Israelische Verbote treiben Palästinas Fischer in den Ruin
Die Fischer des Gazastreifens dürfen nur vier Kilometer weit aufs Meer hinaus, andernfalls werden sie von der israelischen Marine angegriffen oder festgehalten. Die Verbote haben viele Fischer zur Aufgabe ihres Berufs gezwungen und verhindern, dass im Gazastreifen eine Fischereiindustrie aufgebaut wird.
Hunderte von Fischerbooten liegen nachts vor der Küste Gazas, Boot an Boot, ein einziges Lichtermeer. Im Morgengrauen kehren die Fischer mit ihrer Beute zurück; Sardinen, Makrelen, Crevetten und Krabben werden in den Netzen an den Pier gezerrt. Dann gehen die Männer schlafen. Am frühen Nachmittag lösen sie die Krabben aus den Netzen. Khalid Abu Sakika, ein weisshaariger Mann mit Stoppelbart, flickt sein Netz. Eine Arbeit, die er Tag für Tag macht, wie er sagt. Gefangen hat er in dieser Nacht nur wenig, ein paar Kilo Sardinen, das reiche nicht einmal für seine Familie. Er hofft, dass es im nächsten Monat besser wird, wenn sich das Wasser nahe dem Strand wieder ein wenig abkühlt und die Fische ins seichtere Gewässer kommen.
Abgewürgtes Potenzial
Früher, sagt Abu Sakika, vor der Besetzung und vor der Intifada, habe er regelmässig fette Beute an Land gezogen, aber mit all den israelischen Verboten werde er wohl bald ganz mit der Fischerei aufhören. «Es lohnt sich einfach nicht mehr.» Den Fischern gehen so wenig Fische ins Netz, weil ihnen Israel verbietet, aufs offene Meer hinauszufahren. Im Rahmen der Osloer Verträge wurde zwar vereinbart, dass die Fischer bis 25 Kilometer von der Küste ihre Netze auswerfen dürfen, doch die Israeli beschränken diese Zone heute auf 4 Kilometer. Zudem müssen die Fischer zur israelischen Grenze 2 Kilometer Abstand halten. Im Süden des Gazastreifens hielt bis jetzt der Siedlungsblock Katif 7 Kilometer des Strandes besetzt, was bedeutete, dass die rund 2500 Fischer nur noch auf einer Küstenlinie von 30 Kilometern fischen können.
«Im Mittelmeer kommen die Fische zum Laichen an den Strand. Da die Fischer nicht auf die offene See hinauskönnen, fangen sie die Jungfische und zerstören damit immer mehr die eigene Lebensgrundlage. Zudem fischen die meisten mit zu kleinmaschigen Netzen, um einen minimalen Fang zu erhalten», erklärt Seamus Dunne. Er arbeitet für die International Management Group (IMG), die für die EU grosse Infrastrukturprogramme in den palästinensischen Gebieten erarbeitet. In diesem Rahmen hat er in den vergangenen Monaten eine sozioökonomische Studie zur Fischerei in Gaza durchgeführt. Im Jahr vor der Intifada zogen die Fischer 3650 Tonnen Fisch an Land, im ersten Jahr der Intifada (2000) nur noch 2600 Tonnen. Der tägliche Fang aller Fischer ist heute 4,5 Tonnen leichter als vor der Intifada.
Dunne erklärt, dass der Gazastreifen das Potenzial hätte, Standort einer blühenden Fischereiindustrie zu werden. «Doch heute fahren Hunderte von Fischern nicht mehr aus, weil sie nicht einmal mehr genügend Fische für ihre Familie fangen. Sie sind jetzt abhängig von internationaler Nahrungsmittelhilfe.» Ein durchschnittlicher Fischer verdient laut Dunne noch sechzig Franken pro Fang. Von diesem Geld muss er jedoch noch die Arbeiter und die Wartung des Bootes bezahlen, so dass am Schluss beinahe nichts mehr für ihn übrig bleibt. Dass dies mit dem israelischen Abzug anders wird, ist nicht wahrscheinlich. Die Israeli haben angekündigt, dass sie die Küstengewässer vor dem Gazastreifen weiter überwachen werden, und haben nicht erkennen lassen, dass sie den Palästinensern eine weitere Fischereizone zugestehen wollen.
Fischmarkt offshore
Nach den Vorschriften der Palästinensischen Autonomiebehörde dürfen die Fischer ihren Fang nur an einen lizenzierten Käufer verkaufen. Der Einkäufer hat das Monopol auf den Kauf aller Frischfische, die in Gaza gefangen werden. Die Lizenz kostet den Agenten, der zu einer alteingesessenen Fischerfamilie von Gaza gehört, jährlich 300 000 Dollar. Dabei ist der Agent der Einzige, der am Fischfang verdient: Er erwirbt die Fische mit einer Kommission von fünf Prozent des Fangwertes und verkauft sie drei Prozent teurer an die Kunden.
Doch viele Fischer wollen keine Kommission bezahlen und verkaufen deshalb ihren Fang noch auf dem Meer weiter. Im letzten Jahr haben nach Angabe von Dunne rund 800 Tonnen Fisch ihren Besitzer bereits auf dem Meer gewechselt, jede Tonne für 3000 bis 4000 Dollar. Die Abnehmer kommen aus Israel und können, da sie zur gleichen Nationalität wie die Besetzer gehören, ungehindert die Gewässer vor Gaza befahren, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Die israelischen Käufer erhalten den Fisch zu einem niedrigeren Preis als von israelischen Fischern, bezahlen den Palästinensern aber mehr, als diese in Gaza erhalten würden. Das Geschäft lohnt sich für die israelischen Händler wie für die palästinensischen Verkäufer, drei Fischerfamilien aus Gaza, die 17 grosse Fischerboote besitzen.
Nach Israel entführt
Die Mehrzahl der Fischer aus Gaza gehört jedoch gleich mehrfach zu den Verlierern: Ihr Fang wird zu einem grossen Teil von den grossen Booten abgefischt, sie erhalten vom Monopolisten weniger Geld, und sie zerstören durch den Fang der Jungfische ihre eigene Lebensgrundlage. «Täglich werden wir von der israelischen Marine beschossen. Viele von uns wurden auch schon verhaftet, nach Ashdod gebracht und erst nach Tagen wieder freigelassen», erzählt der Fischer Majid Abu Leil. Dunne bestätigt, dass Beschiessungen von Booten oder Festnahmen von Fischern oft völlig willkürlich erfolgen. Rami Abu Jahud, ein kleiner Mann mit einer Trillerpfeife um den Hals, erzählt, was ihm passiert ist: «Im Mai fischte ich mit zehn Kollegen nahe der israelischen Grenze. Dort hat es etwas mehr Fisch, weil sich viele fürchten, dorthin zu fahren. Die israelische Marine kam und schoss auf uns. Sie befahlen mir, ins Meer zu springen und zu ihnen zu schwimmen. Dann wurde ich nach Ashdod gebracht. Dort fragten sie mich, wieso ich so nahe an der Grenze gewesen sei.» Von Ashdod wurde Abu Leil ins israelische Gefängnis in Erez transferiert und nach drei Tagen freigelassen.
«Wir hängen von Allah ab», steht auf dem Bug eines Bootes, das auf dem Sand liegt. Abu Leil sagt: «Ich habe 20 Jahre lang gefischt. Ich frage mich, was ich vom Meer erhalten habe. Ich lebe in einer gemieteten Wohnung, habe nicht einmal ein Haus. Das Einzige, was mir bleibt, ist Gottvertrauen.»