Journalistische Erfahrungen in Israel und den besetzten Gebieten
Wer als Journalist aus den Konfliktzonen in Palästina berichten will, bewegt sich ständig auf heiklem Gelände. Was dies konkret bedeutet, schildert im Folgenden unsere Mitarbeiterin Karin Wenger.
«Brauchen Sie noch eine Idee für eine Geschichte? Wir organisieren Ihnen gerne eine Tour durch die Bunker in Nahariya», schlug eine freundliche Dame des staatlichen israelischen Pressebüros (GPO) am Telefon vor, als ich mich zu Beginn der jüngsten Libanon-Krise im Norden von Israel aufhielt. Gemeinsam mit einem deutschen Kollegen fuhr ich nach Nahariya, der nördlichsten Stadt Israels, und dann entlang der libanesischen Grenze, um über die Folgen der Hizbullah-Raketen zu berichten.
Perfekte israelische Medienarbeit
Auf unserer Reise waren wir zweifach überrascht: Erstens waren wir nicht mit dem Raketenhagel konfrontiert, den wir aufgrund von Medienberichten erwarteten, und zweitens wurden wir täglich mit Telefonanrufen, E-Mails und Angeboten für Geschichten und Pressekonferenzen des GPO überhäuft. Israel verfügte über ein Pressebüro, das hinsichtlich Professionalität beinahe nicht zu schlagen ist und genau weiss, was Radio-, Fernseh- und Pressejournalisten brauchen. Entsprechend war das Angebot. Wie wäre es mit einer Geschichte über die Leute, die ihre Häuser verlassen mussten, oder über die Probleme mit den arabischen Israeli? So lauteten zwei von elf Themenvorschlägen, die das GPO in einer E-Mail an die ausländischen Journalisten versandte.
An Pressekonferenzen mit Militärs oder mit den Eltern der entführten Soldaten verteilten die Staatsvertreter Mappen, die alle Informationen enthielten, die ein Journalist brauchte, um einen Medienbeitrag zu gestalten. In den Mappen steckten Landkarten, die Uno-Resolution 1559 mit der Aufforderung zur Entwaffnung des Hizbullah, Angaben zu den Raketentypen, die auf Israel abgefeuert wurden, ein historischer Abriss zu den Städten, auf die sie fielen, und eine Liste mit Namen von Opfern, Experten, Spitalpersonal und Mitarbeitern der Behörden, die in Englisch, Russisch, Spanisch oder Französisch Auskunft geben konnten.
Lehnstuhl-Korrespondenzen möglich
Die Journalisten mussten ihr Hotelzimmer kein einziges Mal verlassen und konnten trotzdem eine Geschichte über den Norden schreiben, als ob sie sich an Ort und Stelle befunden hätten. Manche taten das auch. Im einzigen noch offenen Hotel in Nahariya trafen wir nach den ersten Kriegstagen nur noch israelische Journalisten, die teilweise für internationale Medien arbeiteten. Der Rollenkonflikt zwischen unabhängigem Berichterstatter und loyalem Staatsbürger ist für sie besonders schwierig. Ein israelischer Journalist sagte: «Wenn das so weitergeht, werde ich bald selbst einrücken.»
Ausländische Journalisten wurden von ihren Redaktionen aus Kostengründen oft nur für ein paar Tage nach Israel geschickt und standen entsprechend unter grossem Zeitdruck. Einige waren verzweifelt, weil sie mit einer Realität konfrontiert waren, die nicht mit den Vorstellungen ihrer Redaktion übereinstimmte. Ein deutscher Fernsehjournalist, der eben aus Kongo angereist war, hatte den Auftrag, eine emotionale Kriegsreportage über Raketen, Tote und Verletzte zu filmen. Die Hizbullah-Raketen fielen zwar, die Menschen fürchteten sich auch, viele lebten in Bunkern oder hatten die Städte verlassen, einige wurden getötet. Doch während der israelische Ministerpräsident Olmert die internationalen Medien anklagte, dass «die massive, brutale und mörderische Bösartigkeit des Hizbullah leider nicht in ihrer vollen Intensität auf den Fernsehbildschirmen ausserhalb von Israel zu sehen ist», zeigte ein Blick auf die Statistik, dass der Krieg vor allem in Libanon geführt wurde und nicht in Israel stattfand. So wurden beispielsweise in einer Woche 1000 Hizbullah-Raketen nach Israel geschossen, die 15 Zivilisten töteten. Die israelische Armee schoss in derselben Zeit 10 500 bis 17 500 Granaten nach Südlibanon, «eliminierte» nach Angaben eines Brigadegenerals 1500 Ziele und tötete über 300 Personen.
Organisierte Touren
Für Journalisten, die trotz dieser Realität an der Vorstellung einer Nation unter Dauerbeschuss festhielten und mindestens Bilder von Panzern und Raketen brauchten, hatte das GPO vorgesorgt. Regelmässig wurden Ausflüge zu Militärflugplätzen oder den Artilleriestellungen an der Frontlinie organisiert. Solche Ausflüge fanden meist gegen Abend statt, so dass die Fotografen und die Kamerateams junge Soldaten filmen konnten, die im Abendrot Raketen in ihre Panzer schoben und diese mit Knall und Rauch Richtung Libanon feuerten. Es waren diese beinahe idyllischen Bilder, die in den Medien während Wochen kursierten.
