SRF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten gehen täglich ein grosses persönliches Risiko ein, wenn sie aus Kriegs- und Krisengebieten berichten. Darum stehen sie manchmal unter Schutz des Militärs, sie sind «embedded» – also eingebettet – unterwegs. Was das für ihre Arbeit bedeutet, erzählt SRF-Südostasien-Radiokorrespondentin Karin Wenger im Interview.
«Eingebettet» arbeitet eine Journalistin oder ein Journalist dann, wenn sie oder er eine kämpfende Militäreinheit in Kriegsgebieten begleitet. So erhält sie oder er nicht nur Zugang zu Gebieten, die für unbegleitete Medienschaffende lebensgefährlich oder schlicht nicht zugänglich wären, sondern geniesst auch den Schutz der Armeegruppierung. Geprägt wurde der Begriff «embedded journalism», auf Deutsch «eingebetteter Journalismus», vor allem zu Beginn des Irakkriegs 2003. Als Reaktion auf die Proteste der USamerikanischen Massenmedien, denen der Zugang zum Kriegsgeschehen während des Zweiten Golfkriegs 1991 und des Kriegs in Afghanistan 2001 nicht ausreichend war, erklärten sich die Streitkräfte der Vereinigten Staaten bereit, Reporterinnen und Reporter in ihre Militäreinheiten zu integrieren. Eingebetteter Journalismus findet zwar vor allem in Kriegsgebieten statt, aber nicht nur: Man nennt so etwa auch Journalisten, die sich vorherrschenden politischen Erwartungen und Strukturen anpassen – und sich so quasi zum Sprachrohr von Politikerinnen und Politikern wandeln und dadurch ihre Objektivität verlieren.
«Ein Selbstporträt im Spiegel eines gepanzerten Fahrzeugs. Wenige Tage vor meiner Ankunft brachen fast 500 Gefangene, viele von ihnen Taliban, aus dem Gefängnis von Kandahar aus.»
Karin Wenger, SRF-Südostasien-Radiokorrespondentin, Afghanistan im April 2011 (Titelbild)
Durch eingebetteten Journalismus lässt sich zwar ein unmittelbarer und relativ unverfälschter Eindruck der Arbeit des Militärs in Krisengebieten einfangen. Es besteht für die Reporterinnen und Reporter aber auch die Gefahr, zu nah an den Menschen zu sein, über die sie berichten. Wo zieht man die Grenze zwischen dem Journalisten und dem Freund, der am Abend nach einem langen Einsatz im Krieg einfach mal zuhört? Wie grenzt man sich als Journalistin klar ab, wenn Behörden die eigene Arbeit zensieren wollen – als Bedingung für das Einbetten –, ohne zu einer PR-Maschine fürs Militär zu werden? Ähnliche Formen des Journalismus entstanden bereits im Zweiten Weltkrieg, damals gab es in Deutschland die sogenannten Propagandakompanien.
Eingebetteter Journalismus wird auch heute noch vor allem in Krisengebieten praktiziert. Die Südostasien-Korrespondentin Karin Wenger berichtet für SRF immer wieder von Kriegsschauplätzen.
Für mehrere deiner Reportagen hast du viel Zeit mit der US-Armee in Afghanistan verbracht. Warum?
Für mich war klar, dass ich nur über sie in einige der Gebiete kommen konnte, die mich interessierten. Zudem stellten die Amerikaner das grösste Kontingent der NATO-Truppen in Afghanistan. Sie sind ein extrem wichtiger Teil dieses Konflikts. Ich musste also verstehen, wie sie funktionieren und was sie genau weshalb tun – sonst würde ich einen wichtigen Teil des Konflikts nicht verstehen können. Darum war mir wichtig, das embedded tun zu können – im vollen Bewusstsein, dass ich so sicher nicht die unabhängige afghanische Seite sehen werde, wie ich das sonst in meinen Recherchereisen sah. Eigentlich war es eine Recherche über die Amerikaner.
Hat dein Vorhaben funktioniert?
Auf jeden Fall. Ich sah die unglaubliche Kluft zwischen den amerikanischen Soldaten und den Afghanen und erlebte, wie Übersetzungsfehler gemacht wurden, die dann dazu führten, dass die Soldaten Dutzende von Afghanen demütigten. Kurz: Ich verstand, dass die Probleme in Afghanistan nie mit äusseren Mächten gelöst werden können.
Wie muss man sich embedded journalism konkret vorstellen?
Das ist immer unterschiedlich. Als ich in Kandahar im Süden Afghanistans mit den amerikanischen Truppen embedded war, war ich jeden Tag mit einer anderen Teileinheit der Armee unterwegs. Teilweise schickten sie noch einen Soldaten mit, der die Interviews überwachte und die Aussagen der Soldaten zensurierte. Bei meinem zweiten Embed wollte ich auf einen möglichst kleinen Armeestützpunkt in einem weit entfernten Gebiet ohne Aufpasser, damit ich einen ungefilterten Eindruck darüber bekam, wie die Soldaten dort lebten und arbeiteten. Am Schluss war ich auf einer Basis mit 100 Soldaten, alles Männer, im Nichts an der Grenze zu Pakistan. Dort habe ich die ganze Woche mit ihnen verbracht, den ganzen Tag: Ich bin mit ihnen raus auf Patrouille, zu Hausdurchsuchungen und so weiter. Das war zwar gefährlich, weil man so Zielscheibe der Extremisten wurde und ständig mit Angriffen rechnen musste, aber wäre ich alleine in dieses Gebiet gereist, dann wäre ich höchstwahrscheinlich entführt worden – alleine bist du quasi ein lebender Bankomat.
