Laos ist eines der ärmsten Länder in Südostasien. Doch die laotische Regierung hat grosse Ambitionen. Sie will Laos zur Batterie Asiens machen. Ein chinesischer Hochgeschwindigkeitszug soll das arme Land zudem mit Tempo in die Zukunft katapultieren. Doch all das kommt zu einem hohen Preis für die Bevölkerung.
Entlang der Ufer des beschaulichen Städtchens Luang Prabang steuert Fischer Pön sein kleines Boot über den schlammig braun verfärbten Mekong. Der Fluss ist die Lebensader von rund 60 Millionen Menschen in Südostasien. Letzten Sommer war er auf einen historischen Tiefstand gesunken – denn der Monsunregen hatte ungewöhnlich spät eingesetzt und das Klimaphänomen El Niño hatte zu hohen Temperaturen in vielen südostasiatischen Ländern und damit zu Trockenheit und Wasserknappheit in der Mekong-Region geführt. Doch das sind nicht die einzigen Gründe für den tiefen Wasserstand. Unberechenbar sei der Fluss geworden, sagt Fischer Pön: «Der Wasserstand verändert sich oft schnell. Schuld daran sind die Dämme! Erst kürzlich wurden alle unsere Gemüsegärten am Ufer überflutet, weil sie die Schleusen geöffnet hatten. Und früher habe ich hier zehn Kilo Fisch pro Tag gefangen, jetzt muss ich froh sein, wenn ich ein oder zwei Kilo im Netz finde.»
Batterie Asiens
Von China bis nach Vietnam entstehen Dämme und Wasserkraftwerke am Mekong und seinen Nebenflüssen. Die kommunistische Regierung von Laos hat sich dabei vor rund zehn Jahren ein Ziel gesetzt: Laos soll die Batterie Asiens werden. Das südostasiatische Land hat keinen Meereszugang und gehört zu den ärmsten der Region. Doch seit Jahren holt das autokratische Regime des Landes ausländische Investoren nach Laos, um Dämme und Flusskraftwerke zu bauen. Mehr als 150 Staudämme und Flusskraftwerke sind geplant, Dutzende wurden bereits gebaut.
Das Xayaburi-Flusskraftwerk, ein 1285-Megawatt-Projekt am Unterlauf des Mekong, wurde letzten Oktober fertiggestellt. Die finnisch-schweizerische Ingenieurs-Firma Pöyry hatte die Bauarbeiten überwacht. Seit Baubeginn ist das Flusskraftwerk umstritten, genauso wie viele andere Projekte am Mekong und seinen Nebenflüssen.
Bei vielen Projekten würden Sicherheits- und Umweltstandards entweder nicht eingehalten oder ungenügend überprüft, warnen Umweltaktivisten schon lange. So kritisiert Witoon Permpongsacharoen, Direktor des Mekong Energy and Ecology Networks, einer Organisation, die den Energiesektor in Asien kritisch beobachtet: «Der Fluss gibt den Menschen Fische und führt nährstoffreiche Sedimente, die wichtig sind für die Landwirtschaft. Das Xayaburi-Kraftwerk und die anderen Kraftwerke, die am unteren Flusslauf geplant sind, werden die Fischwanderung blockieren, die Sedimente zurückhalten und den Flussverlauf verändern.» Die Betreiber von Xayaburi jedoch kontern, ihre Fischleitern würden die Migration von Fischen ermöglichen, und Sedimente könnten ungehindert durchfliessen.
Doch es gibt nicht nur ökologische Bedenken. Die Frage ist auch, wieviel wird die laotische Bevölkerung von den Kraftwerken wirklich profitieren? So sollen beinahe 100 Prozent des Stroms von Xayaburi in Zukunft nach Thailand fliessen. Bauherr, Betreiber und Investoren des über 4 Milliarden Dollar teuren Kraftwerks kommen ebenfalls aus dem Nachbarland. Laos wird dafür in den kommenden dreissig Jahren mehr als 3.5 Milliarden Franken an Konzessionsgeldern einstreichen. Laut dem Korruptionsindex von Transparency International gilt Laos jedoch als hochkorrupt. Wie viel des Geldes zur Bevölkerung durchsickern wird, ist fraglich.
