Die thailändische Insel Koh Phayam wurde illegal zur Tourismusdestination. Jetzt kommt niemand mehr, und die Bewohner sind froh. Das Paradies ist zurück.
«Ein Leben wie vor dreissig Jahren, so ist das jetzt hier», sagt Adisak Kawpong, der lieber bei seinem Spitznamen gerufen wird: Kob, Frosch, ein Name wie für die Insel geschaffen. Denn während der Tag auf Koh Phayam von den Rufen der Adler und Nashornvögel erfüllt ist, gehört die Nacht den Grillen und Fröschen. Ihr Zirpen und Quaken hängt zwischen den Gummi- und Cashewnussbäumen, und wer nicht aufpasst, fährt die glitschigen Körper platt, wenn sie plötzlich im Licht des Mopeds auftauchen.
Kob fährt selten nachts über die Insel. Der 53jährige ist ein Frühaufsteher. Zusammen mit seiner Frau führt er seit 18 Jahren die «Hornbill»-Hütten, zwanzig einfache Unterkünfte aus Holz, Bambus oder Beton. Zur Zeit ist allerdings nur eine von Kobs Hütten belegt, macht 21 Franken pro Nacht. Das Geld ist knapp, aber das stimmt Kob eher nostalgisch als dass es ihn ängstigt.
Vor vielen Jahren kam er Bauer und Krabbenfischer auf die Insel und legte eine Plantage an, etwas zurückversetzt vom Strand. Als ihm auffiel, dass die Touristen den Strand lieben und dafür Geld zahlen, baute er Bungalows. Jetzt habe ihn die Pandemie erneut zum Fischer und Gärtner gemacht, sagt er. «Und Gärtner sind nirgendwo auf der Welt reich. Deshalb essen wir jetzt wieder, was wir anpflanzen.» Es klingt nicht bitter. Kob spricht wie einer, der akzeptiert, dass auf die fetten Jahre magere folgen, und sich anpasst.
Anpassen heisst im Inseljargon: Leben von dem, was man hat: Von Früchten, Gemüse, Fischen und Krabben. Nebst den Kokosnuss- und Cashewnuss-Bäumen, deren Früchte auf Planen zum Trocknen ausgelegt sind, pflegt Kob in diesem Jahr auch Bohnenstauden, Auberginen, Limonen, Papaya und Bananen besonders fürsorglich. Anpassen heisst auch, alles zu vermeiden, was Geld kostet. Was von ausserhalb kommt, ist teuer, da es mit dem Schiff transportiert werden muss. Doch auch mit dem, was von der Insel verkauft wird, dem Kautschuk und den Cashewnüssen, können die Inselbewohner kaum Geld verdienen. Die Preise sind in den letzten Jahren ins Bodenlose gefallen. Tourismus war deshalb die einfachste Einkommensquelle auf Koh Phayam. Nun ist auch sie versiegt.
Die Pandemie hat Kob ärmer gemacht, aber das sei nicht schlimm, sagt er. «Der Mensch ist nur kurze Zeit auf dieser Welt. Wir müssen lernen, trotz der Pandemie glücklich zu sein.»
Alle Hotels sind illegal
Winzig klein und tropisch grün liegt Koh Phayam vor der Südküste Thailands im andamanischen Meer. Die Insel ist zehn Kilometer lang und fünf Kilometer breit und hat die Form eines Kängurus. Die Strassen kann man an einer Hand abzählen. Sie sind so breit, dass Mopeds gerade noch aneinander vorbei fahren können. Autos gibt es keine, nur ein paar Traktoren.
