Am Flughafen in Hanoi warten bereits drei Männer in grüner Uniform mit roten Epauletten. „Excuse me, Madam“, sagen sie beinahe schüchtern, als ich auf das Rollband zugehe, um mein Gepäck zu holen. „There is a problem.“ Sie wedeln mit einem Bund Papieren. „You never answered our phone calls.“ Das stimmt. Der erste Anruf kam am Donnerstag Abend um 20.00 Uhr. „Hello Madam, I am the one who gave you your Visa. Where are you?” Ich war gemeinsam mit einem Kollegen im Nachtzug von Da Nang nach Vinh unterwegs. Wir wollten in Vinh den Bischof treffen, ein couragierter Mann und jener Mann der als Dreh- und Angelpunkt im Fall Formosa agiert. Der Fall Formosa ist für die vietnamesische Regierung das Reizthema schlechthin und das Problem, das sie mit allen Mitteln vertuschen wollen.
Das Problem wird im April 2016 in der Provinz Ha Tinh augenscheinlich. Dort hat der taiwanesische Stahlproduzent Formosa eine gigantische Fabrik aufgebaut. Über Nacht sterben Hunderttausende von Fischen. Ein 200 Kilometer langer Küstenstreifen wird verseucht. Die Regierung leitet eine Untersuchung ein und befindet, dass möglicherweise Algen das Fischsterben verursacht hätten – aber gewiss nicht Formosa. Der taiwanesische Konzern hat seit 2010 mehr als 20 Milliarden US-$ in die gigantische Stahlfabrik in der Provinz Ha Tinh investiert. Er gehört damit zu den grössten ausländischen Investoren im Land. Der damalige Premierminister Vietnams höchstpersönlich hatte die Fabrik eingeweiht. Formosa streitet vorerst jegliche Mitschuld am Fischsterben ab. Doch dann erkranken die ersten Anwohner, die Fische und Meerestiere aus der Gegend gegessen haben. Es kommt zu Todesfällen. Auch ein Taucher, der in der Nähe der Fabrik ins Wasser steigt, klagt bald darauf über Atemnot und stirbt. Andere Taucher erkranken schwer. Zwei Wochen nach Beginn der Katastrophe gibt ein Vertreter von Formosa erstmals zu, dass Abwasser der Stahlproduktion das Meer belasten könnte. Im Interview mit einer lokalen Fernsehstation sagt er: „Sie müssen sich entscheiden: Entweder Sie wollen weiterhin Fische und Krabben fangen oder ein modernes Stahlwerk haben. Selbst als Premierminister, können Sie nicht beides haben.“ Dann geschieht etwas, was es sonst kaum gibt in Vietnam: Die Leute gehen auf die Strasse, demonstrieren gegen Formosa und die Regierung. Der Bischof von Vinh organisiert die Demonstrationen mit. Bis heute ist er der Stachel im Auge der Regierung und des Stahlkonzern.
Zu den drei Männern in den grünen Uniformen haben sich nun zwei Männer in Zivilkleidung gesellt. Sie sagen, ihre Firma, die Hanoi Royal Trading and Service Co. Ltd. habe für mein Visa gebürgt, etwas, dass sie nun nicht mehr könnte. Die meisten Papiere, die sie uns in die Hand drücken sind auf Vietnamesisch. Auf einem Blatt Papier jedoch steht in krakeliger Handschrift, dass die Hanoi Royal Trading and Service Co. Ltd. das Immigrationsamt gebeten habe mein und das Visum meines Kollegen zu annullieren. Der Grund: Ich hätte sie nicht kontaktiert. Was da nicht stand: Ich war mit einem Touristen Visum in Vietnam, weil man als Journalist mit einem Journalisten Visum nicht arbeiten kann. Das heisst: Man kann schon, aber man wird von einem Regierungsvertreter auf Schritt und Tritt begleitet, muss diesen bezahlen und darf nur ausgewählte Geschichten erzählen – von der Regierung ausgewählt, versteht sich.
Die Verschmutzung durch Formosa ist die grösste Umweltkatastrophe in der jüngsten Geschichte Vietnams. Fast drei Monate nach der Katastrophe, treten die Manager von Formosa mit gesenkten Köpfen vor die Kameras. Der Direktor gibt zu: „Formosa Ha Tinh Steel ist verantwortlich für das Massensterben von Fischen und die Umweltkatastrophe, von der vier Provinzen betroffen sind. Wir möchten uns entschuldigen bei den Bewohnern Vietnams und wir garantieren, dass wir in Zukunft das Gesetz nicht mehr verletzen werden. Bitte seid tolerant mit uns und vergebt uns.“ Der Druck war zu gross geworden, die Demonstrationen brachen nicht ab. Ein staatlicher Untersuchungsbericht bestätigte den ersten Verdacht: Formosa hatte Chemikalien ins Meer geleitet, darunter auch hochgiftige Blausäure. Damit wurden schätzungsweise 70 bis 100 Tonnen Fisch vernichtet. Wie viele Menschen an den Folgen einer Vergiftung gestorben oder krank geworden sind, ist nicht bekannt. Der Konzern will 500 Millionen Dollar zahlen. Geld, das an die Opfer verteilt werden soll. Die Regierung verspricht, vier hochrangige Regierungsvertreter zu bestrafen. Sie werden ihrer Ämter enthoben, aber vor Gericht kommen sie nicht. Und die Stahlfabrik wird nicht geschlossen, sondern soll in diesem Jahr ihre Produktion aufnehmen. Das will der Bischof von Vinh mit allen Mitteln verhindern. Er sagt: „Die Fabrik hat ihre Arbeit noch nicht einmal aufgenommen und hat bereits eine riesige Katastrophe verursacht. Wie wird das werden, wenn sie aktiv ist? Unsere Luft, unser Wasser und Boden werden versucht werden.“
Weder mit den Männern in grüner Uniform, noch mit jenen in ziviler Uniform kann man verhandeln. Wir müssen aus dem Land und zwar sofort. Und doch scheint ihnen die Angelegenheit unangenehm zu sein. In gebrochenem Englisch schwärmen sie von der Schweiz. „Switzerland, very beautiful. Watch, look, Tissot watch“, sagt einer und zeigt auf die Tissot Uhr an seinem Handgelenk. Und als ich frage, wo wir denn was essen können, erkundigt sich einer der Uniformlosen, was ich essen wolle und was trinken. Nach wenigen Minuten ist er zurück mit Coca Cola und Hot Dogs. Dann werden wir aus dem Terminal geführt.
