Gespräch mit Mitgliedern der Al-Aksa-Brigade
Die Altstadt von Nablus gilt als ein Zentrum der palästinensischen Al-Aksa-Brigade. Scharmützel mit der israelischen Armee gehören zum Alltag. Von Waffenabgabe wollen die Militanten in Nablus deshalb nichts wissen. Eine Integration in die Sicherheitsdienste der palästinensischen Autonomiebehörde können sie sich jedoch vorstellen.
Schüsse sind in der Altstadt von Nablus so alltäglich wie das Krähen eines Gockels in einem Bauerndorf. Auch an diesem Abend wird geschossen. Ein Halbwüchsiger führt seinen Kollegen, die am Eingang der Altstadt Wache schieben, sein neues Gewehr vor. Die Torwächter, die bei Einbruch der Dunkelheit aus ihren Verstecken kommen, sind nicht älter als zwanzig Jahre, meist sind sie knapp volljährig. Ihr grosser Stolz sind ihre M16 oder Kalaschnikows. Die M16-Gewehre seien entweder gestohlen, von getöteten Soldaten entwendet worden oder von diesen für rund 250 Franken gekauft, sagen die Burschen, die darauf warten, über Telefon von der Ankunft der Soldaten zu hören.
Die Gesuchten in Nablus
Die Altstadt von Nablus, die noch von den Römern gebaut wurde, ist ein grosses Labyrinth von Häusern, Gassen und Schlupfwinkeln. Einige der alten Steinhäuser sind Sprengungen der israelischen Armee zum Opfer gefallen und bestehen heute nur noch aus Felsbrocken und kaputtem Hausrat. Noch heute werden Häuser gesprengt, und beinahe jede Nacht kommen israelische Soldaten, um «gesuchte Männer», besonders aktive Mitglieder des militanten Widerstandes, aufzuspüren. Die Gesuchten kehren in der Nacht in die Gassen zurück, in denen tagsüber Schafsbeine an Fleischerhaken neben Ständen mit Wollsocken, Barbiepuppen, Gewürzen und Gemüse hängen. Tagsüber verstecken sie sich in den Häusern oder den alten römischen Tunnels.
In einer Nebengasse der Altstadt, nach einem Steintunnel, einer Treppe und hinter einer Tür befindet sich ein Wohnzimmer, und hinter diesem Wohnzimmer, verborgen im Gemäuer, in das keine Sonne fällt, öffnet sich ein weiterer Raum, auf dem vier Männer auf beigen Sofas sitzen und arabischen Kaffee trinken. Fadi Kafishi ist 28 Jahre alt, in eine schwarze Lederjacke gehüllt. Er trägt ein Gilet, in das er Handgranaten, kleine Bomben und Patronen gesteckt hat. Mit einer Hand, an der die Spitze des Daumens fehlt, fischt er eine Zigarette aus einer Schachtel und zündet sie mit derselben Hand an. Die zweite Hand hat er beim vierten Anschlag auf sein Leben verloren.
Früher war Fadi Maler in Israel, heute ist er einer der führenden Köpfe der Al-Aksa-Brigade in Nablus und deshalb einer der von Israel am meisten gesuchten Männer. Neben Fadi sitzt ein Mann, der nicht minder gesucht ist, mit verschlossenem Blick, die Mütze lose auf dem Kopf, er nennt sich al-Kathafi. Auch er war vor der Intifada Maler in Israel und gehört heute mit seinen 30 Jahren zu den Senioren unter den Kämpfern, von denen viele entweder getötet wurden oder im Gefängnis sitzen.
Widerstand oder Kopflosigkeit?
Es gibt Stimmen in Nablus, die die Widerstandskämpfer als eine Bande kopfloser, krimineller Jungs kritisieren. Die klugen Köpfe seien entweder im Gefängnis oder tot, sagen die Kritiker des militanten Widerstandes. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass die verbleibenden Al-Aksa-Mitglieder das politische Leben beeinflussen und deshalb nicht einfach übergangen werden können.
Fadi spricht gerne davon, wie er und seine Kollegen die israelischen Soldaten in die Flucht jagen. Er leugnet auch nicht, dass er für den Tod von so manchem verantwortlich ist. Dabei kämpfen die palästinensischen Männer, die von Nablus und den umliegenden Dörfern kommen, mit israelischer Munition, die sie einsammeln, sobald die israelischen Soldaten die Stadt verlassen haben. Er sei nicht gegen Frieden, sagt Fadi. Seine Waffe werde er jedoch nie abgeben, aber vielleicht werde er sie in einigen Jahren als Erinnerung an vergangene Zeiten an die Wand hängen.
Auch wenn die israelische Armee immer noch zu den Dauergästen in Nablus gehört und von Abzug nichts zu spüren ist, gab es in den vergangenen Wochen weniger Scharmützel. «Wir halten uns still, solange uns auch die Israeli in Ruhe lassen. Wird wieder ein Palästinenser erschossen, dann werden auch wir wieder beginnen», sagt Fadi, der auch zu jenen Leuten gehört, welche die Selbstmordattentäter auf die tödliche Mission vorbereiten. Gegen das Vorhaben von Abu Mazen (Mahmud Abbas), die Al-Aksa-Kämpfer in den staatlichen Apparat einzugliedern, haben die Männer nichts einzuwenden. Fadi stellt jedoch Bedingungen: «Wenn wir in die Polizei oder die Armee der palästinensischen Autonomiebehörde eintreten, dann wollen wir, dass unser Status als gesuchte Männer aufgehoben wird. Wir wollen, dass uns die Autonomiebehörde schützt.»
Mahmud Abbas gewählt
Fadi und al-Kathafi sind beide verheiratet und haben Kinder. Al-Kathafi zieht eine Foto seiner einjährigen Tochter aus der Hosentasche, sie trägt einen Miniatur-Kampfanzug. Der bewaffnete Widerstand ist denn auch das, was das Leben der Männer bestimmt. Fadis Schulkarriere war nach der zehnten Klasse beendet, als er zum ersten Mal verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde. Heute schläft er nie zu Hause, aus Angst vor den Soldaten, nie am selben Ort, aus Angst, von Kollaborateuren verraten zu werden. Wenn er alleine sei, dann denke er darüber nach, wie er sich verhalten würde, wenn im nächsten Moment die Soldaten kämen, oder er studiere, wie die selbstgemachten Bomben verbessert werden könnten. Al-Kathafi der die meiste Zeit schweigt, sagt: «Gott hilft uns.» Fadi sagt: «Wir haben Abu Mazen gewählt, vielleicht wird er etwas ändern.» Aber die Männer wollen keine halben Lösungen, sie wollen, dass alle Gefangenen entlassen werden, und sie wollen einen palästinensischen Staat, der nicht aus blossen Bruchstücken besteht.
Trotz Kampfparolen und Heldengeschichten bleiben die Männer in einer Sache realistisch: Eine endgültige Lösung liege in weiter Ferne, glauben sie. Solange sich nichts Grundsätzliches ändere, blieben sie deshalb dem militanten Widerstand treu. Er sei ein normaler Mann, er sei kein Terrorist, sagt Fadi und fügt an: «Ich verteidige die palästinensischen Rechte und habe auch Spass.» Dann denkt er nach und sagt: «Am meisten freuen wir uns, wenn die Soldaten in die Altstadt kommen, einen von uns verhaften wollen und dann unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Das ist Spass.» Dann setzen sich die vier Männer nebeneinander auf das Sofa, halten ihre Gewehre hoch und bitten um eine Foto.