Auf Koh Phayam, ja, in ganz Thailand ist es ruhig geworden, seit die Regierung im März 2020 die Landesgrenzen schliessen liess, um das Virus auszusperren. Wochenlang verharrte das Land im Lockdown, in den es im Frühling 2021 mit Ankunft der dritten Corona-Welle wieder zurückkehrte: Die Bars mussten schliessen, Restaurants, Massagesalons, Hotels ebenfalls. Die Zahl der ausländischen Touristen brach von fast 40 Millionen im Jahr 2019 auf knapp 7 Millionen im vergangenen Jahr ein –, wer einreisen will, muss zuerst in Hotelquarantäne. Das ist teuer, und deshalb kommt kaum jemand, auch nicht nach Koh Phayam. Seit Juli müssen geimpfte Touristen, die direkt auf die Inseln Koh Samui oder Phuket reisen, nicht mehr in Quarantäne. Nach zwei Wochen Inselaufenthalt dürfen sie durchs ganze Land reisen. Sandbox nennt das die Regierung und versuchte damit den Tourismus wieder anzukurbeln. Doch der Erfolg bleibt aus. Denn alle Flüge, die von den Inseln nach Bangkok gehen, wurden gestrichen, seit die Ansteckungszahlen wieder täglich steigen und ein Grossteil des Landes im Lockdown ist. Eine Verbesserung ist nicht abzusehen. Impfstoff ist Mangelware. Und seit Anfang August auf Phuket eine 57-jährige Schweizer Touristin ermordet wurde, liegt ein Schatten auf dem Ferienparadies.
Auch Koh Phayam ist nun noch verlassener. Vor der Pandemie besuchten die Insel vor allem Backpacker und Langzeitreisenden aus dem Westen. Hierher kommt, wer seine Ruhe haben und wenig dafür zahlen will. Es gibt weder Fünf-Sterne-Hotel noch Full-Moon-Partys, dafür Hotels mit Namen wie «Lazy Hut», oder «Rasta Garden Bungalows», aber auch gehobenere Resorts.
In der Hochsaison schien Koh Phayam den Touristen zu gehören, die zu Tausenden auf die Insel kamen, auf der nur einige hundert Menschen leben. Die Bewohner investierten, was sie mit den Ausländern verdienten, in den Bau von immer neuen Anlagen. Doch ob Strandhütte oder Luxus-Bungalow, all diese Bauten haben etwas gemeinsam: Sie sind illegal.
Laut der Regierung ist Koh Phayam nämlich immer noch eine Landwirtschaftszone. Tourismus wurde zwar gefördert, eine offizielle Erlaubnis hat jedoch keines der Hotels. Das bedeutet, dass kein Hotelier auch nur einen Thai Baht Unterstützung der Regierung bekommen hat, seit die Pandemie begann, doch damit sind sie nicht alleine. Die wenigsten werden in diesen Zeiten von der Regierung unterstützt.
Sabai Sabai
Thai-Style nennt James Hudgell dieses Auseinanderklaffen von Vorschriften und Realität: «Regeln sind in Thailand das eine, was wirklich geschieht, ist das andere», sagt der 41jährige Brite. Oft erlassen unterschiedliche Departemente widersprüchliche Vorschriften, so dass man eigentlich immer eine Regel bricht. Da gebe es nur einen Weg, um als Geschäftsmann zu überleben: «Du musst langsam wachsen und so klein bleiben, dass sie dich in Ruhe lassen, weil du zu wenig wichtig bist.» Sabai, Sabai nennt man das in Thailand– alles mit der Ruhe.
«Sabai Sabai Beach Bungalows» heisst denn auch das Boutique Hotel, das der Brite mit seiner thailändisch-ägyptischen Frau auf der Ostseite der Insel betreibt. James hofft, dass die Regierung bald eine Umzonung vornimmt, so wie das in anderen Gebieten Thailands mit der Zeit geschehen ist. Dann würden die Hotels nicht nur geduldet, sondern könnten sich offiziell registrieren lassen. Doch im Moment sei das nicht wichtig. Die Pandemie habe alles zum Stillstand gebracht, und viele Bewohner seien aufs Festland geflohen.
James und seine Frau blieben. Während andere alles verloren, hatten sie Reserven, um auszuharren. Sogar geniessen könnten sie es, sagt James: «Die Pandemie hat uns Zeit geschenkt mit unserer kleinen Tochter.» Es sei ein bisschen wie in der Regenzeit: Wenig Gäste und dafür Zeit, Reparaturen durchzuführen.