Laos’ verkaufte Frauen
Viele Chinesen suchten in den letzten Jahren in Laos oft nicht nur Einkommen und Arbeit, sondern auch eine Frau. Mithilfe von Mittelsmännern besuchen sie Dörfer, wo arme Eltern ihre Töchter für bis zu 5000 Franken verkaufen. Niemand weiss, wie viele laotische Frauen in den vergangenen Jahren nach China verkauft wurden, doch das Problem sei gross und werde immer grösser, sagt Jürgen Thomas, der Direktor der NGO Alliance Anti Trafic, die gegen Menschenhandel kämpft: «Sind die Frauen einmal in China, nehmen ihnen ihre Männer die Pässe weg, werden sie oft geschlagen, müssen bis zu 18 Stunden im Familienbetrieb arbeiten und Kinder kriegen. Wird eine Frau nicht schwanger, wird sie weiterverkauft, andere werden für alle anderen Männer in der Familie als Sexsklavinnen gehalten.» Die laotische Regierung ist sich des wachsenden Problems bewusst, hat ihre Grenzkontrollen verschärft, ihre Aufklärungskampagnen ausgeweitet und jenen hohe Strafen angedroht, die ihre Töchter verkaufen.
Ein Unfall mit Folgen?
Die Dämme und Flusskraftwerke in Laos werden mit Hochdruck vorangetrieben. Das birgt nicht nur ökologische Risiken. Im Juli 2018 brach ein Hilfsdamm in der südöstlichen Provinz Attapeu. Schätzungsweise fünf Milliarden Tonnen Wasser, so viel wie ein Zehntel des Bodensees, fluteten mehrere Dörfer. Dutzende Personen starben, Hunderte wurden danach vermisst, Tausende mussten fliehen. Der Damm und das dazugehörende Flusskraftwerk standen kurz vor der Inbetriebnahme und wurden mit südkoreanischen, thailändischen und laotischen Investitionen gebaut. Mit einem Schlag wurde deutlich, wie ungenügend die Überwachung und Kontrolle dieser Megaprojekte, die oft in abgelegenen, ländlichen Gebieten gebaut werden, ist.
Die laotische Regierung versprach den Fall zu untersuchen und kündigte an, alle Dämme, die zurzeit im Bau seien, auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Neue Projekte würden bis auf Weiteres nicht bewilligt. Der Dammbruch warf ganz grundsätzlich ein Schlaglicht auf die umstrittene Energiepolitik in Laos. Er sei ein Weckruf für die Regierung, sagte damals Micah Ingalls, der in Laos für das Zentrum für nachhaltige Entwicklung und Umwelt der Universität Bern forscht: «Der Dammbruch zeigt die sozialen Risiken und jene für die Umwelt. Die Regierung hat in den letzten Jahren alles unternommen, um die Batterie Südostasiens zu werden, und sie diskreditierte alle Umweltorganisationen, die vor Risiken warnten, als irrational und reaktionär. Das geht nach dieser Katastrophe nicht mehr.» Die laotische Regierung scheint jedoch nicht vorsichtiger zu werden mit ausländischen Investoren, sondern im Gegenteil – sie empfängt sie mit offenen Armen.
Mit Hochgeschwindigkeit in die Zukunft
Ausserhalb der laotischen Hauptstadt Vientiane erklimmen ein paar Wasserbüffel des Bauern Volong die Böschung eines neu angelegten Bahntrassees. Doch zuoberst, wo einst die Geleise hinkommen werden, gibt’s nur Kies und Schotter. Die Büffel drehen um und staksen langsam wieder zum Reisfeld hinunter. Die Strecke für den Hochgeschwindigkeitszug, die seit drei Jahren im Bau ist, ist Teil von Chinas Belt-and-Road-Initiative, der neuen chinesischen Seidenstrasse. Der Zug soll in Zukunft von der chinesischen Stadt Kunming bis nach Singapur führen. 400 Kilometer lang wird die Strecke, die fast zur Hälfte durch Berge führt und deshalb den Bau von mehr als 70 Tunnels bedingt. Voraussichtliche Baudauer: fünf Jahre.
