Am 19. Juni ist eine Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel in Kraft getreten. Seither hat die Gewalt spürbar abgenommen, doch hat Israel die Wirtschaftsblockade nur wenig gelockert und die Reisebeschränkungen für Palästinenser weitgehend aufrechterhalten.
Der palästinensische Journalist Safwat Kahalout gehört zu jenen Privilegierten, die sich wöchentlich 20 Liter Benzin per Coupon an einer Tankstelle in Gaza kaufen können. Den Liter ersteht er so zu 6,5 Schekel, zirka 2 Franken. Den Rest kauft er sich für umgerechnet 6 Franken pro Liter auf dem Schwarzmarkt. Das sei billiger als vor der Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel, die am 19. Juni in Kraft getreten ist. Damals kostete der Liter umgerechnet 13 Franken, so dass viele, die ein Auto besitzen, auf den Antrieb per Kochgas umrüsteten. Kochgas ist jedoch auch heute noch Mangelware. Israel hat die Menge, die in den Gazastreifen importiert werden darf, um ein halbes Prozent erhöht, was 40 Prozent der benötigten Quantität entspricht. Auch die Strassen sind weiterhin wenig befahren. Coupons werden von den diversen Ministerien an Fischer, Bauern, Spitäler ausgehändigt oder an Frauen, die in Erwartung sind und bald ins Spital gebracht werden müssen.
Waffenruhe wird beachtet
In der Übereinkunft zur Waffenruhe haben sich die Hamas und die israelische Regierung darauf geeinigt, alle militärischen Aktionen einzustellen, und Israel versprach, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Einwohner und die Zufuhr von Gütern graduell zu lockern. Hamada al-Bayari, der lokale Vertreter des Uno-Büros für die Koordination der humanitären Angelegenheiten (OCHA), stellt in Bezug auf die militärischen Aktionen einen klaren Rückgang fest. Seit dem 19. Juni sei nur 1 Palästinenser, der sich nahe am Grenzzaun aufgehalten hatte, getötet worden. Im Mai waren noch 41 Palästinenser von der israelischen Armee getötet und 107 verletzt worden. Palästinensische Raketen seien nur noch vereinzelt abgefeuert worden und hätten weder Verletzte noch Tote gefordert. Im Juni, noch vor Beginn der Waffenruhe, war beim Einschlag einer palästinensischen Rakete 1 Israeli getötet worden, 14 wurden verletzt.
Weniger ermutigend sind jedoch die Verbesserungen betreffend den Güterimport und die Bewegungsfreiheit. Der Grenzübergang nach Ägypten bei Rafah ist seit dem 9. Juni 2007, bis auf ein paar Ausnahmen für Patienten, Pilger und offizielle Delegationen, geschlossen geblieben. Der Übergang nach Israel in Erez ist nur für Diplomaten, Journalisten, ausländische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und medizinische Notfälle offen. Von den 909 Patienten, die im Juni eine Bewilligung beantragt hatten, um im Westjordanland, in Israel, Ägypten oder Jordanien medizinisch versorgt zu werden, hat Israel nur der Hälfte eine positive Antwort erteilt.
Zu wenig Importe und keine Exporte
Aus Gaza dürfen weiterhin keine Waren exportiert werden, und Israel bestimmt, welche und wie viele Güter importiert werden dürfen. Israel hat angekündigt, dass die Importe im Durchschnitt um 30 Prozent erhöht worden seien, doch bezieht sich diese Zahl auf die Einfuhren kurz vor der Waffenruhe, als die Importmenge bereits weit unter dem benötigten Minimum lag. So entsprachen die Lastwagenladungen, die im Juni nach Gaza gelangen konnten, nicht einmal einem Fünftel der Menge, die vor der Machtübernahme der Hamas importiert werden konnte. Im Juni wurden 14,1 Millionen Liter Treibstoff in den Streifen importiert, was im Vergleich zum Mai einen Anstieg um knapp ein Viertel bedeutet. Laut OCHA entspricht dies jedoch weiterhin nur rund der Hälfte des benötigten Treibstoffs.
Die Folgen der Treibstoffknappheit sind unter anderem, dass alle drei Kläranlagen im Gazastreifen nur teilweise funktionsfähig sind und täglich 70 000 Kubikmeter Abwasser beinahe ungereinigt ins Meer leiten. In den Spitälern sind aufgrund der häufigen Stromausfälle weiterhin über fünfhundert Patienten in den Notfallstationen einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Ein Streifzug durch Gaza zeigt, dass auf dem Markt nach wie vor ein Mangel an Apparaten wie Kühlschränken und an Ersatzteilen für medizinische oder elektronische Geräte besteht. Nahrungsmittel und Kleider sind vorhanden, doch die limitierte Einfuhr treibt die Preise nach oben, was der verarmten Bevölkerung den Kauf oft verunmöglicht.
Unterirdischer Import
Abu Ahmed, der in Gaza einen Kleiderladen besitzt, erzählt, dass 70 Prozent der Mäntel und Blusen, die seine Schaufensterpuppen präsentieren, durch die Schmugglerstollen in Rafah kommen. Vor dem Waffenstillstandsabkommen, als die Grenzübergänge ein Jahr lang nur für humanitäre Güter geöffnet waren, habe er monatlich rund 30 Säcke durch die Tunnels schmuggeln lassen. Das sei teuer, habe ihn 250 Dollar pro Sack gekostet, zudem sei die ägyptische Ware von schlechter Qualität, und oft würden Stücke beschädigt. Seit dem Beginn der Waffenruhe kann Abu Ahmed 3 Lastwagenladungen Kleider und Stoffe pro Monat importieren. Es handle sich dabei um Ware, die seit einem Jahr im Hafen von Ashdod oder in Lagerhäusern in Israel gelegen sei. «Alle Geschäftsleute fürchten, dass die Grenzen morgen wieder geschlossen werden und die Ware im Hafen steckenbleibt», sagt Abu Ahmed. Weil er mindestens 10 Lastwagenladungen benötige, um seine Läden zu füllen und seine kleine Kleiderfabrik zu versorgen, werde er weiterhin Ware durch die Tunnels importieren.
Laut OCHA wurden im Juli rund 5000 Lastwagenladungen in den Gazastreifen eingelassen. Im November 2005, einen Monat vor dem Wahlsieg der Hamas, waren es noch 11 000 Ladungen. Von den 5000 Lastwagen importierten 2100 Sand-Kies-Mischung für den Häuserbau, 133 Lastwagen waren mit Zement und 1 Lastwagen mit Eisen beladen. «Das Problem ist, dass die Bauherren jetzt Sand-Kies-Mischung haben, aber Zement und Eisen sind immer noch Mangelware, so dass die Häuser weiterhin nicht gebaut werden können», beklagt Bayari die selektiven Importe, die er vor allem als israelische Strategie zur Besänftigung der internationalen Gemeinschaft versteht.