Davao City, Philippinen, 20. November 2016
„Schlafen“, sagt Radimir „Schlafen ist das grösste Problem hier. Es hat einfach nicht genügend Platz für alle.“
St. Ana Polizei Gefängnis. Vierzig Männer auf 20 Quadratmetern. Einige haben Hängematten aufgehängt. Einige stehen. Wer kann, liegt. Radimir sitzt wegen Raub. Brian soll ein Drogenhändler sein. Arthur, Julce und Gener auch. Beinahe alle hier sitzen wegen Drogen. „Die Polizei hat mich auf der Strasse aufgegriffen. Die Päckchen mit dem Shabu hatten sie bereits dabei. Sie mussten sie mir nur noch unterjubeln.“ Von der Polizei untergeschobenes Beweismaterial. Alle sprechen davon. Die Polizei müsse schliesslich Quoten erfüllen. Und sie sprechen davon, dass ihnen die Polizei alles gestohlen hat: Die Uhr, das Geld. Der alte Arthur sagt: „Ja, früher habe ich Drogen genommen, aber heute? Nein. Nicht mehr seit Duterte seinen Drogenkrieg angekündigt hat.“ Einer zeigt auf seinen Oberarm mit den blauen Flecken: „Geschlagen haben sie mich.“ Keiner weiss, wie lange er noch hier sitzen wird. Keiner hat einen Anwalt gesehen, obwohl schon alle Tage oder Wochen hier drin sind. „Den Anwalt sehen sie dann vor Gericht“, sagt der diensthabende Polizist. „Ja, ich weiss, dass es da eng ist. Deshalb haben wir ihnen erlaubt Hängematten aufzuspannen.“
Am Mittag kommen die Frauen und Freunde und bringen Essen und Kleider.
Gleich neben der engen Zelle der Männer ist eine winzige Zelle für Minderjährige. Zwei Jungs sind eingesperrt. Die Zelle ist zu eng, dass beide sitzen können, deshalb sitzt nur einer mit angewinkelten Beinen, den Kopf auf den Knien. Der andere steht. „Taschendiebe“, kommentiert der Polizist. Hinter einem weiteren Gitter sind die Frauen eingesperrt. Viele von ihnen weinen. Eine ist im vierten Monat schwanger. „Ich war mit einem Freund unterwegs. Die Polizei schnappte ihn und mich nahmen sie gleich mit.“ Sie sitzt seit mehreren Tagen. „Was machen bloss meine Kinder?“, fragt sie und weint. Sie ist untröstlich. Da ist auch Irine, 42. Auch sie hat rotverweinte Augen. „Ja, ich habe kleine Säckchen mit Shabu verkauft. Für drei Säckchen kriegte ich 50 Pesos.“ 1 Dollar. Es könnte sein, dass sie deshalb nun jahrelang sitzen wird. „An jenem Tag habe ich Geld vom Geldverleiher geholt. Wir wollten ein kleines Geschäft eröffnen. Die Polizei hat mir all mein Geld abgenommen. 30‘000 Pesos. Wie sollen wir jetzt die Zinsen zahlen?“ Was wünscht ihr euch hier am meisten? „Dass jemand die Toilette flickt. Wenn wir scheissen, können wir nicht spülen. Dann stinkt es so schrecklich.“
Wir kaufen allen Insassen Mittagessen und Coca Cola. Mit den Frauen mache ich eine kleine hypnotische Reise. Ich bringe sie zu einem Ort, an dem sie sich frei und glücklich fühlten. Einige erzählen von ihren Familien. Die Schwangere weint. Sie könne sich nichts Schönes vorstellen, sagt sie. Was sind die schönsten Momente, an die sie sich erinnert? „Eis essen mit meinen Kindern. Das ist immer schön. Und wenn meine Tochter kommt und sagt, dass sie mich liebt“, sagt sie und weint nicht mehr.
Bei den Männern führe ich einen kleinen Zaubertrick vor. Danach setzt sich hin, wer kann, die anderen stehen. Sie schliessen die Augen. Sie entspannen sich. Sie sollen sich einen Ort vorstellen, an dem sie frei und zufrieden waren. „Ich bin Zuhause mit meiner Familie“, sagt einer. „Es ist schön und ich bin glücklich.“ Wo im Körper fühlst du das? „Hier in der Brust?“ Hat das Gefühl eine Farbe? „Es ist blau, himmelblau“, sagt er. Als er die Augen öffnet, strahlen sie.