Die Wirtschaft ist wegen der geschlossenen Grenzen zum Erliegen gekommen
Seit Monaten reduziert Israel die Treibstoffzufuhr in den Gazastreifen. Für Gazas Bevölkerung gibt es weder Benzin noch Diesel noch Kochgas mehr zu kaufen. Ohne Treibstoff können die Autos nicht mehr fahren, und die Wasserversorgung funktioniert nicht mehr.
In den Strassen von Gaza stinkt es nach Falafel-Öl und verbranntem Abfall. Nur noch wenige Autos fahren. Laut John Ging, dem Chef des Uno-Hilfswerks für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), hat Israel die Treibstoffzufuhr in den Gazastreifen am 10. April gestoppt. Während die UNRWA und die Spitäler noch mit einem Minimum an Treibstoff versorgt werden, gibt es weder Diesel noch Benzin für die Ambulanzen, die Autos, Lastwagen, Generatoren oder Wasserpumpen. Nach der Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas im Juni 2007 hat Israel die Treibstoffzufuhr als Teil der Boykottstrategie stetig verringert.
Streik der Tankstellenbesitzer
Für Gazas Bevölkerung sind der Treibstoff und das Kochgas heute nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Sie gelangen durch die Tunnels der Schmuggler im Süden an der Grenze zu Ägypten in den Streifen. Ein Liter Benzin kostet umgerechnet sieben Franken – dreimal mehr als noch vor ein paar Monaten. Wer ein Auto besitzt, hat es umgerüstet und benutzt Kochgas als Antriebsquelle. Am Abend stehen die Leute Schlange vor den Falafel-Buden, um für ein paar Schekel das gebrauchte Öl, in dem die Falafel frittiert wurden, zu kaufen und ihre leeren Autotanks zu füllen. Die meisten Bewohner Gazas bewegen sich jedoch zu Fuss, auf Eselkarren oder Fahrrädern oder bleiben zu Hause. Einige Hilfswerke und die lokale Wasserbehörde haben damit begonnen, Fahrräder zu verteilen, damit ihre Mitarbeiter zur Arbeit kommen können.
Maamon Khozendar, der stellvertretende Chef der Vereinigung der Tankstellenbesitzer im Gazastreifen, sowie alle anderen Tankstellenbesitzer weigern sich seit einem Monat, die geringen Mengen an Treibstoff anzunehmen, die Israel in den Gazastreifen durchlässt. Khozendar sagt: «Die Mengen liegen weit unter dem Minimum, das wir hier benötigen.» Während im vergangenen August noch 9 Millionen Liter Diesel und 1,4 Millionen Liter Benzin in den Streifen gelangten, reduzierte Israel die Menge im März auf 3,8 Millionen Liter Diesel und 343 000 Liter Benzin. Beim Ansturm auf die Tankstellen vor einem Monat brachen Kämpfe aus, bei denen ein Mann erschossen wurde. Vor einigen Tagen kam es erneut zu einem Zwischenfall. Lastwagen, die vom Grenzübergang Nahal Oz unterwegs nach Gaza waren und Treibstoff für die UNRWA mitführten, wurden von wütenden Bauern angegriffen, die Treibstoff für ihre Höfe forderten. Die Laster mussten zum Grenzübergang zurückkehren. Khozendar lässt das israelische Argument, dass mehr Treibstoff in den Streifen durchgelassen werde, wenn die Hamas aufhöre, Raketen zu schiessen, nicht gelten. Er sagt: «Wenn sie die Hamas bestrafen wollen, sollen sie die Hamas bestrafen. Jetzt bestrafen sie uns alle.»
Nur noch wenig Strom
Im Norden des Gazastreifens an einer von Khozendars Tankstellen haben Männer ihre leeren Gasflaschen in einer 500 Meter langen Schlange aufgestellt. Sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben und wollen die Ersten sein, wenn das Gas kommt. Überall brennen kleine Feuer, auf denen gekocht wird. Die Männer kommen aus Beit Hanun, aus Jabalya, Beit Lahya, und sogar aus dem Süden ist jemand angereist, weil er gehört hatte, dass Gas und Diesel zuerst im Norden ankämen.
Der 20-jährige Khaled Ahmed aus dem Flüchtlingslager Jabalya schläft seit sechs Nächten neben seinen leeren Gasflaschen an der Tankstelle. Sieben Stück hat er mitgebracht, eine gehört ihm, die andern seinen Nachbarn. Er sagt, seine Frau brauche jetzt Büchsen zu Hause, weil sie nicht mehr kochen könne. Ein anderer Mann ruft: «Es mangelt nicht nur an Gas, es gibt auch keinen Strom mehr und kein Wasser und wenige Nahrungsmittel und kein Baumaterial.» Nachdem die israelische Luftwaffe vor zwei Jahren das einzige Elektrizitätswerk in Gaza bombardiert hatte, konnte dieses nur noch mit Generatoren betrieben werden. Diese brauchen Treibstoff. Und weil er auch im Elektrizitätswerk knapp ist, gibt es heute, wenn überhaupt, nur noch wenige Stunden Strom am Tag.
Der Treibstoffmangel hat nach Angabe der UNRWA dazu geführt, dass heute die Hälfte aller Gemeinden im Gazastreifen ihren Abfall nicht mehr einsammeln können, weil die Lastwagen dazu keinen Diesel mehr haben. Auch die Wasserpumpen funktionieren nur noch ungenügend, so dass 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung nur noch alle vier Tage drei bis fünf Stunden Wasser erhalten. Der Ausfall der Pumpen der Bewässerungsanlagen der Felder hat zu einem Mangel an Gemüse und zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Heute kostet ein Kilo Tomaten fünfmal mehr als noch vor drei Monaten. Auch die Kläranlagen funktionieren nur noch teilweise, so dass 60 000 Kubikmeter Abwasser direkt am Strand ins Meer fliessen.
Grenzöffnung gefordert
«Der Boykott der letzten Monate hat unsere Arbeit hier schwer beeinträchtigt», sagt John Ging. Vor einer Woche hatte auch die UNRWA keinen Treibstoff mehr für ihre Fahrzeuge, und 700 000 Flüchtlinge konnten nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden. Die Armut steigt zunehmend, weil die Wirtschaft im Gazastreifen aufgrund der geschlossenen Grenzen komplett zum Erliegen gekommen ist. Heute leben laut der UNRWA 80 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen unter der Armutsgrenze. Die UNRWA darf nur noch Medikamente und Nahrungsmittel in den Gazastreifen bringen.
Der Import von Baumaterial für Schulen, Kliniken und Häuser ist nicht erlaubt. Im Herbst wurde das Papier für die Schulbücher nicht in den Gazastreifen gelassen, was dazu führte, dass die Kinder drei Wochen ohne Schulbücher blieben. Die UNRWA hat schon vor langem einen Appell an die Weltgemeinschaft gerichtet: «Die Leute hier werden jeder Würde beraubt. Für sie gelten die Grundrechte, wie sie im Völkerrecht verbrieft sind, längst nicht mehr», kritisiert Ging. Zur wirtschaftlichen Krise komme die psychische Belastung durch die anhaltenden militärischen Angriffe. Seit dem Januar wurden laut der UNRWA 58 Kinder getötet und 177 verletzt. Die Öffnung der Grenzen sei die einzige Lösung, um die Lage der Menschen zu verbessern, erklärt Ging.