James brach als 27-Jähriger auf, um die Welt zu entdecken. Als er auf Koh Phayam ankam, merkte er, dass die Strände, die für ihn das Paradies bedeuteten, für die Inselbewohner wertlos waren, weil man dort keine Plantagen anlegen konnte. Dementsprechend billig war die Miete für ein Stück Strand. James bezahlte 1000 Euro im Monat für 100 Meter Strand mit Häuschen, Grundwasserquelle und einem Generator.
Anfangs reiste James in der Regenzeit zurück nach England, um in der Baufirma seines Vaters oder als Fitness-Trainer Geld zu verdienen. Bald aber brachte sein Hotel genügend ein. Ein Jahr führte zum nächsten, und jedes Jahr fügte er einen neuen Bungalow hinzu. 19 waren es, als das Virus kam.)
Wer die Pandemie überstehen wolle, dürfe nicht wählerisch sein, sagt James. Auch nicht in Bezug auf die Gäste. Früher hatte er fast nur westliche Klientel, seit Corona kommen mehr Thailänder auf die Insel. Ihre Bedürfnisse seien anders. Der thailändische Gast möge es durchgeplant. Er bleibe meist nur wenige Tage, wolle vom Pier abgeholt werden und ein Zimmer mit Klimaanlage. «Ich freue mich auf die Zeit nach der Pandemie, wenn die Gäste wieder zwei, drei Wochen hier sind und sich wirklich entspannen.»
Die Insel ist ein Irrtum
Es waren Ausländer, die Koh Phayam zuerst besiedelten, und eigentlich war alles ein Irrtum. Laut einem Dokument des Kulturdepartements der Provinz Ranong spielte sich das so ab: 1915 besuchte erstmals eine Delegation der Provinzregierung die Insel, von der man glaubte, sie sei unbesiedelt. Doch als die Männer ankamen, merkten sie, dass die Insel bewohnt war. Engländer hatten sich auf Koh Phayam niedergelassen, da sie fälschlicherweise angenommen hatten, die Insel gehöre zu Burma und damit zum damaligen «British Empire». Nachdem der Irrtum geklärt war, zogen die Briten ab und die Thailänder zu, zuerst Muslime aus dem Süden, denen die Regierung Land verpachtete, auf dem sie Reisfelder und Gemüsegärten anlegten. Später folgten Bauern aus Ranong und Koh Samui, um Cashewnüsse und Kautschuk anzupflanzen, und die Insel zu beschützen. Wer genug Geld hatte, habe sich ein Gewehr gekauft, um Piraten abzuwehren, erzählen die einen, während andere entgegnen, das sei dummes Gerede, auf diese Insel habe nie ein Pirat seinen Fuss gesetzt. Nach den Bauern kamen Menschen aus aller Welt auf der Suche nach dem Paradies.
Endlich wieder eine Herausforderung
So war es auch bei Chiyoko Yamaguchi, die von allen nur «die Japanerin» genannt wird. Wer sie besuchen will, fährt erst durch eine Cashewnuss-Plantage, dann durch eine Kautschuk-Plantage. Wenn man schon denkt, hier lebe niemand, hört man das Kläffen der Hunde. Ein Pfiff, gefolgt von ein paar strengen Worten, dann kommt Chiyoko aus ihrem Restaurant «The Kitchen Table». Die 56jährige ist klein und dünn und sagt gleich die Speisekarte auf: «Hausgemachte Pizza und Pasta, Falafel, Chicken Quesadillas. Wir machen hier fast alles selbst.»
Chiyoko kam auf die Insel, als noch kein Lonely-Planet-Eintrag das Paradies versprach. Die Japanerin baute Anfang der 1990ern ein Ferienhaus, zu einer Zeit, als es hier keine geteerten Strassen, nur einen einzigen Generator, hundertfünfzig Inselbewohner und einen Elefanten gab. Je nachdem, wen man fragt, war dieser als Arbeitstier auf die Insel gebracht worden, um bei der Rodung des Dschungels zu helfen. Oder er war eines Tages aus dem Meer gestiegen, nachdem er vom Festland herüber geschwommen war.
