Irakische Intellektuelle und Kulturschaffende flüchten – und fühlen sich auch im Exil nicht sicher
Immer mehr Schriftsteller, Filmemacher und Gelehrte verlassen die einstige Kulturstadt Bagdad. Jene, die in der irakischen Hauptstadt ausharren, versuchen sich mit der Angst zu arrangieren.
Das Rauda-Café, der Treffpunkt der irakischen Exil-Intellektuellen in Damaskus, ist kalkweiss mit grellem Neonlicht und folkloristischen Beduinenteppichen an den Wänden. Dichtgedrängt sitzen irakische Schriftsteller, Fotografen, Dichter, Professoren und Filmemacher, spielen Tawla und schmauchen Wasserpfeife. Sie sprechen über ihre neusten Projekte, über die Kulturstadt Bagdad, wie sie einst blühte, und selten auch über das Bagdad von heute, eine von Terror und Hoffnungslosigkeit zerfressene Stadt.
Ali Bader, ein Schriftsteller aus Bagdad, erinnert sich gut daran, wie sich das Leben nach dem Krieg um Kuwait 1991 aus der Stadt verabschiedet hatte. «Saddam Hussein schloss die Nachtklubs, tötete die Prostituierten, und wer konnte, verliess bereits damals das sinkende Schiff.» Acht Jahre später ging Bader ins Exil. Nun ist er für einige Tage in Damaskus, um an der Gründungsveranstaltung des irakischen PEN-Klubs teilzunehmen. 15 Exil-Schriftsteller und 25 aus dem Irak sind extra für diesen Anlass nach Damaskus geflogen. «Anstatt uns darüber zu unterhalten, was wir zur Verbesserung der Situation im Irak beitragen könnten, stritten wir, ob wir dem irakischen Vizepräsidenten danken sollen, weil er unsere Flugtickets bezahlt hat, oder nicht. Und dann diskutierten wir über den grossen arabischen PEN-Klub und dessen zukünftigen Einfluss auf die irakische Politik», kritisiert Bader, der glaubt, dass sich im Geist der irakischen Schriftsteller trotz den radikalen politischen Veränderungen im Irak wenig gewandelt habe.
Seine Kritik erstaunt nicht, schaffte doch der heute 39-jährige Schriftsteller seinen Durchbruch im Jahr 2001 mit dem Roman «Papa Sartre», einer Satire über die irakischen Intellektuellen im Bann des Existenzialismus. «Um im Irak zu überleben, musste man sich immer in andere Welten flüchten», sagt Bader, der darauf hinweist, dass alle Schriftsteller, die unter Saddam Hussein im Irak geblieben seien, dem Diktator als Werkzeug und Auftragsschreiber gedient hätten. Nach dem Fall Saddams hätten viele dieser Schriftsteller lautlos die Seite gewechselt und stellten sich heute als Opfer des Diktators dar. Für Bader verläuft die Spaltung der irakischen Schriftsteller dementsprechend nicht entlang religiöser Linien, sondern sei da spürbar, wo Exilschriftsteller und jene, die weiterhin im Irak lebten, zusammenträfen – wie zum Beispiel an der ersten Zusammenkunft des nationalen PEN-Klubs.
Filmen in Bagdad
Während Bader aus sicherer Distanz auf die irakische Kulturszene von heute blickt, lebt der 27-jährige Filmemacher Haider Helol weiterhin in Bagdads Strassen. Seit Terroristen ihre Anschläge mit Kameras filmten, sei seine Arbeit beinahe unmöglich geworden, erzählt Helol in Damaskus. «Wenn ich jetzt mit einer Kamera auf die Strasse gehe, dann werde ich entweder von der Regierung oder den Amerikanern festgenommen, weil sie mich für einen Terroristen halten. Oder die Terroristen töten mich, weil sie glauben, ich sei ein Journalist.» Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass Helol seinen letzten Dokumentarfilm nicht in den Strassen, sondern in leeren und umfunktionierten Kinosälen drehte, um das Kultursterben von Bagdad festzuhalten. «Heute gibt es keine Kinos mehr. Eines wurde von den Islamisten besetzt, eines zu einem Konferenzsaal umfunktioniert und eines zu einem Schuhladen.» Kultur sei heute, da die meisten Kulturschaffenden das Land verlassen hätten, ein Fremdwort in Bagdad. Einzig das Café Huwar biete den Verbleibenden noch eine Insel der Begegnung und des kulturellen Austausches. Aber auch dort spreche man immer zuerst über die letzten Anschläge, die Entführungen, die Angst und dann über das Kino und die Filme, die es nicht mehr gebe.
