstellungen Platz. „Wir unterstützen die Road map“, sagt der Kämpfer, der
sogar – im schlimmsten Fall, wie er sagt – bereit wäre seine Waffen abzugeben, wenn dies ein neuer, positiver und vielversprechender Friedensprozess fordern würde.
Dass die Friedensbekundung vor allem eine rhetorische ist, zeigt sich in Mohammeds Gedanken zum Widerstand. „Die Ruhe jetzt, ist eine Ruhe vor dem Sturm“, glaubt
er und versichert, dass die Brigade vor allem in den A-Gebieten, den Zonen die seit den Oslo-Verhandlungen unter palästinensischer Kontrolle sind, den Widerstand
verstärken werde. Auch die Selbstmordattentate würden fortgesetzt. Für Mohammed ist dies schlicht und einfach eine Form des Widerstands. „Die Israeli haben
Flugzeuge, Panzer und Helikopter, wir haben unsere Körper“, sagt er und verweigert jede weitere Erklärung.
Während die Fatah Jugend auf der Strasse bereits gegen die neuen Führer einheizt, hält Mohammed Schritt mit den politischen Schönreden der letzten Tagen: „Ob
Arafat-Brigade oder Hamas, wir halten zusammen“, gibt sich Mohammed ideologisch, der auch keinen Anlass zur Sorge für Kämpfe zwischen den zerstrittenen
Sicherheitsdiensten sieht. Dass die Waisenkinder Arafats jedoch mit allem rechnen zeigt sich im Stadtzentrum. Ohne oder mit bedeckten Gesichtern tragen sie ihre Waffen zur Schau. „Die Verhüllung ist ein Relikt der ersten Intifada, als die Israeli
überall waren. Tragen wir sie heute noch, ist das blosse Tradition, Mode“, sagt er. Die Schüsse, die in den letzten Tagen von den Brigaden in die Luft gefeuert wurden, seien zu Ehren Arafats, der den ersten Schuss der Revolution abgefeuert hatte. Die
letzte Frage nach der Herkunft und der Art der Waffe, entlocken Mohammed das erste und einzige Lächeln: „Wir haben alles: Kalaschnikow, M16, was immer du willst.“ Und von wo? „Die israelischen Soldaten verkaufen sie uns.“
PS: Gestern Nacht war ich nochmals vor der Mukataa. Ich hatte echt Angst, dass die durchgeknallten Jungs das Tor einrennen wuerden. Heute sind Tausende
gekommen. Wo das noch hinfuehrt?
Alle die, die mir in den letzten Tagen besorgte mails geschickt haben: bitte macht euch keine Sorge, ich halte mich am Rand und habe zudem meine eigenen Bodygards.