Nur wenige Studenten dürfen den Streifen verlassen
Trotz dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas von Mitte Juni bleiben die Grenzen für Zivilisten aus dem Gazastreifen geschlossen. Hunderte von palästinensischen Studenten, die ausserhalb des Gazastreifens studieren wollen, können ihre Universitäten deshalb nicht erreichen.
Der 23-jährige Fida Abed und der 24-jährige Zuhair Abu Shaban gehören zu den klügsten jungen Köpfen des Gazastreifens. Als Klassenbeste in Computer- und Elektronik-Wissenschaften erhielten Fida und Zuhair vor einem Jahr ihren Bachelor an der Islamischen Universität in Gaza. Dieses Jahr erhielten sie mit fünf weiteren Studenten aus dem Gazastreifen das angesehene Fulbright-Stipendium, das vom amerikanischen Aussenministerium gesponsert wird. Obwohl die Studenten längst in ihren amerikanischen Universitäten sein sollten, sitzen sie noch immer im Gazastreifen fest.
Wirbel um Fulbright-Stipendiaten
Bereits im Mai waren die Studenten per E-Mail vom amerikanischen Konsulat informiert worden, dass ihre Stipendien annulliert wurden, weil Israel den Studenten die Ausreise aus dem Gazastreifen verweigere. Fida und Zuhair sowie weitere Studenten aus dem Gazastreifen wollten sich nicht mit Israels Entscheidung abfinden und begannen die Medientrommel zu schlagen. Dies erzeugte so viel Lärm, dass Staatssekretärin Rice persönlich intervenierte und Ende Mai zu bedenken gab: «Wenn wir die Träume und Erwartungen junger Menschen nicht mehr erfüllen können, dann glaube ich nicht, dass Palästina eine Zukunft hat.» Auch in der Knesset wurde Kritik geäussert. So sagte beispielsweise Rabbi Michael Melchior von der Meimad-Partei, Vorsitzender der parlamentarischen Kommission für Bildung, das Reiseverbot für Studenten könne als kollektive Bestrafung interpretiert werden. Es stimme weder mit den internationalen Standards noch mit den moralischen Vorstellungen der Juden überein, denen in der Vergangenheit Ausbildungsmöglichkeiten auch verweigert worden seien.
Trotz aller Kritik hielt das israelische Aussenministerium vorerst an seinem harten Kurs fest. Mit der Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas im Juni 2007 hat Israel den Streifen und seine Bewohner zur «feindliche Entität» deklariert. Seither dürfen nur noch Personen, die als humanitäre Notfälle gelten, den Gazastreifen verlassen. Höhere Ausbildung gelte nicht als humanitärer Notfall, liess das israelische Verteidigungsministerium im Mai verlauten. Die Intervention von Rice sowie der Aufschrei auf dem internationalen Parkett führten jedoch im Juni 2008 zu einer kleinen Kursänderung, welche die Gemüter beruhigen sollte. Die israelische Regierung liess verlauten, dass Studenten, die über ein Stipendium verfügten und in einem freundlich gesinnten Land studieren wollten und vom israelischen Sicherheitsdienst nicht als Risiko betrachtet würden, die Ausreise gewährt würde.
Studenten als Sicherheitsrisiko
Von dieser sogenannten «VIP-Regel» können aber nur wenige profitieren. «Es gibt Hunderte von Studenten im Gazastreifen, die an einer ausländischen Universität eingeschrieben sind, aber nicht über ein Stipendium verfügen. Die meisten Studenten aus dem Gazastreifen studieren in arabischen oder asiatischen Ländern, die nicht als freundlich gesinnt betrachtet werden. Zudem handelt es sich vor allem um junge Männer zwischen 16 und 35 Jahren, die von Israels Sicherheitsdiensten automatisch als Sicherheitsrisiko klassifiziert werden. Sie alle verlieren in den kommenden Wochen ihre Studienplätze», stellt Sari Bashi fest, Direktorin der israelischen Organisation Gisha, die sich für die Bewegungsfreiheit der Palästinenser einsetzt. Bashi sagt, das Ausreiseverbot habe bereits dazu geführt, dass viele Studenten sich gar nicht mehr in ausländischen Universitäten einschrieben oder Visa beantragten, aus Angst, das Geld für die Semester- und Visagebühren zu verlieren. Im Gazastreifen besteht jedoch nur ein sehr limitiertes Angebot für Masterstudiengänge und kein Doktorandenprogramm.
