Noch immer sitzen Hunderte von Palästinensern am Tor zum Gazastreifen in Ägypten fest
Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist seit der Machtübernahme der Hamas geschlossen und wurde bisher nur in wenigen Ausnahmefällen geöffnet. Auf der ägyptischen Seite sitzen weiterhin Hunderte von Palästinensern fest.
Der 3. und der 4. Dezember waren für ein paar hundert Palästinenser aus dem Gazastreifen grosse Tage. Die Grenze nach Ägypten wurde geöffnet, damit Pilger den Hajj, die Wallfahrt nach Mekka, antreten konnten. Dem Aufbruch der Pilger war ein ungewöhnliches Prozedere vorangegangen. Laut Salah ar-Rikib, dem stellvertretenden Minister für religiöse Angelegenheiten in Gaza, hatte die Hamas-Regierung die 2200 Pässe der Pilger aus dem Gazastreifen durch die Schmugglerstollen unter dem Grenzzaun hindurch nach Ägypten geschmuggelt und dort vom saudiarabischen Konsulat mit Visa versehen lassen. Nachdem die Pässe auf demselben Weg wieder zu ihren Besitzern gelangt waren, reisten diese ganz legal in Bussen aus.
Belagerung der Hamas-Regierung
Rund eine Woche nach der Durchfahrt der Pilger ist der Grenzübergang von Rafah geschlossen und bis auf ein paar ägyptische Wächter menschenleer. Seit dem Aufbruch der Pilger ist niemand aus dem Gazastreifen ausgereist, und bereits seit Anfang August ist niemand mehr in ihn eingereist. Damals waren in wenigen Tagen 6000 Palästinenser, die nach der Schliessung der Grenze wegen der Machtübernahme der Hamas im Juni an der Grenze aufgelaufen waren, über Israel in den Gazastreifen gebracht worden. Jene Palästinenser, die sich damals noch im Ausland oder anderswo in Ägypten befanden und später am Grenzübergang eintrafen, konnten von der Grenzöffnung nicht profitieren. Auch die Palästinenser, die von Israel gesucht werden, weil sie Hamas-Mitglieder sind oder im bewaffneten Widerstand aktiv waren, reisten im August nicht nach Gaza zurück, weil sie damit rechnen mussten, statt zu Hause in einem israelischen Gefängnis zu landen.
Heute befinden sich nach Schätzungen der ägyptischen Regierung rund 1000 Palästinenser in Rafah und al-Arish, nach Angabe von Gestrandeten selbst sind es sogar über 2000 Personen. Sie und viele andere in Kairo warten darauf, dass Gazas einziges Tor zur Welt, das nicht von den israelischen Besetzern kontrolliert wird, aufgeht. Eine Öffnung ist jedoch nicht in Sicht, solange die Hamas den Gazastreifen kontrolliert und Ägypten, Israel, Amerika und die Fatah-Regierung in Ramallah mit der Isolierung des Gazastreifens die ungeliebten Islamisten strafen wollen.
Die Mehrheit der Gestrandeten, etwa siebenhundert, kommen von einer Reise ins Ausland zurück, wo sie Verwandte besuchten, studierten, arbeiteten oder medizinische Hilfe suchten. Der 65-jährige Mohammed Nahala zum Beispiel hatte mit seiner Frau die Tochter in Saudiarabien besucht. Er beklagt sich über Knieprobleme, seine Frau über Rückenschmerzen, da das Geld jedoch aufgebraucht sei, könnten sie sich keine medizinische Hilfe leisten. Er wünscht sich nur eines: «Endlich zu meiner Familie in die Hölle von Gaza zurückkehren.»
Gereizte Stimmung
Viele der gestrandeten Palästinenser haben sich in einem «Chalet», wie Ferienwohnungen an der Ostküste des Mittelmeers genannt werden, eingemietet. In einem solchen sitzen neun Palästinenser dicht zusammengedrängt in einem Zimmer. Sie hätten von der palästinensischen Botschaft in Ägypten einmal Geld in der Höhe von 20 Franken und einen Karton mit Nahrungsmitteln erhalten, berichten sie. Nun helfe ihnen nur noch der ägyptische Ärzteverband, der sie alle zwei Wochen mit einem Hühnchen, zwei Kilo Reis und einem Kilo Pasta, Zucker und Öl versorge.
Die Stimmung unter den Männern ist nach dem monatelangen Warten gereizt, man schimpft über die israelische, die amerikanische und nicht zuletzt die eigene Regierung. Denn im Unterschied zu ihnen werden die Mitglieder der Fatah-Sicherheitsdienste, die nach den Zusammenstössen mit der Hamas aus dem Gazastreifen geflüchtet waren, von der palästinensischen Botschaft versorgt oder haben das Grenzgebiet verlassen. Über die Haltung der ägyptischen Behörden will niemand sprechen. Der Vermieter der «Chalets» wundert sich nicht darüber. Die ägyptische Polizei habe 12 Palästinenser, die sich in der Nähe des Grenzübergangs aufgehalten hätten, festgenommen, und auch im Flugplatz von al-Arish würden seit über einem Monat rund 20 Personen festgehalten. Jeder, der sich über das Ausbleiben von Hilfe und die Schliessung der Grenze beschwere, müsse damit rechnen, verhaftet zu werden. Die Wächter am Flugplatz bestätigen auf Nachfrage, dass im Gebäude Palästinenser festgehalten werden – nach ihren Angaben sind es 13 -, wollen jedoch niemanden zu ihnen lassen.
Warten auf die Rückkehr der Pilger
Der ägyptische Chaletbesitzer hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: Die Hauptschuld an der Grenzschliessung treffe die ägyptische Regierung. Wenn der Übergang für die Ausreise von 2000 Pilgern geöffnet werden könne, dann sei es technisch auch kein Problem, denselben Übergang für Reisende in den Gazastreifen zu öffnen. Es handle sich um ein rein politisches Problem, und Ägyptens Regierung beuge sich mit der Grenzschliessung dem amerikanischen Willen, die Hamas im Gazastreifen unter Druck zu setzen. Die lokalen Behörden spielen das Problem der gestrandeten Palästinenser herunter. Mohammed al-Kiki, General und Bürgermeister von al-Arish, behauptet, weniger als 1000 Palästinenser hielten sich in den Chalets oder bei Familienangehörigen in der Region auf, Probleme gebe es keine. Wenn die Mekka-Pilger zurück nach Gaza kehren wollen, könnte Kiki aber seine Meinung ändern. Denn es steht nirgends geschrieben, dass man ihnen die Grenze für die Heimreise öffnen wird.