Erschwerter Zugang und militärische Schikanen gegen die palästinensischen Einwohner
Im Juni 2004 hat Israel aufgrund eines Urteils des Höchsten Gerichts den Plan fallen lassen müssen, das Jordantal mit einem Sperrzaun von Cisjordanien abzutrennen. Mit Strassensperren, administrativen Massnahmen und der Deportation von Einwohnern wird versucht, das Jordantal trotzdem enger an Israel anzubinden.
Reben, Dattelpalmen, Mais und israelische Siedlungen säumen die Strasse Nummer 90, die durch das fruchtbare Jordantal führt. Biblisch sieht die Landschaft aus mit ihren Schafen und Pferden, den beigen Hügeln, bedeckt von Stoppelgras und jetzt, im Frühling, gesprenkelt mit Blumen. Auf dem Weg Richtung Norden wird das Tal zur Linken von kargen Bergflanken eingegrenzt, hinter denen das Hochland Cisjordaniens liegt, und zur Rechten öffnet sich, durch Stacheldraht hindurch und über den Jordan hinweg, der Blick auf die breite jordanische Seite des Tals, bis zu den Bergen Transjordaniens hin.
«Das Jordantal bleibt israelisch»
Am Anfang der Intifada im Jahr 2000 hat Israel vier Kontrollposten errichtet, die alle Strassen, die ins Tal führen, überwachen. Wie die israelische Menschenrechtsorganisation Btselem in einem Bericht vom letzten Februar schreibt, werden seit 2005 keine Palästinenser mehr durchgelassen, deren Wohnort, wie er in der Identitätskarte notiert ist, nicht im Tal liegt. Viele Palästinenser, die ausserhalb wohnen, besitzen Land im Tal, sie können es aber weder erreichen noch nutzen. So wird die Bedingung geschaffen, dass das Land unter dem «Absentee Law» (Ortsabwesende-Gesetz) konfisziert wird. Dieses Gesetz besagt, dass Land, das in drei aufeinander folgenden Jahren nicht bebaut wird, von Israel beschlagnahmt werden kann.
Nach Angabe des Palästinensischen Komitees zur Verteidigung des Landes sind in den vergangenen Jahren Hunderte von Hektaren Land für Siedlungen und Militärbasen konfisziert worden. Die israelische Armee rechtfertigt das Eintrittsverbot für Palästinenser und die Beschlagnahmungen immer noch als Sicherheitsmassnahmen. Premierminister Ehud Olmert sagte allerdings kürzlich im Fernsehen, als er die Politik seiner Regierung umriss: «Das Jordantal wird in Zukunft unter israelischer Kontrolle bleiben.» Der palästinensische Politologe Hani al-Masri erklärt dazu: «Israel will nicht, dass wir einen Staat mit direktem Anschluss an Jordanien haben. Mit der Annexion des Jordantals, also 30 Prozent des gesamten Westjordanlandes, wird ein palästinensischer Staat verunmöglicht.»
Bienenkönig ohne Ausweis
Im Norden des Jordantales, in einem zu einer Veranda umfunktionierten Bretterverschlag, sitzt der 62-jährige Abu Maher, ein Mann mit weissem Bart in seinem fleckig-weissen Overall und mit einer Brille, so gross und rund wie überdimensionale Insektenaugen. Man nennt ihn im Tal auch den König der Bienen, seiner Millionen Bienen wegen, die sich an diesem Tag auf der Wiese vor der Hütte am Nektar satt saugen. Abu Maher kommt aus Tubas, dem nächsten grösseren Ort in den Hügeln westlich des Tals. Dort wohnen rund 14 000 Palästinenser, von denen 90 Prozent Bauern sind. Viele von ihnen besitzen Land im Jordantal.
