Quezon City, Philippinen, 17. November 2016
Als wir ankommen haben sie Romel dela Cruz bereits weggeräumt, abtransportiert in die Leichenhalle. Die Blutlache ist noch frisch und rot. Um sie streichen Katzen. Die Spurensicherung der Kriminalpolizei hat Nummern daneben gestellt. Jetzt fotografieren sie alles, auch die Tüte mit dem Popcorn, die Romel fallen liess, als er erschossen wurde. Vor einem Stand, an dem eine Frau Hühnchen-Spiesse verkauft, liegen Patronenhülsen am Boden. Die Polizei hat durchsichtige Plasticbecher darüber gestülpt. Die Hühnchen-Verkäuferin sagt, sie sei sofort hinter ihrem Stand abgetaucht, als die Schüsse fielen. Es waren zwei maskierte Männer auf einem Motorrad. Einer sei ein Polizist gewesen, sagen die Anwesenden, aber erst als die Polizisten wieder weg sind. Doch eigentlich weiss niemand, wer die Mörder waren. Alle sagen jedoch: so was gab’s früher nicht. Erst seit Duterte im Amt ist, liegt hier alle paar Tage wieder einer am Boden, tot. Dieser Mord hier wurde gefilmt. Gleich über dem Hühnchen-Stand hängen Überwachungskameras.
Die Familie von Romel wohnt ihn einer unverputzten Hütte aus Backsteinen in einer Nebenstrasse des Slums am Rande von Quezon city. Der Bruder und die Mutter sitzen vor der Hütte, das Gesicht in die Hände gestützt. Sie weinen nicht. Sie sind wütend. Bruder Ronaldo hatte für Rodrigo Duterte gestimmt. Er glaubte, dass dieser Armen wie seiner Familie helfen würde, nicht wie die alte korrupte Elite. Sein Bruder war Fahrer, die meisten anderen in der Familie haben keine Arbeit. Früher habe sein Bruder Drogen genommen, „Shabu“, ein billiger Amphetamin-Verschnitt wie ihn viele hier nehmen, um lange arbeiten zu könne. Aber seit Duterte, habe er nichts mehr angefasst. Und sowieso, so Rodrigo: „Nicht die Drogen sind das Problem, sondern, dass wir keine Arbeit haben, deshalb nehmen so viele Drogen. Wieso sie gleich abknallen? Sie können sie doch ins Gefängnis stecken.“
Auf der Rückfahrt nach Manila berichtet das Autoradio über noch mehr Tote. Kein Nacht ohne Tote, sagt der Taxifahrer.
Quezon City, Philippinen, 18. November 2016
Am Nachmittag wird Romels Leiche zurück in den Slum gebracht. Auf der Strasse vor der Hütte sitzen Nachbarn und spielen Karten. Der Raum aus unverputzten Backsteinen ist hell erleuchtet. „Die Nachbarn haben mir den Storm geborgt, weil wir keinen haben. Für die Leiche meines Mannes habe ich einen package deal bekommen – auf Abzahlung. 27‘000 Pesos“, sagt Mariane, Romels Frau. Sie streichelt über die Glasdecke des Sargs. Romel trägt ein weisses Hemd und sieht aus wie aus Wachs. Am Kopfende steht Atina, Romels 5-jährige Lieblings-Enkelin. Für sie ging er Bananen kaufen, als er ermordet wurde. Sie schaut ernst auf ihren 40-jährigen Grossvater. Er trägt eine dicke Schicht braunes Make-up, doch das Einschussloch in der Nase überdeckt es nicht. „Vier Kinder habe ich und Romel war der einzige, der ein regelmässiges Einkommen hatte. Er ernährte die Familie. Wer soll das jetzt tun? Wie soll ich die 27‘000 Pesos für die Beerdigung und all das hier zahlen?“, sagt Mariane und zeigt auf den weissen Sarg, die Leuchter aus Plastic, die im package deal inbegriffen sind.
Als Mariane gestern bei ihrem toten Mann an kam, lagen zwei Sachets mit Shabu neben ihm. Sie hat sie weggekickt. Die Mörder hätten das Zeugs absichtlich neben Romels Körper fallen lassen. „Das tun sie immer. Und wenn sie Zeit haben, lassen sie sogar ne Waffen liegen, so dass es aussieht, als ob das ein Kampf gewesen wäre oder ein Drogensüchtiger, den man abschiessen kann. Aber Romel war kein Drogensüchtiger. Er hat nichts mehr genommen, deshalb war er auch dicklich, nicht wie die Drogenabhängigen. Die haben alle eingefallene Wangen.“ Auch Mariane hatte für Duterte gestimmt. Sie träumte vom Wandel, den Duterte versprach. Hätte sie gewusst, dass er in dieser Form kommen würde, nein, sie wäre nie an die Urne gegangen.
Romels Bruder ist schon etwas angetrunken, als er an den Sarg kommt. „Die Aufnahmen der Überwachungskamera, wo wer hat sie?“, frage ich. Er will sie uns besorgen, verschwindet und kommt erst eine halbe Stunde später wieder mit einer CD zurück. Zuerst kann er keinen Computer finden, dann kein Ladegerät, dann funktioniert die CD nicht. Ich schaue sie mir später an auf meinem Laptop. Zwei Männer mit Helmen fahren auf einem Motorrad an. Sie warten ein wenig am Strassenrand. „So machen die Verräter“, hatte Mariane erklärt und die Lippen zu einem Kussmund gestülpt „Das ist das Zeichen, dass das der richtige Mann ist, jener, den sie töten müssen. Die Verräter kriegen Geld dafür oder Schutz. Sie werden selbst nicht erschossen.“ Die Motorradfahrer wenden das Motorrad. Die Kamera schwenkt zu einem Kleinlaster. Romel kauft Bananen. Neben ihm steht eine Frau mit einem kleinen Mädchen. Auf einmal sackt er zusammen. Die Frau zieht das Mädchen weg und rennt davon. Der Mörder steht neben ihm. Er drückt noch fünf Mal ab, zielt direkt auf Romel, die Brust, den Kopf, obwohl er bereits am Boden liegt. Dann fahren die Mörder davon. Minutenlange liegt der Tote am Boden. Niemand geht hin, niemand hilft ihm, bis Mariane kommt und ein Mann. Er zieht sein weisses T-Shirt aus und legt es über Romels Gesicht. Mariane sagt: „Als die Ambulanz kam, sagte der Fahrer: ,Du musst für den Sprit zahlen‘- ich antwortete: Mein Mann ist tot und ich habe kein Geld! Lass mich in Ruhe!“ Als sie die Ärzte fragten, ob sie eine Autopsie wolle, verneinte sie. Für was auch. „Das verärgert die Mörder noch. Dann kommen sie wieder und erschiessen auch uns noch.“