Gegen den Zug an und für sich hat Bauer Volong nichts einzuwenden. Und das obwohl er ein Drittel seiner zwei Hektaren Land an die Baustelle abtreten musste und die Bahnlinie mitten durch seine Felder führt. «Die kommunistische Regierung habe gesagt, die Bahnlinie sei wichtig, um Laos zu modernisieren. Das verstehe ich», sagt Volong. Doch für sein verlorenes Land wurde er auch drei Jahre nach Baubeginn noch nicht entschädigt. In einem Land, in dem jede Kritik an der Regierung und jede Forderung gefährlich werden kann, übt sich Bauer Volong deshalb in Geduld.
Tief in Chinas Schuld
Mit dem Bahnprojekt hat sich Laos schwer verschuldet – zu schwer, kritisiert Ian Baird, Laos-Spezialist und Professor an der Universität Wisconsin-Madison. Er glaubt, dass nicht Laos, sondern China, das so seine Handelsroute nach Singapur ausbaut, am meisten vom Hochgeschwindigkeitszug profitieren wird. So belaufen sich die Kosten für die Bahnstrecke auf schätzungsweise 6 Milliarden Franken, was knapp der Hälfte des Bruttoinlandsprodukts von Laos entspricht. China übernimmt 70 Prozent der Kosten, Laos den Rest. Ein Teil davon finanziert das arme Land aus dem Staatshaushalt. Den grössten Teil leiht sich die Regierung zu hohen Zinsen von China aus.
Bereits jetzt verdienen vor allem chinesische Bauunternehmen, die mit ihren Arbeitern und Maschinen nach Laos gekommen sind, vom Grossprojekt. Falls die laotische Regierung den chinesischen Kredit nicht zurückzahlen könne, habe das gravierende Folgen, glaubt Professor Baird: «Dann würde Laos seine Schulden wahrscheinlich mit Bodenschätzen begleichen müssen. Die Regierung würde China Lizenzen für Bergbau, Plantagen oder Wasserkraftwerke geben. China benutzt also seine wirtschaftliche Macht, um wohl auch politischen Einfluss in Laos zu gewinnen.»
Auf der Baustelle ausserhalb von Vientiane, ist Bauer Volong auf das Bahntrassee gestiegen. Die Schotterpiste führt bis an den Horizont. Volong zeigt in die Ferne und sagt: «Irgendwann will ich auch mit diesem schnellen Zug reisen. In eine andere Provinz oder vielleicht bis nach China.» Viele laotische Bauern reisten bereits heute aus dem Land – nicht mit dem Schnellzug, sondern per Bus, sagt ein Vertreter der Provinzregierung in Luang Prabang. Diese Bauern hätten das Vertrauen in ihre Regierung längst verloren. Ihnen bleibe nur noch ein Ausweg: «Sie verlassen das Land und suchen in Thailand Arbeit auf dem Bau. Manche Dörfer in Laos sind bereits leer, oder es leben nur noch Kinder dort und Alte.»
Karin Wenger ist SRF-Südostasien- Korrespondentin und lebt in Bangkok
Laos in Kürze
Name
Demokratische Volksrepublik Laos
Staatsform
Volksrepublik
Fläche
236 800 km2
Bevölkerung
7,2 Millionen
Hauptstadt
Vientiane
Ethnien
Landesweit gibt es 49 Ethnien, die grössten davon sind Laoten (53,2 %), Khmu (11 %), Hmong (9,2 %) und Phouthay (3,4 %)
Sprachen
Amtssprache ist Lao (Laotisch), eine mit dem Thailändischen eng verwandte Sprache. Zudem gibt es Minderheitensprachen wie Khmu, Hmong, Kambodschanisch (Khmer) und das tibetobirmanische Lolo.
Religion
Buddhisten (64,7 %)
Christen (1,7 %)
Konfessionslos (31,4 %)
Andere (2,2 %)