Die Hamas und die Fatah bekämpfen einander mit den gleichen Methoden
Im Gazastreifen haben Sicherheitskräfte der Hamas seit ihrer Machtübernahme Dutzende von Fatah-Sicherheitsleuten festgenommen und misshandelt. Im Westjordanland leiden die Hamas-Anhänger unter dem gleichen Vor-gehen der Fatah-Sicherheitsdienste.
Wo die Gewehrkugeln die Haut durchbohrt haben, sind Abu Aleishs Beine mit weisser Gaze umwickelt. Über seinen Handrücken wölbt sich ein Buckel. Darunter liegt eine von zwölf Kugeln, die in seinem Körper zurückgeblieben sind. Als die Kassam-Brigaden am 14. Juni das Majdal-Verhörzentrum des palästinensischen Geheimdienstes im Norden des Gazastreifens in ihre Gewalt brachten, fassten sie auch Abu Aleish mit harter Hand an. Nachdem er Zeuge geworden war, wie sein Kommandant umgebracht wurde, floh er zwar, doch die Kassam-Kämpfer holten ihn aus dem Elternhaus.
In der Moschee misshandelt
Abu Aleish wurde in eine Moschee gebracht. «Bereits auf dem Weg zur Moschee schossen sie mich mehrere Male in die Beine. In der Moschee banden sie mir ein Tuch um Augen und Kopf und schlugen mich mit den Fäusten und einem Kabel», erinnert sich Abu Aleish. Nach stundenlangen Misshandlungen wurde er auf einer Strasse liegengelassen. Dass der 23-Jährige noch am Leben ist, hat er einer anderen Patrouille der Kassam-Brigaden zu verdanken, die den Verletzten, im Glauben, es handle sich um einen Hamas-Mann, aufgelesen und ins Spital gebracht hatte. Dort wurde er medizinisch versorgt, die Wunden wurden mit vierzig Stichen vernäht, und schliesslich wurde er nach Hause gebracht.
«Wir haben die Männer der Sicherheitsdienste mit Lautsprechern aufgefordert, aufzugeben und nach Hause zu gehen. Jene, die nicht wollten, haben wir umgebracht oder ihnen in die Beine geschossen. Es war ganz einfach: Entweder du bringst sie um, oder sie bringen dich um», kommentiert ein Kommandant der Kassam-Brigaden im Jabalya-Flüchtlingslager das Vorgehen. Bei den gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Angehörigen der Fatah-Sicherheitsdienste und Hamas-Kämpfern Mitte Juni wurden 146 Personen getötet und 700 verletzt. Seit der Übernahme der Macht durch die Hamas wurden Dutzende von Personen, vor allem Mitglieder der Sicherheitsdienste, verhaftet, geschlagen, manchen wurde in die Kniescheiben geschossen.
Der 36-jährige Khaled, Mitarbeiter des Innenministeriums und Sohn eines Polizeioffiziers in Gaza, wurde in das Majdal-Verhörzentrum gebracht, nachdem die Kassam-Brigaden bei einer Hausdurchsuchung nichts gefunden hatten. Obwohl Khaled gute Kontakte zu Hamas-Politikern pflegte und diese auch anrief, wurde er nicht geschont. Die Kassam-Kämpfer sagten, sie schuldeten nur ihren Führern Gehorsam. «Sie brachten einen Bohrer und drohten mir, meine Kniescheiben zu durchbohren, wenn ich ihnen nicht erzählte, wo ich meine Waffen versteckt habe», sagt Khaled. Doch konnte Khaled nicht mehr sagen, als dass die Exekutivkräfte bereits alle Waffen und sein Auto geholt hatten. Schliesslich wurde er nach zwei Tagen entlassen. Anzeige erstatten könne man nirgends. Aus Angst vor den Kassam-Brigaden, die heute keiner mehr kontrolliere, sei niemand mehr bereit zu reden.
Folter im Verhörzentrum
Die Kassam-Kämpfer, die heute das Majdal- Verhörzentrum kontrollieren, öffnen bereitwillig die Eisentüren, die ins Untergeschoss des Gebäudes führen. Kleine leere Zellen reihen sich dort aneinander. In dem Eisenstuhl, der in einer der Zellen steht, hätten die Männer der Präventivsicherheit und des Geheimdienstes die Hamas-Anhänger und ihre Führer angebunden, um ihnen dann den Kopf mit einer Eisenstange nach hinten zu drücken, erzählen die heutigen Machthaber. Auch Schläge und erniedrigende Massnahmen wie das Abrasieren von Barthaaren gehörten zu den Foltermethoden der Fatah-Männer. Die Gepeinigten haben von ihren Peinigern gelernt; wer heute aus dem Verhörzentrum kommt, berichtet von den gleichen Misshandlungen.