Chiyoko, die damals als Schulleiterin und Geschäftsfrau in Osaka lebte, verliebte sich in die Abgeschiedenheit. Nach zwei Jahren adoptierte sie einen streunenden Hund. «Ich bin wegen dem Hund und der Herausforderung geblieben», sagt sie. «Ich liebe Herausforderungen.» Auf ihrem Grundstück gibt es erst seit kurzem durchgehend Strom und fliessend Wasser. Wer so lebe, müsse anderen helfen und sich helfen lassen. «Und wer kann das heute noch?»
Für Chiyoko ist die Pandemie einfach eine neue Herausforderung. Sie habe nun Zeit für andere Projekte, zum Beispiel um Kokosnüsse statt Kautschuk und Cashew-Nüsse anzupflanzen, das werde mehr Geld einbringen. «Wenn die Gegenwart schwierig ist, muss ich eben die Zukunft planen.» Und irgendwann würden die ausländischen Touristen wieder zurück kommen, sagt sie. «Niemand kann dem Charme der Insel widerstehen.»
Frei dank der Pandemie
Jimmys «Hippy Bar» am «Buffalo Beach» wirkt wie ein Piratenschiff, gewachsen über 17 Jahre. Inzwischen ist sie drei Stockwerke hoch, mit Ausgucken und Terrassen und einem Selfie-tauglichen Bug, zusammengezimmert aus Schwemmholz aus Indien, Sri Lanka, Thailand und Myanmar. Er ist verziert mit angespülten Schätzen: Bojen, Glasscherben, Muscheln und Perlmuttplättchen, die im Wind leise singen. «No Babies» steht in roten Buchstaben auf einer Holztafel. «Das ist eine Bar, hier haben Kleinkinder nichts zu suchen. Hier sollen die Leute ungestört trinken können», sagt Jimmy, der Gründer. Er verdient sein Geld mit hartem Zeug: Whiskey, Gin Tonic, Chang Bier und was sonst noch high macht.
Jimmy hält einen fast aufgerauchten Joint zwischen den Fingern und trägt nur ein buntes Batiktuch um die Hüfte. Auch seine Bar ist fast leer. Nur ein paar Mönche sind von der Nachbarinsel gekommen. Statt ihre Mitbrüder im Kloster zu besuchen, fotografieren sie jeden Winkel dieses verbotenen Reichs. Dann legen sie sich in Hängematten und dösen, eingehüllt in ihre Roben und die drückende Tropenhitze.
Jimmy, der etwa Mitte 40 ist, scheint das nicht zu stören. Ihn scheint überhaupt nie etwas zu stören, auch nicht, dass niemand mehr zum Trinken kommt. Seine zwölf Angestellte haben die Insel verlassen, als die Pandemie ausbrach, um auf dem Festland Arbeit zu suchen. Er habe gesagt: «Macht’s gut und kehrt zurück, wenn alles wieder in Ordnung ist!».
Früher schuftete er als Arbeiter in einer Autofabrik – ein Leben ohne Seele, ohne Gefühle, wie er sagt. Dann fand er in den Bars von Bangkok den Sinn: «Fun, Happiness, ein Leben ohne Überstunden.» Als er vor 17 Jahren auf die Insel kam, wollte er eigentlich nur ein einfaches Leben führen, ein Beachboy werden, frei sein. Stattdessen eröffnete er eine Bar, die immer grösser wurde.
Vielleicht ist es das, was Koh Phayam so besonders macht. Das Glück, das die Menschen auf der Insel suchten, hatte anfangs nie mit Geld zu tun. Jetzt sei er wieder an dem gleichen Punkt wie damals, sagt Jimmy: Frei. «Es ist, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, und ich beginne von vorn.» In der Pandemie hat er das Paradies wiedergefunden.
Publiziert in NZZ Folio September 2021
https://www.nzz.ch/folio/die-thailaendische-insel-koh-phayam-wurde-illegal-zur-tourismusdestination-jetzt-kommt-niemand-mehr-und-die-bewohner-sind-froh-darueber-ld.1642138
Foto von Alexander Kiermayer