Dem Filmregisseur Mahdi Taleb dagegen bietet dieses Bagdad der Unsicherheit und Anarchie einen unerschöpflichen Fundus an Filmsujets. «Wenn ich jetzt mit meiner Handkamera durch die Strassen meiner Stadt gehe, dann fühle ich mich als Fremder. Meine Freunde sind weg, nur die Besatzer und die Angst sind geblieben. Vielleicht sterbe ich morgen, denke ich, aber es macht mir nichts mehr aus. Das ist der Fatalismus, ohne den ich heute nicht mehr in Bagdad filmen könnte», sagt Mahdi.
Im Zustand des Zerfalls, in dem sich der Irak befinde, müsse die Kultur dazu dienen, die Iraker zu einen, glaubt Mahdi. Deshalb drehten sich seine Filme nicht um den inneren Zerfall des Landes, sondern um den äusseren Feind, die Amerikaner. Eine Meinung, die der Theaterautor und Schauspieler Muhad Hadi nicht teilt. Den Boden für Einheit und Versöhnung könne nur schaffen, wer über die Abgründe zwischen den Bevölkerungsgruppen spreche, die jetzt in blindem Sektierertum und skrupelloser Kriminalität sichtbar würden. Den Schriftsteller Bader erstaunt diese Entwicklung nicht. Schliesslich habe Saddam Hussein jegliche sozialen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und damit mögliche Auffangnetze im Zustand des politischen Vakuums zerstört. Die Hoffnung, dass die Amerikaner wirtschaftliche Prosperität und Sicherheit bringen könnten, sei in der Bevölkerung erloschen, und das habe den Weg für Anarchie und Kriminalität geebnet.
Iranischer Einfluss
In diesem Zustand bleibe als einzige Möglichkeit der Zuflucht und Identitätsfindung die Religion, die Aufteilung in Schiiten und Sunniten. «Über dieses Sektierertum von Schiiten und Sunniten müssen wir schreiben und nicht nur über die amerikanische Besatzung. Nur so werden wir fähig sein, die zunehmende Spaltung zu bekämpfen», sagt Hadi, der seit einem halben Jahr in Damaskus lebt und Bagdad bereits aufgegeben hat.
Dass die Angst nicht an der Grenze haltmacht, sondern sich tief in die Menschen eingefressen hat, zeigt sich in den Universitäten in und um Damaskus. Dort lehren heute vermehrt irakische Professoren. In den Universitäten in Bagdad werde zwar noch gelehrt, aber nur zwei bis drei Tage die Woche, um die Studenten und Professoren nicht unnötig oft den Gefahren auf der Strasse und in den Universitäten auszusetzen, erzählt eine irakische Physikdozentin. Mehr über die Gefahren, die den Intellektuellen in Bagdad drohen, will sie nicht sagen; denn seit einem halben Jahr kursieren Gerüchte, dass die Intellektuellen auch im Exil nicht mehr sicher seien, sondern dass Auftragsmörder aus Bagdad losgeschickt würden. Hinter vorgehaltener Hand und manchmal auch ganz offen sprechen die Geflohenen über diese Attentäter: Manche seien Kriminelle, andere verfolgten eine klare politische Agenda. Es heisst, vor allem Iran mache zunehmend seinen Einfluss geltend und versuche die mehrheitlich sunnitischen Gelehrten zu verjagen und zu ermorden, um deren Plätze mit eigenen schiitischen Leuten zu besetzen.
Mustafa, ein 19-jähriger irakischer Pharmaziestudent, erzählt, wie er und seine Familie aus Bagdad vertrieben wurden. «Mein Vater war der Dekan der pharmazeutischen Fakultät an der Universität Bagdad. Eines Tages kam eine Gruppe Männer, die drohte, ihn zu ermorden, wenn er nicht sofort das Land verlasse. Wir wissen nicht, wer die Männer waren, aber sie sprachen mit iranischem Akzent.» Mustafas Familie harrte noch einen Monat in Bagdad aus, aber an Arbeiten und Studieren war nicht mehr zu denken; vor acht Monaten zog sie in eine kleine Wohnung in Damaskus um. Wehmütig blickt Mustafa auf sein Leben im grossen Familienhaus in Bagdad zurück, in dem Feste und Konzerte gang und gäbe waren. Regelmässig telefoniert er mit seinen ehemaligen Studienkollegen, die in Bagdad geblieben sind. «Vor zwei Wochen explodierte eine Bombe in der Universität. Meine Freunde sagten, das sei das Schlimmste gewesen, was sie je erlebt hätten. Aber sie haben kein Geld, um zu fliehen», sagt er und eilt dann in die nächste Vorlesung.