Formosa ist gigantisch. Die Fahrt entlang der Fabrikmauern, die mit Stacheldraht gesichert sind, scheint nicht zu enden. Mehr als 30 Quadratkilometer gross ist das Fabrikgelände, beinahe so gross wie der Vatikan. Vierzehn Kamine ragen in den Himmel. In der Mitte steht ein gigantischer, mehrstöckiger Wohnblock. Am Meer, gleich neben dem Gelände, liegt ein kleines Dorf. Oder eher: liegen die Überreste eines Dorfs. Es sieht aus wie im Krieg: Von den meisten Häusern steht nur noch eine eingebrochene Wand oder gar nichts mehr. Nur die Kirche blieb unversehrt. Dort, am Dorfeingang, auf hohen Türmen, sind Kameras angebracht. Formosa überwache alles, sagen die wenigen Bewohner, die noch im Dorf ausharren. Formosa hat den Dorfbewohnern Entschädigung angeboten, damit sie das Dorf räumen, damit das Fabrikgelände erweitert werden kann. Doch einige wollen nicht weg. Eine Frau steht in den Ruinen. Sie sagt: „Hier haben meine Eltern und Grosseltern gewohnt, doch nun bin ich krank. Ich huste viel, fühle mich schwach und habe Mühe mit Atmen. Ich habe Medikamente genommen, aber sie helfen nicht. Auch meinem Mann geht es schlecht. Er war Taucher und stieg immer hier neben der Fabrik ins Wasser. Seit Monaten klagt er über Kopfschmerzen und hustet Blut. In Hanoi und Saigon haben sie ihn im Spital untersucht, aber woran er leidet und was die Krankheit ausgelöst hat, wollten sie uns nicht sagen.“
Der Mann in Zivilkleidung, der sagt, er sei von der Firma, die für unser Visum gebürgt habe, führt uns zu einem Auto. Auf dem Rücksitz liegt ein Papiersack. Darin ist eine grünen Uniform. Von wegen zivil….
Der Bischof sagt: „Die vietnamesische Regierung sagt immer: Wir repräsentieren das Volk und regieren für das Volk. Nach der Katastrophe aber hat die Regierung nicht mit dem Volk gesprochen, im Gegenteil, sie hat sich in den Dienst des Stahlwerks gestellt. Das Volk wurde komplett im Stich gelassen.“ Was bleibe seien viele unbeantwortete Fragen. „Bis jetzt hat uns die Regierung keine wissenschaftlichen Informationen gegeben. Wir kennen die genaue Ursache der Katastrophe nicht. Wir wissen nicht, wie es unserer Küste heute geht, ob die Fische wieder essbar sind und ob an der Küste wieder gearbeitet werden kann. Wir wissen nicht einmal, ob sich die Küste jemals wieder erholen wird. Wir leben in einem totalitären System – eine fürchterliche Situation.“
„We will help you to change your Ticket“, sagt einer der Männer. Im Internationalen Terminal führt er uns zum Ticketschalter der Vietnam Airlines. 165 USD Aufpreis sollen wir zahlen. „Es ist nicht nett, dass sie uns rausschmeissen. Dass wir noch dafür zahlen sollen, ist noch weniger nett“, sage ich. Der Beamte überlegt einen Moment und antwortet dann: „Ok, let’s make 50:50!“ – „Dann teilen wir aber auch die Kosten für das Hotel, das wir gebucht haben und den Reiseführer.“ Am Ende zahlen sie den Aufpreis.
Nach der Passkontrolle werden wir in einen fensterlosen Raum gesperrt. „Können wir noch shoppen?“, frage ich. „Warten Sie bis 15.00 Uhr. Dann kommen wir mit.“ Das sind 45 Minuten. Es bleiben uns danach 15 Minuten bis zum Boarding. Zeit, um die restlichen Dongs auszugeben. Der Überwacher kommt zwar nicht mit in den Shop, aber er wartet immer genau davor. „I love Roger Federer“, sagt er zum Abschied. Winken tut er nicht.
Am Montag, dem 29. Mai, zwei Tage nach unserer Ausweisung, nimmt Formosa Ha Tinh Steel die Stahlproduktion offiziell wieder auf. Bereits am Tag darauf explodiert ein Kalkofen. Wieder erheben die Anwohner unter der Führung der katholischen Priester ihre Stimme. Nach einem Gottesdienst werden viele Gläubige von Polizisten und Schlägern angegriffen. Unbekannte brechen in Häuser ein, zertrümmern und zerstören, was sie können.