Die Zerstörung, die die Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe anrichteten, war nicht nur in Libanon sichtbar, sondern auch im Gazastreifen. Dort war die Militäroffensive, die nach der Entführung eines israelischen Soldaten Ende Juni begonnen hatte, in vollem Gang. Obwohl die ausländischen Journalisten verzweifelt Kriegsbilder suchten, reisten wenige in den Gazastreifen. Als Gründe nannten sie Desinteresse der Redaktion, die Gefährlichkeit des Gebiets oder fehlende Kontakte und Zeitmangel.
Wenige Journalisten im Gazastreifen
Auch in friedlicheren Zeiten haben nur die grossen Nachrichtenagenturen sowie die BBC Korrespondenten im Gazastreifen stationiert. Die meisten ausländischen Korrespondenten leben in Tel Aviv oder in Jerusalem und reisen für einen oder zwei Tage nach Gaza, wo sie sich von einem sogenannten Fixer, meist einem Palästinenser aus dem Gazastreifen, der die Kontakte vermittelt, durch den Streifen führen lassen. Andere reisen überhaupt nicht hin, sondern decken ihren Informationsbedarf durch Telefoninterviews oder schreiben ihre Artikel aus Zeitungen und Agenturnachrichten zusammen.
Gaza ist mühsam. Als ich Anfang August einreisen wollte, wurde ich sechs Stunden am Checkpoint festgehalten. Dann sagte ein Vertreter der israelischen Armee, dass der Checkpoint geschlossen sei. Ein paar Minuten später hiess es, dass ich doch einreisen könne. Einreisen können ausländische Journalisten nur mit einer israelischen Pressekarte. Diese Karte wird vom israelischen Pressebüro vergeben und kann verweigert werden. Das Pressebüro hat so eine Möglichkeit, missliebige Journalisten an der Einreise in den Gazastreifen zu hindern. So wollte das Pressebüro meine temporäre Pressekarte nicht mehr erneuern, nachdem ich zwei Monate aus dem Gazastreifen berichtet hatte. Ich hätte die Karte schon zu oft beansprucht, hiess es zur Begründung. Genaue Kriterien für die Vergabe von temporären Pressekarten gibt es aber nicht.
Aufwendige Suche nach Informationen
Im Gazastreifen gibt es keine freundlichen Pressedamen, und wer für einen Tag einen Fixer anstellt, zahlt zwischen 100 und 200 Dollar. Wer länger im Gazastreifen arbeitet, muss deshalb einen anderen Weg der Informationsbeschaffung finden. Auf der einsamen Suche nach Informationen versucht man Kontakt aufzunehmen zu internationalen Organisationen, Ministerien, Spitälern, Experten, kritischen Bürgern und Vertretern einflussreicher Familien. Oft sind die Aussagen widersprüchlich.
Die internationalen Organisationen erweisen sich meist als leicht zugängliche und oft zuverlässige Quellen, die jedoch für einen Artikel nicht genügen. Die intellektuelle Elite, jene Leute, die nicht nur gegen die Besatzung schimpfen, sondern auch gegenüber ihrer eigenen Regierung kritisch sind, besteht aus einer Handvoll Personen. Wer zudem mehr als die gängigen Aussagen oder politischen Analysen hören will und sich über heiklere innerpalästinensische Themen wie Ehrenmorde oder Kollaborateure erkundigt, der braucht das Vertrauen der Interviewpartner und somit viel Zeit. Seit der Besetzung rekrutierte Israel Tausende von palästinensischen Kollaborateuren, was zu einem Klima des allgemeinen Misstrauens führte. Jeder könnte ein Spion sein, auch die Journalisten.
Die Informationsbeschaffung in Ministerien und staatlichen Büros gleicht einem Gang durch einen Dschungel ohne Wegweiser. Nicht einmal die Palästinenser wissen, wo sie Ansprechpersonen finden, um Anliegen vorzubringen oder einen Pass zu erneuern. Anzurufen bringt oft nichts, weil niemand antwortet oder niemand zuständig ist, um eine Frage zu beantworten. Da ein grosser Teil der staatlichen Angestellten gemäss Familien- und Parteizugehörigkeit angestellt wurden, sind Worthülsen, falsche oder inkompetente Aussagen häufig. Die jetzigen Minister und politischen Vertreter, die aus den Reihen der Hamas kommen, sind zwar weniger korrupt, sie sind jedoch zum grössten Teil nicht mehr auffindbar, weil sie entweder in israelischen Gefängnissen sitzen oder aus Angst vor israelischen Angriffen abgetaucht sind.
Übertreibungen
Propaganda und Lügen von allen Seiten gehören in den besetzten Gebieten zum journalistischen Alltag. Auf der palästinensischen Seite neigt man generell zur Übertreibung. Zudem wird Israel für alles verantwortlich gemacht, auch wenn die Schuld in manchen Fällen bei den Palästinensern selbst liegt. Nach einer Explosion im Jabalia-Flüchtlingslager, bei der mehrere Leute verletzt oder getötet wurden, wurde mir beispielsweise gesagt, dass der Lastwagen von einer israelischen Rakete beschossen worden und deshalb explodiert sei. Erst nachdem ich mit verschiedenen Augenzeugen gesprochen hatte und den Bericht eines unabhängigen Menschenrechtszentrums gelesen hatte, wurde klar, dass die Explosion durch unsachgemässe Handhabung von Sprengstoff erfolgt war. Im Gazastreifen werden beinahe täglich bei Schiessereien oder weil Männer bei Beerdigungen und Hochzeiten in die Luft schiessen, Zivilisten getötet oder verletzt. Wer nach Gaza reist, braucht allerdings keine PR-Vertreter oder Artikelvorschläge, um über die Kriegsfolgen zu berichten. Die vielen Zerstörungen sprechen für sich.