Wir stehen in einem gottverlassenen Dorf in einem Flutgebiet in Pakistan. Um uns die Verwüstung: verschlammte Reisfelder, eine zerfallene Schule und Frauen, die mit rissigen Händen ihr Hab und Gut zum Trocknen an die Sonne tragen. Die alte Parveen zerrt mich vor einen verschlammten Brunnen: „Wo sollen wir jetzt unser Trinkwasser holen?“ Parveen stürzt ihre Lippen, verflucht die Regierung. Kein Regierungsvertreter hat sich bislang blicken lassen. Die ersten, die in Booten ankamen, waren die Männer von Jamat-u-Dawa. Die Organisation gilt in Pakistan als Wohltätigkeitsorganisation. In den USA steht sie und ihr Chef Hafeez Saeed jedoch auf der Terrorliste – wegen ihrer Verbindung zur Terrororganisation Lashkar-e-Taiba. Saeed nutze die Naturkatastrophe für seine Propaganda und machte Indien für die Flut in Pakistan verantwortlich.
Auch im Dorf der Bäuerin Parveen fährt an diesem Morgen ein Lastwagen mit einem Team von 60 bärtigen Männern vor. Sie arbeiten für eine andere, kaum bekannte islamische Hilfsorganisation. Deren krausbärtiger Chef wird von einem ganzen Medienteam begleitet. In Windeseile haben seine Helfer ein Banner mit dem Namen der Organisation und religiösen Slogans an zwei Hauspfeilern aufgehängt. Wir schauen dem Treiben wortlos und etwas verdutzt zu. Der Chef beginnt die Namen der hilfsbedürftigen Dorfbewohner aufzurufen. Viele Aufrufe verhallen, da die Männer längst als Taglöhner in die Stadt gezogen sind. Die Frauen aber tragen Säcke mit Kleidern, sowie Nahrungsmittel und Wasserflaschen davon. Eine Kamera hält den guten Akt fest. Dann schubsen die Helfer die Frauen weg, packen die Kameras ein und brausen in ihrem Lastwagen davon.
Kein Trinkwasser für die einen, bedeutet politisches Kapital für die anderen.
Rendez-vous 25.9.2014