Abu Maher zog seiner Bienen wegen, die das milde Winterklima im Jordantal und die vielen Blumen mögen, in die Hütte gleich neben seinem Cousin Abu Nidal. Weil er seit Ausbruch der Intifada immer wieder Mühe hatte, durch die Checkpoints ins Tal zu kommen, versuchte er fünf Jahre lang den Wohnort in seiner Identitätskarte von Tubas auf Bardala, ein Dorf im Jordantal, umschreiben zu lassen. Vor wenigen Wochen haben die israelische Zivilverwaltung und das palästinensische Innenministerium eingewilligt, und Abu Maher erhielt seine neue Identitätskarte. Einen Tag später nahmen ihm die Soldaten die Karte weg. Es gäbe ein Problem, sagten sie Abu Maher und reichten ihm statt seines Ausweises ein weisses Papier, auf dem auf Hebräisch stand, dass er seine Identitätskarte in den nächsten zwei Tagen in Jericho abholen müsse.
Unerwünschtes Gemüse
Abu Maher fuhr die vierzig Minuten nach Jericho, doch dort auf der Zivilverwaltung wusste niemand etwas von seinem Ausweis. Der Bienenkönig stieg auf einen Hügel neben seiner Hütte, unter dem die Gräber alter Könige liegen sollen, und bat Gott um Hilfe. Sein Ausweis, sagt Abu Maher, sei wie seine Frau, er könne ohne ihn nicht leben. Ohne Ausweis komme er durch keinen Checkpoint, und falls er von den Soldaten erwischt werde, dann werde er bestimmt nach Tubas deportiert. Deshalb fahre er auch nicht wieder nach Jericho, denn der weisse Abholschein ist bereits abgelaufen. Eine Deportation will er nicht riskieren. Wer würde dann die 300 Türen der Bienenstöcke öffnen, um seine Bienen jeden Morgen ausschwärmen zu lassen?
Im Oktober 2005 hat Israel eine militärische Verordnung erlassen, die den israelischen Händlern verbietet, ins Jordantal zu reisen, um das Gemüse und die Früchte der palästinensischen Bauern zu kaufen. Den palästinensischen Bauern wurde der Transport ihrer Ware über den nächsten Checkpoint in Taysir untersagt; die Ausfuhr war nur noch über einen 130 Kilometer entfernten Checkpoint möglich. Nach Angabe des palästinensischen Menschenrechtszentrums al-Haq haben die Bauern durch diese Regelung empfindliche Einbussen erlitten oder konnten ihre Ware überhaupt nicht mehr verkaufen.
Ein paar Kilometer nördlich von der Hütte des Bienenkönigs preist Jihad Darami nun seine Bohnen, Auberginen, Peperoni, Tomaten und Kohlköpfe in ordentlich angeordneten Kisten am Strassenrand zum Kauf an. An diesem Nachmittag liegt auf seinem Gesicht ein spitzbübisches Lächeln. Er sitzt auf einem zerschlissenen Autosessel neben seinen Kisten und zählt die 150 Schekel, rund 50 Franken, die ihm ein israelischer Siedler für mehrere Kilo Gemüse bezahlt hat. Dann kehrt die Nervosität wieder in seinen hageren Körper zurück. Vor drei Wochen haben ihm Soldaten seinen Stand aus Plasticplanen und Gemüsekisten kurz und klein geschlagen. Er fürchtet, dass der israelische Jeep jeden Moment wieder auftauchen kann.
Laut den Informationen, die die Menschenrechtsorganisation al-Haq gesammelt hat, hat die willkürliche Zerstörung von Gemüseständen durch Soldaten in den letzten Wochen zugenommen. Immer wieder seien Bewohner aufgefordert worden, das Tal zu verlassen. Auch Darami war bis im vergangenen Mai in Tubas registriert. Eines Abends klopften aber Soldaten an die Tür seiner Hütte am Strassenrand und sagten, nachdem sie seinen Ausweis kontrolliert hatten: «Es ist für dich verboten, hier im Jordantal zu sein.» Sein Einwand, dass er hier Land besitze, nützte nichts, er wurde in der gleichen Nacht nach Tubas ausgeschafft. Später stellte er einen Antrag auf Änderung des Wohnorts. Heute wird Darami nicht mehr deportiert. Aber er kann auch seine Familie in Tubas nicht mehr besuchen. Und in den letzten zehn Monaten, erzählt Darami, hätten ihn die Soldaten schon 15-mal festgenommen und ihm seinen Ausweis weggenommen.