Wie gefährlich sind solche Embedded-Einsätze für dich als Reporterin?
Es ist ohne Zweifel gefährlich. Als ich in Afghanistan war, erhielt ich zuallererst vom Kommandanten der Armeetruppe spezielle Kleidung, die ich anziehen musste, wenn wir mit dem Panzerwagen durch Gebiete fuhren, in denen die Aufständischen möglicherweise Sprengsätze versteckt hatten. Er sagte zu mir: «Wenn euer Wagen Feuer fängt, dann verbrennst du mit dieser Kleidung wenigstens nicht sofort.» Da habe ich schon kurz leer geschluckt. Aber ganz ehrlich: Wenn du nach Afghanistan gehst, dann nimmst du generell ein Risiko auf dich, das betrifft ja nicht nur die Zeit, die man mit der Armee verbringt.
Sondern?
Als ich 2014 über die Wahlen in Afghanistan berichtet habe, kam es zum Beispiel vor, dass ich an einem Tag in einem Restaurant gegessen habe, das wenige Tage später überfallen wurde. Oder dass wir das Auto an einem Ort abgestellt hatten, an dem tags darauf eine Bombe explodierte. In einem solchen Gebiet bist du einfach immer angespannt, eine gewisse Angst gehört dazu. Aber wenn du deinen Job machen willst, musst du lernen, mit dieser Angst umzugehen, so dass du immer noch arbeiten kannst.
Wieso machst du einen Job, der dich in Todesgefahr bringt?
Ich habe ja schon vor meiner Zeit bei SRF aus Krisengebieten berichtet, damals noch als freie Reporterin. Ich habe zum Beispiel ein paar Monate in Gaza gelebt, da war ich noch sehr jung. Und dort habe ich gemerkt, dass ich Kriegskonflikte nicht verstehen, nicht wahrhaftig darüber berichten kann, wenn ich nicht mittendrin bin und am eigenen Körper erfahre, was Krieg mit einem macht. Zudem will ich über die Menschen berichten, die direkt vom Konflikt betroffen sind, und nicht über Politiker oder NGOs, und dafür muss man halt mittendrin sein.
Was macht diese Arbeit mit der Psyche?
Während meiner Zeit in Gaza war ich definitiv zu jung, um mich emotional schützen zu können. Ich habe einen Sommer lang Tote und Verletzte gesehen und stand nonstop unter grossem Stress. Es dauerte Monate, bis ich mich wieder ausgeglichen fühlte, ich war total ausgezehrt. Und vor etwa zwei Jahren habe ich mich nochmals übernommen: Da war ich zuerst bei den Rohingya in den Flüchtlingscamps in Bangladesch, die Leute kamen schwer traumatisiert über die Grenze. Danach ging ich direkt weiter in den Drogenkrieg auf den Philippinen und von dort in die Stadt Marawi, die gerade vom IS eingenommen worden war. Das war dann schlicht zu viel.
Wie hat sich das bei dir geäussert?
Ich hatte Alpträume, konnte nicht mehr essen und war wirklich total aus dem Gleichgewicht. Da wurde mir klar: Das geht nicht.
Was hast du daraus gelernt?
Mich nach Einsätzen in Krisengebieten ganz bewusst zu erden, Pausen machen, mit Freunden sprechen. Ans Meer gehen und lange Spaziergänge im Sand machen, barfuss. Das klingt vielleicht simpel, ist aber wahnsinnig wichtig. Ich mache solche intensiven Einsätze nur noch maximal zwei Wochen lang, danach gibt es eine Ruhezeit, in der ich an schönen Geschichten arbeite, zum Beispiel über Elefantenzüchter in Chiang Mai. Aber als Reporterin musst du auch offen bleiben, du musst verletzlich bleiben, sonst wirst du nie die Offenheit der Menschen, ihre Emotionen spüren, einfangen und vermitteln können. Aber das ist natürlich ein emotionaler Hochseilakt. Doch gerade Kriegsgebiete bieten da grosse Chancen.
Inwiefern?
Weil Leben und Tod so nahe beieinanderliegen, treten Emotionen stärker hervor – bei den Menschen um dich herum, aber auch bei dir selber. Alles wird sehr roh und in dem Sinn sehr ehrlich. Das habe ich auch gemerkt, als ich mit den Soldaten in Afghanistan unterwegs war: Die haben so wahnsinnig ehrlich erzählt, was der Krieg mit ihnen macht. In den Gesprächen ging es auch schnell um die absoluten Grundsätze: Was treibt einen Menschen an? Was berührt uns, was verletzt uns? Darüber machen sich meist nur Leute so intensiv Gedanken, die wissen, dass sie morgen tot sein könnten. Paradoxerweise bringt also diese Todesnähe sehr viel Leben und Tiefe mit sich. Das ist sicher einer der Hauptgründe, warum ich in solchen Gebieten arbeite.
Was fasziniert dich sonst noch an Südostasien?
Wie unterschiedlich man das Leben sehen und angehen kann. In der Schweiz ist das anders: Man wächst auf, studiert vielleicht, hat einen Job, eine Familie und ein Häuschen und irgendwann stirbt man – plakativ gesagt. Durch meine Arbeit und alle die Leute, die ich treffe, sehe ich, dass es aber eigentlich so viele Arten, zu leben, gibt, und ich versuche, von allen etwas zu lernen. Das ist für mich der grösste Reichtum.
Text: Miriam Suter
Bild: Karin Wenger/zVg