Die Dabbawallas von Mumai - effiziente Essensausteilung Während viele indische Unternehmen die Krise spüren, floriert ein Geschäft wie eh und je: - das der Dabbawalas in Mumbai. Dort tragen rund 5000 Männer täglich etwa 200'000 Dabbas aus - Behälter mit hausgemachter Kost. Mit einem ausgeklügelten System aus Zeichen und Farben kommt jedes Essen pünktlich an. Ökonomen sind fasziniert. Das höchste Gut der Dabbawalahs ist Zeit, die wichtigste Tugend ist Pünklichkeit. Und die erste Frage der Dabbawalas: Welche Uhrzeit ist jetzt in Ihrem Land? Es ist morgens halb elf. Wir stehen zusammengepfercht zwischen Paletten voller Lunchboxen in einem rumpeligen Vorstadtzug Richtung Mumbai. Hunderte von Dabbas - Essgeschirre, die aus verschiedenen kleinen Gefässen bestehen, die ineinander gesteckt und mit einem Hacken zusammengehalten werden - türmen sich bis unter die Zugdecke. Irgendwo dazwischen klemmt die Dabba von Lalita Narnoli, eingepackt in eine lila Hülle mit roten Schriftzeichen. Ein Dabbawalah hat sie punkt neun in Lalitas winziger Wohnung im Vorort Mira-Road, eine Stunde ausserhalb von Mumbai, abgeholt. Sechs Franken im Monat Lalita steht bereits seit sechs Uhr früh in der Küche. Sie hat Chapatti, indisches Fladenbrot, Reis und Okra für ihren Sohn - einen Börsenhändler im Stadtzentrum von Mumbai - zubereitet. Dorthin bringt ein Dabbawalah Mamas Kost jeden Tag zur Mittagszeit. Ihr Sohn möge nur ihr Essen, sagt Lalita, deshalb seien die Dabbawalahs aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Seit fünf Jahren holen die Essensausträger jeden Morgen das Mittagessen für ihren Sohn ab und bringen den leeren Behälter am Nachmittag zurück. Das alles nur für sechs Franken im Monat. Lalita liebt die schweizerische Pünktlichkeit der Dabbawalahs über alles. Denn die ist in einer Millionen Metropole wie Mumbai, in der Züge oft stundenlange Verspätung haben, wahrlich ein Wunder. Keine Zeit für einen Schwatz Geschwatzt wird kaum, als unser Dabbawalah, ein hagerer Mann, ganz in weiss gekleidet, punkt neun an der Tür steht. Für eine Plauderei hat er schlicht keine Zeit. In zwei Stunden muss er zirka dreissig Essgeschirre abholen, die er dann per Fahrrad zum Bahnhof bringt. Dort trifft er sich mit mehreren Dutzend anderen Dabbawalas. Kaum einer von ihnen kann lesen oder schreiben. Die Essensboxen, die jetzt zu hunderten neben den Bahngeleisen stehen, werden anhand eines Systems von Farben, Zeichen und Zahlen verteilt. Die Zeichen symbolisieren Stadtteil, Strassen und Häuser. An jeder Haltestelle steigen neue Dabbawallas zu. Während sich die normalen Passagiere prügelnd und boxend in die überfüllten Abteile kämpfen, haben die Dabbawallahs bereits bei der ersten Station ein Abteil für sich in Beschlag genommen. Dabbas werden umverteilt, aus- und eingeladen. Essen per Fahrrad, mit dem Zug oder zu Fuss Das System funktioniert wie eine Verteilkette, bei der die Dabbawallas die verschiedenen Stadtgebiete unter sich aufgeteilt haben. Die Boxen werden per Fahrrad, Zug und zu Fuss ausgeliefert und wieder eingesammelt. Nur selten werden sie verwechselt oder kommen nie an. So selten gar, dass der Organisation das Six Sigma Gütesiegel, das weltweit für für hervorragendes Qualitätsmanagment und geringe Fehlerquote steht, verliehen wurde. Trotz SMS - das System ist das gleiche geblieben Einst unbekannt, wurden die Dabbawallas so von der renommierten Harvard Business School entdeckt und von Prinz Charles besucht. Das System ist altbewährt. Manche arbeiten seit Generationen mit den Lunchboxen und können sich sogar noch an die Anfänge erinnern. Sein Grossvater sei vor mehr als 100 Jahren vom Land in die Stadt gekommen, erzählt einer der Dabbawallas im Zug. Er habe arbeitslos am Strassenrand gesessen und realisiert, dass die meisten ihre Lunchboxen selbst zur Arbeit nehmen mussten. So sei ihm die Idee gekommen, ein Verteilsystem aufzubauen. Heute bestellen die Kunden zwar auch per SMS, aber das Codiersystem von Farben und Formen ist immer noch das gleiche. Die Zeit drängt - immer Nach einer Stunde Fahrt im Vorstadtzug kommen wir in Churchgate an, einem der letzten Knotenpunkte auf der Fahrt. Ein Dabbawalla balanciert das letzte Palett voller Lunchboxen auf dem Kopf über eine grosse Kreuzung. Lalita Narnolis Box wird ein letztes Mal weitergereicht und an die Lenkstange eines Fahrrads gehängt. Wenige Minuten später nimmt sie Lalitas Sohn in Empfang. Er hat 45 Minuten Zeit zu essen, dann wird die Box wieder abgeholt. Was drin ist, wisse er zwar nicht. Aber dieses Essen bedeute ihm sehr viel, schliesslich komme es mit dem Segen seiner Mutter, sagt Nayan, bevor er wieder ins Büro eilt. Der Dabbawalah ist bereits verschwunden, schliesslich muss er noch andere Dabbas austragen - und zwar pünklich.