Raji Surani, der Direktor des Palästinensischen Menschenrechtszentrums (PCHR) von Gaza, beziffert die Zahl der Verhafteten seit der Hamas-Übernahme auf über vierzig Personen. Die Verhafteten kommen in der Regel nach ein, zwei Tagen wieder frei. Es vergeht jedoch kein Tag ohne neue Verhaftungen. Es handelt sich dabei vor allem um Angehörige der Fatah-Sicherheitsdienste und in den vergangenen Wochen auch immer wieder um Journalisten, die Übergriffe von Hamas-Organen publik machten. Noch könne man aber nicht von einer grossangelegten Aktion sprechen, sagt Surani.
Mord an der Universität
Während heute Fatah-Sicherheitsmänner im Gazastreifen von den Hamas-Kämpfern verfolgt würden, ist es im Westjordanland genau umgekehrt. Davon können Abu Amin und Ihab al-Nabulsi, zwei Studenten der Najah-Universität in Nablus, ein Lied singen. Beide sind Aktivisten des Islamischen Blocks, einer der Hamas nahestehenden Studentenorganisation. Heute reiche es, einen Bart zu tragen, um von den Sicherheitsdiensten verhaftet zu werden, sagen die eingeschüchterten Studenten. Aus Angst vor weiteren Verhaftungen würden sie das Haus nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit verlassen, und auch am Tag seien sie nur noch in Gruppen unterwegs.
Am 24. Juli nahmen Abu Amin und Ihab al-Nabulsi an einer Veranstaltung auf dem Universitätsgelände teil, um gegen die Festnahme von vier Kommilitonen durch die Israeli zu protestieren. Als die Sicherheitsmänner der Universität und Fatah-Anhänger die Protestveranstaltung zu stören versuchten, brach eine Schiesserei aus. Ein 20-jähriger Aktivist des Islamischen Blocks wurde aus nächster Nähe von einem Bewaffneten erschossen, 16 Studenten wurden verletzt.
Über den Vorfall will heute niemand mehr sprechen. Der Mörder ist zwar allseits bekannt, befindet sich jedoch immer noch auf freiem Fuss. Als Abu Amin den Leichnam des Erschossenen für das Begräbnis abholen wollte, wurden er und weitere Studenten des Islamischen Blocks festgenommen. Abu Amin berichtet, er sei drei Wochen lang in einer Zelle ohne Licht und Toilette festgehalten und regelmässig von der Präventiven Sicherheit und dem palästinensischen Geheimdienst verhört worden. Manchmal hätten die Verhöre zwölf Stunden gedauert, und manchmal sei er stundenlang an einen Stuhl gefesselt gewesen. Am letzten Tag musste Abu Amin ein Papier unterschreiben, in dem er gelobte, die Hamas nicht zu unterstützen und nie gegen die Palästinensische Autonomiebehörde zu arbeiten.
«Wir müssen ihnen Angst einjagen»
Rund 500 Festnahmen von Hamas-Anhängern hat Shawan Jabarin, der Direktor des Menschenrechtszentrums al-Haq in Ramallah, in den vergangenen zwei Monaten gezählt. Bei den Verhafteten handle es sich vor allem um junge Hamas-Anhänger und -Sympathisanten. Von ihnen befänden sich heute etwa 100 in den palästinensischen Gefängnissen. Jeden Tag kämen wieder neue dazu. «Für die Festnahmen werden keine Gründe genannt. Die Leute werden nicht nur ohne Anklage und rechtlichen Beistand festgehalten, sondern oft auch misshandelt», kritisiert Jabarin.
Die Festnahmen seien präventiv und dienten vor allem zur Einschüchterung der Hamas-Anhänger, sagt ein Mitglied der Aksa-Brigaden, des militanten Arms der Fatah, in Nablus. Er und seine Mitstreiter hätten in Nablus in den vergangenen zwei Monaten vierzig Hamas-Anhänger gefangen genommen und den palästinensischen Sicherheitsdiensten übergeben. «Die Männer haben nichts Verbotenes getan. Aber wenn wir jetzt nicht beginnen, ihnen gehörig Angst einzujagen, dann werden sie bald zu selbstsicher. Wohin das führt, haben wir im Gazastreifen gesehen», sagt der Aksa-Kämpfer, der im Vorgehen seiner Gruppierung nichts weiter als ausgleichende Gerechtigkeit sieht.