Als letztes Vergnügen bleibt den Palästinensern das Meer. Hätte Gaza keinen Strand, wären die Bewohner der Stadt wahrscheinlich längst wahnsinnig geworden. Aber auch das Strandleben hat seit der Intifada an Herrlichkeit eingebüsst.
Die auf der Gurkenscheibe sitzende Fliege kennt keine Eile, und das gilt auch für Gäste im «Beach Hotel» in Gaza, der Hauptstadt des Gazastreifens. Nur gerade ein Tisch ist zum Frühstück gedeckt. Erst am Abend hatten sich wenige palästinensische Frauen mit schrillem Make-up und ein paar Herren, die in Luxuskarossen vorgefahren waren, auf der Terrasse niedergelassen. Nicht viele können sich einen Teller Langusten für 20 Franken und ein Zimmer für deren 120 leisten.
Das «Beach Hotel» ist eines von 18 Hotels, das noch nicht geschlossen ist. Die meisten sind nach Angabe von Basel Elewa, dem Präsidenten der Hotelvereinigung in Gaza, aber nur noch der Form halber geöffnet. Vor der Intifada waren die Hotels zu 53 Prozent ausgelastet, heute sind sie es noch zu 5 Prozent. Die Gäste kamen einst aus dem Westjordanland, von Israel und Ägypten, um die Strände von Gaza zu geniessen. Heute übernachten hier nur noch Journalisten – und auch die nur, wenn gerade ein halbes Flüchtlingslager von Bulldozern zerstört werde, erzählt Khaled Abu Habel, der die Rezeption hütet. In der Hoffnung, dass jede Besatzung einmal ein Ende nimmt, hat Omran Hajaj, der Besitzer des «Beach Hotel», 300 000 Dollar von der Bank geliehen, um wenigstens die Angestellten und die Stromrechnung bezahlen zu können. Aber auch er weiss; Jahre kann er sein Hotel nicht mehr aufrechterhalten. Da nützt auch sein Wille zum Widerstand nichts.
Ohne den Strand wären die 1,4 Millionen Bewohner von Gaza wahrscheinlich bereits alle wahnsinnig geworden. Seit Beginn der zweiten Intifada haben die islamistischen Kräfte wieder das Ruder übernommen, sie haben Kinos, Theater und andere Vergnügungsmöglichkeiten geschlossen. Zwar sind die Cafés und Restaurants noch geöffnet. «Aber nach einigen Wochen hast du sie satt, wirst du krank von dem immer gleichen Essen, den gleichen Geschichten, denselben Menschen», sagt Ibrahim Adwan, der aus dem Flüchtlingslager Rafah nach Gaza gezogen ist. Was bleibt, ist der Strand. Im Sommer kommen sie zu Tausenden, um die Sonne zu geniessen und zu baden und für Augenblicke das Gefühl zu haben, die Welt stünde auch in Gaza allen offen. Jetzt, im Spätherbst, wird das Meer vom Wind gepeitscht. Kinder lassen Drachen fliegen, und einige treiben auf halb zerschlissenen Surfboards an den Strand. Ein Knabe rennt über den Sand, hält seine Spielzeugwaffe in die Luft, sie fällt auseinander, sobald er den Abzug zieht. Der Bube wird wütend, reisst seinen Kollegen am Arm, nimmt ihn in die Mangel und hält ihm die Pistole an die Schläfe. Dann lachen die Kinder, schiessen mit imaginären Maschinengewehren in die Luft, rufen «money, money» und rennen weg.
Wahrscheinlich trägt es den schönsten Namen, den je ein Flüchtlingslager getragen hat: «Beach Camp» heisst das Flüchtlingslager, das sich eng an Gaza schmiegt, von dem es nur durch die schlecht verputzten Fassaden zu unterscheiden ist. Ein Esel kratzt sich an einer Mauer. Mannshohe handgemalte Plakate von Männern, die in der Intifada getötet wurden, stehen neben einem Glaceverkäufer. Vor einer Werkstatt mit vielen Schrauben, Flaschen mit Schmieröl und Autobestandteilen sitzt ein Mann mit dicken Brillengläsern. Der Strand, ja der Strand, das sei das Glück von Gaza, sagt er, Abu Mohammed, der Mechaniker. Aber das sei begrenzt. Früher hätten sie noch nach Israel fahren können. Heute seien die Grenzen wasserdicht. Abu Mohammed ist ein Flüchtling aus Jaffa. Seine offiziellen Papiere, die seinen Herkunftsort beweisen, bewahrt er in der Hosentasche auf. Eines Tages werde er nach Jaffa zurückkehren, jenen Ort, aus dem seine Eltern 1948 vertrieben wurden.
An der Kreuzung bietet der 19-jährige Hazem Abu Sharkh Bananen feil. 3 Kilo kosten 3 Franken, und 150 Kilo pro Tag verkaufe er bestimmt, sagt er. In den freien Stunden geht er an den Strand. Er hofft, eines Tages einen besseren Job zu haben.
Man sagt, Gaza habe einmal eine stattliche Marine gehabt. Heute liegen die Schiffe in Schräglage, und im Hafenbecken warten Ruderboote auf ihre Besitzer. Einige Fischer knüpfen an ihren Netzen. Aufs Meer hinausfahren können sie gerade einmal 6 bis 8 Kilometer, manchmal auch weniger, je nach israelischem Militärbefehl. Am Haupteingang sitzen einige Soldaten mit Maschinengewehren. Es bleibt unklar, was sie hier noch bewachen.