Syriens Journalisten im Kampf gegen staatliche Tabus
Obwohl Syrien die Medien scharf kontrolliert, lassen sich diverse Journalisten nicht entmutigen. Diesen Eindruck gewann die Autorin des folgenden Beitrags, als sie in Damaskus einen Workshop durchführte.
Bereits in der Vorstellungsrunde wird klar, dass es bei diesem Workshop, der in einem Kulturinstitut von Damaskus stattfindet, nicht nur um journalistische Finessen und die Besprechung kultureller Leckerbissen gehen wird. «Ich wurde Kulturjournalist, weil mir der Geheimdienst verboten hat, über politische Themen zu schreiben. Ich plädiere jetzt in Nebensätzen von Kulturartikeln für politische Reformen», sagt ein Teilnehmer aus Aleppo und tritt damit bereits zu Beginn des fünftägigen Workshops eine politische Diskussion los. Dabei erstaunt, mit welch unverblümter Offenheit die Journalisten ihre Zensoren und die Regierung kritisieren. «Das ist kein Widerspruch», sagt Rami, der vor allem für libanesische Zeitungen schreibt. «Ein Journalist, der kritische Fragen stellt, wird vom Geheimdienst eingeschüchtert. Das weiss jeder. Wer das nicht aushält, darf hier nicht Journalist werden.»
Der Maulkorb als gemeinsamer Feind
Frustriert über den Maulkorb, der Journalisten in Syrien übergestülpt wird, sind alle der 20- bis 35-jährigen Teilnehmer, und das, obwohl sie aus den unterschiedlichsten politischen, kulturellen, religiösen und geografischen Ecken Syriens kommen. Sie sind Alewiten, Sunniten, Schiiten, Kurden, Palästinenser, Gläubige und Atheisten, sind aus Deir ez-Zor an der irakischen Grenze, dem kurdischen Qamishli oder Damaskus angereist. Einige arbeiten bei privaten, andere bei staatlichen syrischen Medien, sie publizieren auf Internetplattformen oder, wer kann, in den libanesischen Zeitungen «An-Nahar» und «As-Safir».
Vor vier Jahren glimmte zwar ein Hoffnungsschimmer in der syrischen Medienlandschaft auf. Damals wurden neben den Regierungszeitungen «Tishreen», «Thawra», «Baath» und der englischen «Syria Times» die ersten privaten Medien zugelassen. Zeitungen wie «Al-Watan», «Baladna», das Wochenmagazin «Abiad Aswad» oder das englische Magazin «Syria Today» fassten Fuss. «Bald wurde klar, dass ihre Besitzer auch mit der Regierung verbandelt sind und somit Kritik unmöglich ist», sagt Basil, der für das syrische Fernsehen arbeitet.
Verwischte Tabuzonen
Obwohl seit dem Tod von Präsident Hafez al-Asad im Jahr 2000 und der Regierungsübernahme durch seinen Sohn Bachar sich das Land mindestens wirtschaftlich geöffnet hat, sei es für die Medienschaffenden eher schwieriger geworden, bemängelt Rami: «Mit Hafez war klar, wo die roten Linien sind: keine Kritik am Präsidenten, keine Artikel über die Minderheiten, sexuelle Angelegenheiten oder religiöse Splittergruppen. Das Credo lautete: Wir sind alles Syrer. Mit Bachar haben sich die roten Linien in einen grossen grauen Bereich verwandelt. Zudem sind es die Geheimdienste und nicht der Präsident, die hier das Sagen haben.»
Dass die Zensur direkten Einfluss auf das Leben der Journalisten hat, widerspiegelt sich in den persönlichen Geschichten der Kursteilnehmer. Bei vier der Journalisten nahm der Geheimdienst ihre Berichterstattung zum Vorwand, um ihnen bis auf weiteres ein Ausreiseverbot aufzuerlegen. «Der Geheimdienst sagte mir, ich gefährde die nationale Sicherheit», sagt einer der Kursteilnehmer. Er trat in seinen Artikeln vor allem für die Rechte der Kurden ein. Ein anderer verbrachte ein Jahr in Isolationshaft in einer winzigen Zelle. Die Polizei verhaftete ihn bei einer Demonstration. Seit seiner Entlassung verfasste er keine politischen Artikel mehr.
Selbstkritisch und lernbegierig
Doch wer glaubt, die jungen Journalisten hätten bereits resigniert, der irrt. Vielmehr stimmen der vielfach geäusserte Wunsch nach Veränderung und das Engagement, mit dem sich die jungen Journalisten fünf Tage lang mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, hoffnungsvoll. An Selbstkritik und Lernbegierde mangelt es dabei keineswegs. Zudem sucht jeder nach alternativen Publikationsmöglichkeiten, nach Nischen. Viele weichen auf Internetportale und wenn möglich auf ausländische Zeitungen aus.
Harte Kritik üben die Journalisten nicht nur an den restriktiven Zensurmassnahmen, sondern auch an der Qualität der Medien – und diese wird nicht nur durch die Zensur beeinträchtigt. Die syrischen Medien ähneln Verlautbarungsorganen, in denen die Journalisten die staatliche Nachrichtenagentur Sana zitieren, womit der Leser lediglich erfährt, wann der Präsident wo eine staatsmännische Hand geschüttelt hat. Basil sagt, er schaue nur die Satellitensender al-Jazira oder al-Arabiya; statt syrische Zeitungen durchforste er das Internet nach Informationen, die mehr als bloss die Regierungsmeinung wiedergäben.
Kaum Ausbildungsmöglichkeiten
«Unser grosses Problem in Syrien ist, dass es keine praktische Ausbildung für Journalisten gibt», sagt Samira. Die 28-Jährige selbst studierte vier Jahre lang Journalismus an der Universität in Damaskus. Die Professoren hätten jedoch theoretische Vorträge zu nationaler Kultur oder arabischer Geografie gehalten. Im Fach «journalistisches Schreiben» habe sie keinen einzigen Artikel geschrieben. Stattdessen fiel die angehende Journalistin fünfmal durch die Prüfungen, bis sie gemerkt habe, dass sie sich diese besser erkaufe, um abzuschliessen und ins Berufsleben eintauchen zu können.
Das journalistische Handwerk versucht sie jetzt durch nichtstaatliche Journalismuskurse zu lernen und durch die Lektüre professionellerer Zeitungen. Heute arbeitet die schüchterne Frau mit dem Pferdeschwanz als freie Journalistin für «al-Jazira Talk» und eine kuwaitische Zeitschrift. Das bedeute mehr journalistische Freiheit, obwohl sie wisse, dass sie ständig überwacht werde. Aber gegen die Angst, verhaftet zu werden, gebe es nur eine Medizin: weitermachen, dagegen anschreiben, die Schatten so gut wie möglich ignorieren.
Karin Wenger
Die Autorin ist freie Journalistin und hat den Workshop in Damaskus geleitet. Alle Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.