Die «Freiheit» der Beduinen
Im Wadi al-Maleh, zehn Autominuten von Daramis Gemüsestand entfernt, bellt ein Schäferhund auf einer Hügelkuppe. Der Beduine Fathi Mustafa ist mit seinen 150 Schafen auf die Anhöhe gestiegen, immer dem neuen Gras nach. Eine Schotterstrasse führt zum Beduinenzelt, neben dem ein alter Traktor steht, dreissigjährig, aber noch gut genug, um die Wasser-Gallonen vom drei Kilometer entfernen Brunnen bis zum Zelt zu transportieren. Ein paar junge Schafe blöken in einer Umzäunung, und unter dem Zeltdach sitzt eine Frau auf einem Plasticstuhl, die sich als Umm Fathi, Fathis Mutter, vorstellt. Sie sagt: «In Tubas haben wir ein Haus, aber ich lebe lieber hier im Zelt. Es bedeutet Freiheit, Luft zum Atmen. Ich kann den Tieren und Pflanzen beim Wachsen zusehen.»
Seit 25 Jahren wohnt die Mutter von sieben Kindern mit ihrer Familie im Zelt im Wadi al-Maleh. Früher, vor dem Sechstagekrieg, hat sie mit ihrer Familie noch oft den Wohnort gewechselt. Mit ihren Schafen zogen sie im Sommer aus dem Tal, um im Winter wieder zurückzukehren. Heute bleiben sie im Wadi al-Maleh. Wenn sie das Tal verliessen, weiss Gott, ob sie wieder zurückkönnten, sagt die Mutter. Die Familie lebt von den Schafen, dem Käse und in Bescheidenheit. Vor zwei Wochen haben sie die letzte Kuh verkauft, denn Kühe seien nicht so pflegeleicht wie Schafe.
«Und wenn sie mich erwischen?»
Ein paar der Kinder sind nach Tubas gezogen, sind Lehrer oder Angestellte geworden. Früher, vor der Intifada, erzählt die Mutter, hätte es das Leben gut mit ihr und ihrer Familie gemeint. Sie seien nach Tubas gefahren, um einzukaufen oder zum Arzt zu gehen. Verwandte und Bekannte hätten sie regelmässig besucht. Mit der Intifada und der Errichtung der Checkpoints sei alles anders geworden. Die Identitätskarten der Eltern geben Bardala als Wohnort an, jene der Kinder Tubas. Will die Mutter ihre Kinder in der Stadt besuchen, muss sie 20 Kilometer auf Schleichwegen durch die Berge wandern, um die Checkpoints zu umgehen.
Das letzte Mal machte sie diesen Weg, als ihre Tochter geheiratet hat. Eine Woche später starb eine Verwandte in der Stadt, und Umm Fathi wäre gerne zur Beerdigung gegangen. Dann dachte sie: «Und wenn sie mich erwischen?» Sie liess es bleiben. «Vor drei Wochen kamen die Soldaten und haben das Zelt nach jungen Männern durchsucht. Sie haben unseren Söhnen die Augen verbunden, sie in die Jeeps getrieben und nach Tubas gebracht. Dann haben sie die Zelte zerstört», klagt die Mutter. Jede Woche kämen die Soldaten und versuchten, die Beduinen zu vertreiben, fort aus dem Jordantal. Sie sagten: «Wir haben den Befehl, euch wegzubringen.» Das Rote Kreuz, die Männer mit den weissen Jeeps, sei gekommen und hätte ihnen geraten: «Geht nicht weg. Wenn ihr weggeht, dann könnt ihr nicht wiederkommen.» Die Mutter schweigt, lässt ihren Blick über die Blumenwiese bis hinunter zur Strasse schweifen. «Ich kenne das Tal wie meinen Rocksaum», sagt sie und: «Jede Nacht die Angst! Aber weggehen, das werde ich nicht.» Da müssten die Männer mit ihren Gewehren schon kommen und sie mit Gewalt wegtragen.