Fida und Zuhair erfüllten jedoch alle Kriterien, die Israel in seiner Ausnahmeregelung aufgestellt hatte. Sie verfügen über ein Stipendium, ihre Universitäten befinden sich in Amerika, und die israelischen Sicherheitsdienste haben ihnen ein einwandfreies Sicherheitsprofil attestiert. Am 28. Juli hielten Fida und Zuhair ihr amerikanisches Visum in den Händen, und bereits am Tag darauf reiste Fida über Israel nach Amman, von wo er nach Washington flog. Dort erwartete ihn ein Beamter, der Fida mitteilte, dass das amerikanische Aussenministerium sein Visum für ungültig erkläre. Fida wurde ohne weitere Erklärung zurück nach Gaza geschickt. Das Aussenministerium liess ihm per E-Mail mitteilen, neue Informationen hätten Zweifel an seinem Sicherheitsprofil aufkommen lassen. Gleichzeitig widerrief das amerikanische Konsulat fünf weitere Visa von Studenten aus Gaza.
«Ich wollte nach Amerika gehen, um von der amerikanischen Kultur zu lernen. Ich wollte zurück nach Gaza kommen, um meine Kultur mit dem neu gelernten Wissen zu bereichern. Jetzt aber fühle ich nur noch Wut und Unverständnis. Wenn Amerika und Israel wirklich Frieden und Sicherheit wollen, dann sollten sie den Kulturaustausch vorantreiben und nicht blockieren», klagt Fida und verweist auf die Website des amerikanischen Aussenministeriums, auf der das Fulbright-Stipendium als Flaggschiff des Regierungsprogramms für Austauschstudenten dargestellt wird. Mit ihm sollen amerikanische Werte vermittelt, Kooperationen zwischen den Kulturen gefördert und Probleme gemeinsam angegangen werden.
Zuhair sagt: «Viele Studenten fühlen sich entmutigt, wenn sie sehen, was mit uns passiert. Die Strategie, die Israel und Amerika verfolgen, ist weder logisch, noch hilft sie Gazas Zukunft.» Zuhair, dessen Masterstudiengang in Connecticut in einer Woche beginnt, hätte mit einer Spezialbewilligung über den Grenzübergang von Rafah ausreisen sollen. Israel hat ihm jedoch in letzter Minute und ohne Erklärung die Ausreise verweigert. Dies ärgert Zuhair besonders, weil Rafah regelmässig von Hamas-Vertretern und zahlungskräftigen Bewohnern Gazas als Grenzübergang benützt wird und dies Israel anscheinend nicht zu stören scheint.
Tausende wollen ausreisen
Israels Ausreiseverbot für die Bewohner des Gazastreifens ist rein politischer Natur, um den Druck auf die Hamas-Regierung zu erhöhen. Dass der Entscheid schnell geändert werden kann, zeigte sich etwa im August und September 2007, als 480 Studenten ausreisen durften. Die neue Regelung hat es jedoch nur ein paar Dutzend Studenten ermöglicht, ihre Studienorte zu erreichen. Sie hatten eine Empfehlung von der Europäischen Kommission oder der amerikanischen Botschaft und mussten über Jordanien ausreisen. Mit seiner Blockade der Grenzübergänge verwehrt Israel den Bewohnern des Gazastreifens die Bewegungsfreiheit. Laut dem Uno-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten warten 7000 Personen auf die Ausreise, unter ihnen 1500 Patienten, die medizinische Versorgung benötigen, und mindestens 700 Studenten.